Die Location füllt sich langsam mit all den Dienern und Knechten, den Hinzen´s und Kunzen´s sowie natürlich der grauen Eminenz aus der Riege der oberen Zehntausend. Ganz schön viele Egos, die sich hier köstlich zu amüsieren scheinen. Heute dürfen sich die Herren Müller vor ihren Frauchen mal so richtig wichtig machen. Und die Frauen Meier spielen Cinderella, aufgetakelt mit Billigschmuck und gewagtem Schlitz im Kleid. Nur einen Zentimeter höher und ich könnte den Rand ihrer Nylonkniestrümpfe sehen. Wenn das mal nicht festlich ist! Hier und da lässt sich eine der edlen Damen herab und lächelt mir gequält zu oder es zischt ein leises „Guten Abend“ durch schmale, blass geschminkte Lippen in meine Richtung. Höchst professionell entsende ich eine gerade noch so als Lächeln interpretierbare Geste an jede von ihnen zurück. Endlich entdecke ich dann doch eine Person, die mir gegenüber wohlwollend gesonnen ist. „Hallo, Carla!“, ruft Rieke laut und winkt mir dabei zu. „Hey, Rieke. Endlich. Ich habe schon befürchtet, Ihr hättet es Euch zuhause auf der Couch gemütlich gemacht.“, entgegne ich, wohlwissend, dass Rieke so gar nicht auf diese Art von offiziellen Feierlichkeiten abfährt.
Rieke ist Stefans Assistentin, die oftmals mehr in bestimmte Vorgänge eingebunden ist als Stefan selbst. In ihr hat er eine absolut verlässliche und ehrliche Kollegin. Irgendetwas an ihr fasziniert mich. Ich weiß nur nicht, ob es ihre Rehaugen, ihre niedlichen Grübchen oder vielleicht doch sogar ihr kleiner Popo ist. Ich mag sie ganz einfach, obwohl sie mit derart schönen Haaren gesegnet ist, wie ich es mir immer gewünscht habe. Also keine Stutenbissigkeit meinerseits. Wäre ich ein eifersüchtiger Charakter, müsste ich meinem Stefan natürlich unterstellen, dass er sie eigentlich nur attraktiv finden kann und sich ihretwegen des Öfteren abends länger im Büro aufhält. Womöglich stellt er sich während der Bearbeitung seiner trockenen Versicherungsfälle vor, wie Rieke ihn „nass“ macht. Gut möglich, dass er solche Fantasien tatsächlich hat. Mir ist das allerdings egal, denn Rieke ist fest gebunden - mit ihrer Frau! Letzten Sommer haben Rieke und Svenja sich nach langen Streitigkeiten mit ihren Familien endlich das Ja-Wort gegeben. „Svenja kommt später. Muss mal wieder Überstunden machen, die Arme.“, erklärt Rieke Ihr alleiniges Erscheinen, während ihre Augen die Namenskärtchen an unserem Tisch abwandern. „Mist, wo haben die uns denn hin verfrachtet?“, murmelt sie, da ihre Namen auf keinem Kärtchen zu lesen sind.
„Immer noch laangweilig!!“
Eine der zahlreichen Kellnerinnen reicht uns ihr Tablett freundlich an und wir bedienen uns mit einem Glas Champagner. Nippend meint Rieke: „Na, ich schau dann erstmal, an welchem Tisch ich mich zu benehmen habe.“ „Mach das. Wir setzen uns dann später gemeinsam ab.“, so mein Plan. Als eine sehr vertraute Hand meine Schulter streichelt, drehe ich mich um und schaue in das zufrieden lächelnde Gesicht meines Partners. „Fertig debattiert?“, frage ich. „Nur pausiert.“, grinst Stefan. Es wird bedächtig still, ein leises Raunen verdrängt das wirre Durcheinander der Stimmen. Alle Gäste begeben sich zu ihren vorgesehenen Tischen und auch bei uns gesellen sich zwei Paare dazu. Wir kennen uns alle nicht. Dafür sehen sie jedoch einigermaßen umgänglich aus. Lediglich die vermeintliche Altlast, die keiner haben will, ist noch nicht anwesend. Sitzt vielleicht noch im Bus, vorne beim Fahrer und völlig überfordert so weit weg von Mutti…
