Auf der anderen Seite werden diejenigen Naturforscher, welche das Princip der Entwicklung annehmen, – und dies wird von der größeren Zahl der aufstrebenden Männer jetzt angenommen, – keinen Zweifel haben, daß alle Menschenrassen von einem einzigen ursprünglichen Stamm herrühren, mögen sie es nun für passend oder nicht für passend halten, dieselben als distincte Species zu bezeichnen zum Zweck, damit den Betrag ihrer Verschiedenheit auszudrücken. 374Bei unsern domesticierten Thieren steht die Frage, ob die verschiedenen Rassen von einer oder mehreren Species ausgegangen sind, etwas verschieden. Obgleich man zugeben kann, daß alle solche Rassen ebenso wie alle natürlichen Species innerhalb einer und derselben Gattung unzweifelhaft einem und demselben primitiven Stamme entsprungen sind, so ist es doch ein völlig zulässiger Gegenstand der Discussion, ob alle die domesticierten Rassen, z. B. des Hundes, den jetzigen Grad von Verschiedenheit erlangt haben, seitdem irgend eine Species zuerst vom Menschen domesticiert wurde, oder ob sie einige ihrer Charaktere einer Vererbung von distincten Species verdanken, welche bereits im Naturzustande verschieden geworden waren. In Betreff des Menschen kann keine solche Frage entstehen, denn man kann nicht sagen, daß er zu irgend einer besonderen Periode domesticiert worden wäre.
Während eines frühen Stadiums der Divergenz der Menschenrassen von einer gemeinsamen Stammform werden sie nur wenig von einander abgewichen und der Zahl nach nur wenig gewesen sein. In Folge dessen werden sie, soweit ihre unterscheidenden Merkmale in Betracht kommen, weniger Ansprüche gehabt haben, als distincte Species betrachtet zu werden, als die jetzt existierenden sogenannten Rassen. Nichtsdestoweniger würden solche frühe Rassen vielleicht von einigen Naturforschern als distincte Species aufgeführt worden sein, – so willkürlich ist der Ausdruck Species, – wenn ihre Verschiedenheiten, obschon äußerst unbedeutend, constanter gewesen wären, als sie es jetzt sind, und sie nicht allmählich in einander übergegangen wären.
Es ist indessen möglich, wenn auch nicht entfernt wahrscheinlich, daß die ältesten Urerzeuger des Menschen früher bedeutend in ihren Charakteren von einander auseinander gegangen sind, bis sie einander unähnlicher wurden, als es die jetzt bestehenden Rassen irgendwie sind, und daß sie später, wie Vogt 375vermuthet, in ihren Charakteren convergiert haben. Wenn der Mensch mit einem und demselben Ziele vor Augen die Nachkommen zweier distincter Species zur Nachzucht auswählt, so führt er zuweilen, soweit die allgemeine äußere Erscheinung in Betracht kommt, einen beträchtlichen Grad von Convergenz herbei. Dies ist, wie Nathusius 376gezeigt hat mit den veredelten Rassen der Schweine der Fall, welche von zwei distincten Species abgestammt sind, und in einem weniger scharf markierten Grade auch mit den veredelten Rassen des Rindes. Ein bedeutender Anatom, Gratiolet , behauptet, daß die anthropomorphen Affen keine natürliche Untergruppe bilden, daß vielmehr der Orang ein hoch entwickelter Gibbon oder Semnopithecus , der Schimpanse ein hoch entwickelter Macacus und der Gorilla ein hoch entwickelter Mandrill ist. Wenn man diese Folgerung, welche fast ausschließlich auf Charakteren des Gehirns beruht, zugiebt, so würde man einen Fall von Convergenz, mindestens in äußeren Merkmalen, vor sich haben; denn die anthropomorphen Affen sind sich sicherlich in vielen Punkten einander ähnlicher, als sie anderen Affen sind. Alle analogen Ähnlichkeiten, wie die eines Walfisches mit einem Fisch, kann man in der That als Fälle von Convergenz bezeichnen; doch ist dieser Ausdruck niemals auf oberflächliche und adaptive Ähnlichkeiten angewendet worden. In den meisten Fällen würde es indessen außerordentlich voreilig sein, eine große Ähnlichkeit der Merkmale in vielen Punkten des Baues bei den modificierten Nachkommen einst weit von einander verschieden gewesener Wesen einer Convergenz zuzuschreiben. Die Form eines Crystalls wird allein durch die Molecularkräfte bestimmt, und es ist nicht überraschend, daß unähnliche Substanzen zuweilen ein und dieselbe Form annehmen können; aber bei organischen Wesen müssen wir uns doch daran erinnern, daß die Form