Felicité war hierüber dermaßen erbittert, daß sie imstande gewesen wäre, dem Unternehmen Hindernisse in den Weg zu legen, wenn sie nicht den Sieg ebenso glühend herbeigesehnt hätte wie ihr Gatte. Sie fuhr also fort, für den Erfolg tätig zu sein, suchte aber sich zu rächen.
Ach, möchte er doch nur ordentlich Angst bekommen und einen bösen Fehler begehen! ... sagte sie sich. Dann möchte ich ihn wohl sehen, wie er demütig um Rat zu mir kommt ... dann würde ich ihm meine Gesetze diktieren.
Was sie beunruhigte, war jene Haltung eines allmächtigen Herren, die er notwendigerweise annehmen würde, wenn er ohne ihren Beistand triumphieren würde. Als sie diesen Bauernsohn – lieber als irgendeinen Notarsgehilfen – zum Gatten nahm, gedachte sie, sich seiner wie eines stark gebauten Hampelmannes zu bedienen, dessen Schnüre sie nach Belieben handhaben würde. Und siehe! jetzt, da der entscheidende Tag gekommen, wollte der Hampelmann in seiner blöden Schwerfälligkeit allein gehen. Die ganze Hinterlistigkeit, die ganze fieberhafte Tätigkeit der kleinen Alten lehnte sich dagegen auf. Sie wußte, daß Peter eines gewalttätigen Entschlusses fähig sei, gleich jenem, den er faßte, als er seine Mutter eine Empfangsbestätigung über fünfzigtausend Franken unterschreiben ließ. Das Werkzeug war gut, weil wenig gewissenhaft; aber sie fühlte das Bedürfnis, es zu leiten, besonders unter den gegenwärtigen Umständen, die viel Geschmeidigkeit erforderten.
Die amtliche Nachricht von dem Staatsstreiche traf in Plassans erst am Nachmittag des 3. Dezember, einem Donnerstag ein. Schlag sieben Uhr war die ganze Gesellschaft des gelben Salons versammelt. Obgleich man die Krise sehnsüchtig herbeigewünscht hatte, malte sich eine unbestimmte Unruhe in den meisten Gesichtern. In endlosem Geschwätz wurden die Ereignisse erörtert. Bleich und erregt wie die anderen glaubte Peter in einem Übermaße von Vorsicht den entscheidenden Akt des Prinzen Louis Napoleon vor den Legitimisten und Orleanisten entschuldigen zu sollen.
Man spricht von einer Berufung an das Volk, sagte er; die Nation wird die Freiheit haben, eine ihr beliebige Regierung zu wählen; ... der Präsident ist der Mann dazu, daß er vor dem Gebote seiner rechtmäßigen Herren sich zurückzieht.
Der Marquis allein, der seine ganze vornehme Kaltblütigkeit bewahrt hatte, nahm diese Worte mit einem Lächeln auf; die anderen waren von dem Fieber des Augenblicks ergriffen und kümmerten sich nicht darum, was nachher kommen werde. Alle Meinungen gingen in die Brüche. Roudier vergaß der Zuneigung, die er als ehemaliger Krämer für die Orleans hatte, und unterbrach Peter mit plötzlichen Ausrufungen. Alle schrien durcheinander:
Nicht reden jetzt; denken wir nur daran, die Ordnung aufrecht zu erhalten!
Die braven Leute hatten eine heillose Furcht vor den Republikanern. Indes war die Stadt durch die Nachricht von den Parisern Ereignissen nur mäßig erregt worden. Es fanden einige Ansammlungen statt vor den Ankündigungen, die am Tore der Unterpräfektur angeschlagen waren; auch wurde erzählt, daß einige hundert Arbeiter ihre Beschäftigung im Stich gelassen hatten, um den Widerstand zu organisieren. Das war alles. Keine ernste Ruhestörung schien zu drohen. Mehr Sorge verursachte die Frage, welche Haltung die benachbarten Städte und Dörfer annehmen würden, doch war noch unbekannt, in welcher Weise diese den Staatsstreich aufgenommen hatten.
Gegen neun Uhr traf Granoux atemlos ein; er kam aus einer dringlich einberufenen Sitzung des Stadtrates. Mit einer vor Erregung zitternden Stimme erzählte er, der Bürgermeister, Herr Garçonnet, habe unter mannigfachen Vorbehalten sich entschlossen gezeigt, mit den energischsten Mitteln die Ordnung aufrecht zu erhalten. Doch die Nachricht, die den gelben Salon am meisten in Aufregung brachte, war, daß der Unterpräfekt abgedankt hatte. Dieser Beamte hatte sich stracks geweigert, die vom Minister des Innern empfangenen Depeschen der Bevölkerung von Plassans mitzuteilen; er habe soeben die Stadt verlassen, versicherte Granoux weiter, und die Depeschen seien nur auf Anordnung des Bürgermeisters angeschlagen worden. Dies sei vielleicht der einzige Unterpräfekt in Frankreich gewesen, der den Mut einer demokratischen Überzeugung hatte.