Nach einem kreischenden Piepton wissen nun alle Anwesenden, dass das Mikrofon angeschaltet ist. Zwar verfügt der Saal nicht über eine Bühne, dafür wurde jedoch ein recht ansehnliches Podest aufgebaut. Ein Herr in einem teuren aber langweiligen Anzug geht zielsicher auf das Mikrofon zu. Jetzt also kommt die Begrüßungsansprache mit Lobhudelei, Anbiedern, schlechten Witzen und tausend Mal gehörten Anekdoten. Breit lächelnd holt der Redner tief Luft: „Sehr geehrter Herr Aufsichtsratsvorsitzender Prof. Dr. Hartmann, sehr geehrte Damen und Herren des Vorstands, sehr geehrte Herren Geschäftsführer Dr. Spatenbrink und Dr. Retz. Verehrte Kolleginnen und Kollegen, liebe Angehörige und Freunde. Im Namen der Imperial Global AG möchte ich Sie recht herzlich zu dieser Veranstaltung begrüßen. Eine besondere Freude ist es, dass wir heute Abend eine großartige, vereinte Familie sind. Einige von Ihnen haben sich ja schon angeregt ausgetauscht, manche werden sich heute Abend vielleicht auch erst kennenlernen. Wir möchten Sie mitnehmen auf eine Reise in die Vergangenheit. Stolz blicken wir auf 50 Jahre Imperial Global - eine Erfolgsgeschichte.“ Die Stimme da vorne wird in meinen Ohren immer leiser. Stattdessen wandern meine Augen die Anwesenden ab. Ich könnte ja schon wieder Gedanken zitieren von so manchem nach vorne starrendem Gast. Einige Frauen zupfen gelangweilt ihre Kleider zurecht. Wieder andere scheinen nur wegen des Buffets gekommen zu sein. Was für eine Qual dieses Warten auf den Eröffnungsgong für sie sein muss.
Ich drehe mich mit meinem Oberkörper wieder dem Tisch zu, da ich mir einen großen Schluck Champagner aus meinem Glas genehmigen möchte. Selber schon fast träumend greife ich mein Glas, setze an um den Champagner genüsslich herunterzuschlucken und - zack! Ich verschlucke mich ordentlich an dem prickelnden Nass. Nein, nicht etwa, weil ich zu blöde zum Trinken bin. Der Grund ist die „Altlast“, die zwischenzeitlich unbemerkt am Tisch Platz genommen hat. Ich habe das Gefühl, ersticken zu müssen, wenn ich diesem kratzenden Hustenreiz nicht sofort Raum gebe. Also räuspere ich mich in möglichst angemessener Lautstärke. Der Blick des Gastes wechselt vom Redner am Podest zu mir. Auch Stefan dreht sich zu mir: „Brauchst Du Hilfe? Soll ich Dir mal auf den Rücken klopfen?“ „Nein danke, mein Schatz. Geht schon wieder. Habe mich nur verschluckt.“, flüstere ich und streichle dabei seinen Handrücken. Der Mann mir gegenüber grinst mich frech an und macht mich damit verlegen. „Komm Carla!“, sage ich zu mir. „Fang Dich wieder.“ Warum bin ich eigentlich so irritiert? Vielleicht weil hier gerade das Gegenteil eines Muttersöhnchens Platz genommen hat?
Verstohlen betrachte ich den verspäteten Gast. Dieser Mann ist nicht gerade das Paradebeispiel eines schönen Mannes. Er sieht wild und verlebt aus. Die oberen drei Knöpfe seines schwarzen Hemdes sind aufgeknöpft. Um seinem Hals erkenne ich ein Lederband, welches im Hemd verschwindet. Er hat Falten. Freche Falten. Seine Haare liegen wie sie gerade fallen. Ich glaube, so etwas wie einen Kamm braucht der Typ gar nicht. Dieser Zausel-Look steht ihm. Als sei der Stil nur ihm vorbehalten. Er sieht jedenfalls nicht wie ein Angestellter einer Versicherungsagentur aus. Er könnte ein Fischer oder Seefahrer sein. Oh, und was für mächtige Hände er hat. Richtige Männerhände die zupacken können. Der Kerl reizt mich. Ich ertappe mich dabei, wie ich mir den Mann näher vorstelle. Wie er wohl mit freiem Oberkörper aussieht? Ob er stark behaart ist? Ob er überall stark behaart ist? Worauf der wohl so steht? Ich würde gerne mal an ihm schnuppern. Ob ich ihn gut riechen kann? Na, und wenn die Pracht in seiner Hose so kräftig ist wie seine Hände, dann-. Lautes Klatschen holt mich zurück in die Realität. Der Vortrag da vorne scheint ein Ende gefunden zu haben. Leider habe ich nicht gehört, was nun folgt. Hoffentlich ein zweiter unendlich langer Vortrag, damit ich den Kerl gedanklich weiter ausziehen kann. Ob der überhaupt auf Frauen steht? Auf mich steht er jedenfalls nicht. Er schaut mich überhaupt nicht mehr an. Naja, soll mir recht sein. Ich habe ja schließlich meinen Stefan.
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