eines jeden von einer endlosen Menge complicierter Beziehungen abhängt, nämlich von Abänderungen, welche Folgen von Ursachen sind, die viel zu intricat sind, um einzeln verfolgt werden zu können; – ferner von der Natur der Abänderungen, welche erhalten worden sind, und dies hängt wieder von den umgebenden physikalischen Bedingungen und in einem noch höheren Grade von den umgebenden Organismen ab, mit welchen ein jeder in Concurrenz getreten ist; – und endlich von Vererbung, an sich schon ein schwankendes Element, wobei alle die zahllosen Voreltern wieder Formen besaßen, welche durch ganz gleichmäßig complicierte Beziehungen bestimmt worden waren. Es erscheint im äußersten Grade unglaublich, daß die modificierten Nachkommen zweier Organismen, wenn diese in einer ausgesprochenen Weise von einander verschieden waren, jemals später so weit convergieren sollten, daß sie durch ihre ganze Organisation hindurch sich einer Identität näherten. Was den oben angezogenen Fall der convergierenden Rassen der Schweine betrifft, so haben sich Beweise ihrer Abstammung aus zwei ursprünglichen Stämmen noch immer deutlich erhalten, und zwar nach Nathusius an gewissen Knochen ihrer Schädel. Wären die Menschenrassen, wie es einige Naturforscher vermuthen, von zwei oder mehreren distincten Species abgestammt, welche von einander so weit oder nahezu so weit abgewichen wären, wie der Orang vom Gorilla abweicht, so ließe sich kaum bezweifeln, daß ausgesprochene Verschiedenheiten in der Structur gewisser Knochen noch immer beim Menschen, wie er jetzt existiert, nachweisbar sein würden.
Fußnote
369A. de Quatrefages hat in der Anthropolog. Review, Jan. 8., 1869, p. 22 einen interessanten Bericht über den Erfolg und die Energie der Paulistas in Brasilien gegeben, welche eine stark gekreuzte Rasse von Portugiesen und Indianern mit einer Zumischung von Blut anderer Rassen darstellen.
370z. B. bei den Eingeborenen von Amerika und Australien. Prof. Huxley sagt (Transact. Internation. Congress of Prehistoric. Archaeol. 1868, p. 105), daß »die Schädel vieler Süddeutscher und Schweizer so kurz und breit sind, »wie die der Tartaren« u. s. w.
371s. eine gute Erörterung dieses Gegenstandes bei Waitz , Introduct. to Anthropology. Engl. transl. 1863, p. 198-208, 227. Mehrere der obigen Angaben habe ich aus H. Tuttle 's Origin and Antiquity of Physical Man, Boston, 1866, p. 35 entnommen.
372Prof. Nägeli hat mehrere auffallende Fälle in seinen Botanischen Mittheilungen Bd. II, 1866, p. 294-369 sorgfältig beschrieben. Ähnliche Bemerkungen hat Prof. Asa Gray über einige intermediäre Formen der Compositen Nord-Amerikas gemacht.
373Entstehung der Arten. 7. Aufl. p. 78.
374s. Prof. Huxley , welcher sich in diesem Sinne ausdrückt, in: Fortnightly Review. 1865, p. 275.
375Vorlesungen über den Menschen. Bd. II, p. 285.
376Die Rassen des Schweins. 1860, p. 46. Vorstudien für eine Geschichte etc. Schweineschädel. 1864, p. 104. In Bezug auf das Rind s. A. de Quatrefages , Unité de l'Espèce Humaine. 1861, p. 119.
Obgleich die jetzt lebenden Menschenrassen in vielen Beziehungen, so in der Farbe, dem Haar, der Form des Schädels, den Proportionen des Körpers u. s. w., verschieden sind, so stellen sie sich doch, wenn man ihre ganze Organisation in Betracht zieht, als einander in einer Menge von Punkten äußerst ähnlich heraus. Viele dieser Punkte sind so bedeutungslos, oder von einer so eigenthümlichen Natur, daß es äußerst unwahrscheinlich ist, daß dieselben von ursprünglich verschiedenen Species oder Rassen unabhängig erlangt worden sein sollten. Dieselbe Bemerkung trifft mit gleicher oder noch größerer Kraft zu in Bezug auf die zahlreichen Punkte geistiger Ähnlichkeit zwischen den verschiedensten Rassen des Menschen. Die Eingeborenen von Amerika, die Neger und die Europäer weichen von einander ihrem Geiste nach so weit ab, als irgend drei Rassen, die man nur nennen könnte. Und doch war ich, als ich mit den Feuerländern an Bord des Beagle zusammenlebte, unaufhörlich von vielen kleinen Charakterzügen überrascht, welche zeigten, wie ähnlich ihre geistigen Anlagen den unsrigen waren; und dasselbe war der Fall in Bezug auf einen Vollblutneger, mit dem ich zufällig eine Zeit lang nahe bekannt war.
Читать дальше