Waren die Rougon über die feste Haltung des Herrn Garçonnet im geheimen beunruhigt, so konnten sie andererseits nur schwer ihre Freude über die Flucht des Unterpräfekten verhehlen, der ihnen in dieser Weise das Feld geräumt hatte. In dieser denkwürdigen Zusammenkunft wurde beschlossen, daß die Gruppe vom gelben Salon den Staatsstreich annehme und sich offen für die vollzogenen Tatsachen erkläre. Vuillet wurde beauftragt, einen Artikel in diesem Sinne zu schreiben, den die Zeitung am folgenden Tage veröffentlichen solle. Er und der Marquis machten keinerlei Einwendung. Sie hatten ohne Zweifel ihre Weisungen von geheimnisvollen Persönlichkeiten erhalten, auf die sie manchmal eine ehrfurchtsvolle Anspielung machten. Die Geistlichkeit und der Adel waren schon bereit, den Siegern ihren Beistand zu leihen, um die Republik, diese gemeinsame Feindin, zu zertreten.
Während der gelbe Salon an diesem Abend über seine künftige Haltung beriet, litt Aristides eine Höllenangst. Nie hatte ein Spieler, der sein letztes Goldstück auf eine Karte setzte, in solcher Aufregung gelebt. Der Rücktritt seines Vorgesetzten hatte ihm schon im Laufe dieses Tages viel zu denken gegeben. Er hatte ihn mehrere Male wiederholen hören, daß der Staatsstreich mißlingen müsse. Dieser ehrliche, aber geistig beschränkte Beamte glaubte an den schließlichen Sieg des Volkstums, ohne indes den Mut zu besitzen, durch seinen Widerstand diesen Sieg zu fördern. Aristides horchte gewöhnlich an den Türen der Unterpräfektur, um genau unterrichtet zu sein. Er fühlte, daß er im Dunkeln tappe, und klammerte sich an die Nachrichten, die er der Verwaltung stahl. Die Ansicht des Unterpräfekten überraschte ihn, aber er blieb nichtsdestoweniger sehr verwirrt und unentschlossen. Er fragte sich: »Weshalb geht er, wenn er des Unterliegens des Prinz-Präsidenten so sicher ist?« Da er indes einen Entschluß fassen mußte, entschied er sich dafür, seinen Widerstand fortzusetzen. Er schrieb einen sehr heftigen Artikel gegen den Staatsstreich und brachte ihn noch am nämlichen Abend zum »Unabhängigen«, um ihn am folgenden Tage erscheinen zu lassen. Er hatte eben den Abzug dieses Artikels durchgesehen und ging nach seiner Wohnung, als er durch die Banne-Straße kommend unwillkürlich den Kopf erhob und nach den Fenstern der Rougon blickte. Die Fenster waren hell erleuchtet.
Was sie da oben wohl zusammenbrauen mögen? fragte sich der Journalist neugierig und besorgt.
Eine wahnsinnige Neugierde erfaßte ihn, die Meinung des gelben Salons über die neuesten Ereignisse kennen zu lernen. Er hielt nicht viel von dem Verständnis dieser reaktionären Gruppe; allein er schwankte wieder in seinen Zweifeln; es war eine jener Stunden über ihn gekommen, in denen man bereit ist, sich selbst mit einem vierjährigen Kinde zu beraten. Nachdem er Granoux und alle anderen bekriegt hatte, konnte er nicht daran denken, in diesem Augenblicke bei seinem Vater zu erscheinen. Nichtsdestoweniger ging er hinauf und dachte, daß er ein sonderbares Gesicht machen müsse, wenn ihn jemand auf der Treppe überraschen werde. Vor der Türe der Rougon konnte er nur ein unbestimmtes Gewirre von Stimmen vernehmen.
Ich bin wahrhaftig ein Kind, sagte er sich; die Furcht raubt mir den Verstand.
Er war im Begriffe wieder hinabzugehen, als er die Stimme seiner Mutter vernahm, die jemanden hinausgeleitete. Er hatte knapp Zeit, sich unter der kleinen Stiege zu verbergen, die nach dem Dachboden des Hauses führte. Die Türe ging auf und es erschien der Marquis, begleitet von Felicité. Herr von Carnavant ging in der Regel früher nach Hause als die kleinen Rentiers der Neustadt, ohne Zweifel, um nicht auf der Straße Händedrücke austeilen zu müssen.
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