In ihrem Feuereifer, den Ihrigen den richtigen Weg zu zeigen – jetzt, da sie die Wahrheit zu kennen glaubte – ging Felicité so weit, daß sie selbst ihren Sohn Pascal belehren wollte. Der Arzt, der sich mit dem Eigensinn des Gelehrten in seine Forschungen versenkt hatte, kümmerte sich sehr wenig um Politik. Während er ein Experiment machte, konnten Kaiserreiche in Trümmer gehen, ohne daß er auch nur den Kopf umgewandt hätte. Indes hatte er endlich den Bitten seiner Mutter nachgegeben, die ihm mehr als je vorwarf, daß er als Werwolf lebe.
Wenn du mehr in Gesellschaft kämest, sagte sie ihm, würdest du Patienten aus den vornehmen Kreisen bekommen. Komm doch zu uns, um die Abende in unserem Salon zuzubringen, da wirst du die Bekanntschaft der Herren Roudier, Granoux, Sicardot machen, lauter wohlhabende Leute, die dir einen ärztlichen Besuch mit vier und fünf Franken bezahlen werden. Die armen Leute werden dich nicht reich machen.
Der Gedanke, ans Ziel zu kommen, ihre ganze Familie reich werden zu sehen, war bei Felicité zu einer Sucht geworden. Um sie nicht zu kränken, kam Pascal einige Abende in den gelben Salon. Er langweilte sich daselbst weniger, als er befürchtet hatte. Das erstemal war er erstaunt über den Grad von Dummheit, zu dem ein sonst gesunder Mensch herabsinken kann. Die ehemaligen Öl- und Mandelhändler, der Marquis und der Major selbst schienen ihm interessante Geschöpfe, die er bisher zu studieren keine Gelegenheit hatte. Er betrachtete mit dem Interesse eines Naturalisten ihre Gesichter, die gleichsam in einer Grimasse gestockt waren und aus denen er ihre Beschäftigungen und ihre Bestrebungen herauslas. Er hörte ihr leeres Geschwätz mit demselben Interesse, als ob er den Sinn des Katzengewinsels und des Hundegebells hätte erforschen wollen. Zu jener Zeit beschäftigte er sich viel mit vergleichender Naturgeschichte, indem er die Wahrnehmungen, die er über die Art der Vererbung bei Tieren machte, auf das menschliche Geschlecht anwandte. Wenn er sich im gelben Salon befand, machte es ihm Spaß zu glauben, daß er in eine Menagerie geraten sei. Er suchte Ähnlichkeiten zwischen jedem dieser spaßigen Kerle und irgendeinem Tiere, das er kannte. Der Marquis erinnerte ihn an eine große, grüne Grille, er hatte ihre Magerkeit, ihren schmalen Kopf. Vuillet machte auf ihn den Eindruck einer grauen Kröte. Freundlicher war sein Urteil über Roudier; dieser schien ihm ein fettes Schaf, der Major eine alte, zahnlose Dogge. Der merkwürdige Granoux war ein Gegenstand seines fortwährenden Staunens. Er verbrachte einen ganzen Abend damit, seinen Gesichtswinkel zu messen. Wenn er ihn irgendeinen unbestimmten Schimpf gegen die Republikaner, diese Bluthunde, ausstoßen hörte, war er immer gefaßt, ihn blöken zu hören wie ein Kalb, und wenn er ihn sich erheben sah, bildete er sich immer ein, Granoux werde sich auf alle vier werfen und dann den Salon verlassen.
So rede doch etwas, sagte leise die Mutter. Trachte die Kundschaft dieser Herren zu gewinnen.
Ich bin kein Tierarzt, erwiderte er ungeduldig.
Eines Abends nahm Felicité ihn beiseite und versuchte ihm ins Gewissen zu reden. Sie war glücklich darüber, ihn jetzt mit einer gewissen Regelmäßigkeit bei ihr erscheinen zu sehen. Sie glaubte ihn für die Gesellschaft gewonnen, während sie keinen Augenblick das seltsame Vergnügen voraussetzen konnte, das er darin fand, die reichen Leute lächerlich zu machen. Sie nährte die geheime Hoffnung, aus ihm den beliebtesten Arzt in Plassans zu machen. Zu diesem Zwecke werde es genügen, daß Männer, wie Granoux und Roudier ihn in ihren Schutz nahmen. Vor allem wollte sie ihm die politischen Ideen der Familie beibringen, weil sie einsah, daß ein Arzt alles zu gewinnen habe, wenn er ein eifriger Parteigänger jener Regierung wurde, die berufen war, die Republik abzulösen.
Mein Lieber, sagte sie zu ihm, du bist endlich vernünftig geworden und mußt auch an deine Zukunft denken. Man beschuldigt dich, ein Republikaner zu sein, weil du dumm genug bist, allen Bettlern der Stadt unentgeltlich deinen Beistand zu leihen. Sei offen! Welches sind deine wirklichen politischen Ansichten?
Pascal betrachtete seine Mutter mit unverhohlenem Erstaunen. Dann sagte er lächelnd:
Meine wirklichen Ansichten? Ich weiß es wahrhaftig nicht. Du sagst, man beschuldigt mich, ein Republikaner zu sein; mich beleidigt das ganz und gar nicht. Ich bin es auch, wenn man unter diesen Worten einen Menschen versteht, der aller Welt das Beste wünscht.
Da wirst du zu nichts kommen, unterbrach ihn Felicité lebhaft. Man wird dich niedertreten. Sieh doch deine Brüder an; sie trachten, den richtigen Weg einzuschlagen.
Pascal begriff, daß er sich wegen seiner Eigennützigkeiten als Gelehrter nicht zu verteidigen habe. Seine Mutter beschuldigte ihn einfach, daß er auf die politische Lage nicht spekuliere. Er ließ ein bitteres Lachen vernehmen, und lenkte das Gespräch auf einen anderen Gegenstand. Niemals vermochte Felicité ihn zu bewegen, daß er die Aussichten der verschiedenen politischen Parteien erwäge, oder sich derjenigen anschließe, der seiner Ansicht nach der Sieg zufallen mußte. Er fuhr indessen fort, von Zeit zu Zeit im gelben Salon zu erscheinen. Besonders Granoux war es, der ihn interessierte wie ein vorsintflutliches Tier.
Inzwischen nahmen die Ereignisse ihren Fortgang. Das Jahr 1851 war für die Politiker von Plassans ein Jahr der Angst und des Schreckens, was der geheimen Sache der Rougon nur zum Nutzen gereichte. Es kamen die widersprechendsten Nachrichten aus Paris. Bald waren die Republikaner obenauf, bald wieder vernichtete die konservative Partei die Republik. Der Widerhall des Haders, der die gesetzgebende Versammlung zerfleischte, drang bis in die Tiefen der Provinz, an einem Tage vergrößert, am andern Tage verringert, fortwährend wechselnd, so daß selbst die Hellsehenden irre wurden. Doch herrschte das allgemeine Gefühl, daß man vor einer Lösung stehe und die Unkenntnis dieser Lösung war es, die dieses Volk von feigen Spießbürgern in zähneklappernder Besorgnis hielt. Alle sehnten ein Ende herbei. Diese Ungewißheit machte sie krank. Sie wären bereit gewesen, sich dem Großtürken in die Arme zu werfen, wenn der Großtürke geruht hätte, Frankreich vor der Anarchie zu retten.
Das Lächeln des Marquis ward immer spitziger. Des Abends näherte er sich im gelben Salon, wenn der Schrecken das Gebrumme des Herrn Granoux immer unverständlicher machte, Felicité und flüsterte ihr ins Ohr:
Die Frucht ist reif, Kleine. Aber ihr müßt euch nützlich machen.
Felicité, die fortfuhr, die Briefe Eugens zu lesen, und daher wußte, daß die entscheidende Krise von einem Tag zum anderen eintreten könne, hatte die Notwendigkeit, sich nützlich zu machen, oft eingesehen und sich gefragt, wie die Rougon sich nützlich machen würden. Schließlich beriet sie sich hierüber mit dem Marquis.
Alles hängt von den Ereignissen ab, erwiderte der kleine Greis. Wenn der Bezirk ruhig bleibt, wenn keine Erhebung die Stadt umstürzt, wird es euch schwer sein, hervorzutreten und der neuen Regierung Dienste zu erweisen. Ich rate euch daher, ruhig zu Hause zu bleiben und die Nachrichten eures Sohnes Eugen abzuwarten. Allein wenn das Volk sich erhebt und unsere braven Spießbürger sich bedroht glauben, wird es für euch eine hübsche Rolle zu spielen geben. Dein Mann ist ein wenig schwerfällig...
Oh, rief Felicité, ich werde ihn schon geschmeidig machen. Glauben Sie, daß der Bezirk sich erheben wird?
Ich halte es für sicher. Plassans wird vielleicht ruhig bleiben; die Reaktion ist daselbst zu stark. Allein die benachbarten Städte, Dörfer und Weiler werden seit langer Zeit durch geheime Gesellschaften bearbeitet und gehören zur fortgeschrittenen republikanischen Partei. Wenn ein Staatsstreich losbricht, wird man Sturm läuten in der ganzen Gegend, von den Wäldern des Seillegebirges bis zur Hochebene von Sainte-Roure.
Читать дальше