Es ist nicht meine Absicht, hier die verschiedenen sogenannten Rassen des Menschen zu beschreiben, sondern ich will nur untersuchen, was der Werth der Unterschiede zwischen ihnen von einem classificatorischen Gesichtspunkte aus ist, und wie dieselben entstanden sind. Bei der Bestimmung des Umstands, ob zwei oder mehrere mit einander verwandte Formen als Species oder als Varietäten zu classificieren sind, werden die Naturforscher practisch durch die folgenden Betrachtungen geleitet: einmal nämlich durch den Betrag an Verschiedenheit zwischen ihnen, und ob derartige Verschiedenheiten sich auf wenige oder viele Punkte ihres Baues beziehen, und ob dieselben von physiologischer Bedeutung sind; aber noch specieller durch den Umstand, ob diese Verschiedenheiten constant sind. Constanz des Charakters ist das, was für besonders werthvoll gehalten und wonach von den Naturforschern gesucht wird. Sobald gezeigt oder wahrscheinlich gemacht werden kann, daß die in Frage stehenden Formen eine lange Zeit hindurch verschieden geblieben sind, so wird dies ein Argument von bedeutendem Gewichte zu Gunsten ihrer Behandlung als Species. Selbst ein unbedeutender Grad von Unfruchtbarkeit zwischen irgend zwei Formen bei ihrer ersten Kreuzung oder bei ihren Nachkommen wird allgemein als eine entscheidende Probe für ihre specifische Verschiedenheit angesehen; auch wird ihr beständiges Getrenntbleiben innerhalb eines und desselben Bezirks ohne Verschmelzung gewöhnlich als hinreichender Beweis angesehen entweder für einen gewissen Grad gegenseitiger Unfruchtbarkeit oder, was die Thiere betrifft, eines gewissen Widerwillens gegen wechselseitige Paarung.
Unabhängig von einer Verschmelzung in Folge einer Kreuzung ist der vollständige Mangel von Varietäten, welche irgend zwei nahe verwandte Formen in einer sonst gut untersuchten Gegend mit einander verbinden, wahrscheinlich das bedeutungsvollste von allen Kennzeichen für ihre specifische Verschiedenheit. Und hier liegt ein von der Berücksichtigung der bloßen Constanz des Charakters etwas verschiedener Gedanke zu Grunde; denn zwei Formen können äußerst variabel sein und doch keine Zwischenvarietäten erzeugen. Geographische Verbreitung wird oft unbewußt und zuweilen bewußt als Zeugnis mit herangezogen, so daß Formen, welche in zwei weit von einander getrennten Bezirken leben, innerhalb deren die meisten andern Bewohner specifisch verschieden sind, gewöhnlich auch selbst als verschieden betrachtet werden; doch bietet dieser Umstand in Wahrheit keine Hülfe zur Unterscheidung geographischer Rassen von sogenannten guten oder echten Species dar.
Wir wollen nun diese allgemein angenommenen Grundsätze auf die Rassen des Menschen anwenden und ihn in demselben Sinne betrachten, in welchem ein Naturforscher irgend ein anderes Thier ansehen würde. Was den Betrag an Verschiedenheit zwischen den Rassen betrifft, so müssen wir unserem feinen Unterscheidungsvermögen etwas zu gute rechnen, welches wir durch die lange Übung der Selbstbeobachtung gewonnen haben. Obschon, wie Elphinstone bemerkt, ein neu in Indien angekommener Europäer zuerst die verschiedenen eingeborenen Rassen nicht unterscheiden kann, so erscheinen sie ihm doch bald äußerst unähnlich; 354und ebenso kann der Hindu zuerst keine Verschiedenheit zwischen den verschiedenen europäischen Eingeborenen wahrnehmen. Selbst die verschiedensten Menschenrassen sind einander der Form nach viel ähnlicher, als zuerst angenommen werden würde; gewisse Negerstämme müssen ausgenommen werden, während andere, wie mir Dr. Rohlfs schreibt und wie ich selbst gesehen habe, kaukasische Gesichtszüge haben. Diese allgemeine Ähnlichkeit zeigt sich deutlich in den französischen Photographien in der Collection anthropologique du Muséum von Menschen, die verschiedenen Rassen angehören, von welchen die größere Zahl (wie viele Leute, denen ich sie gezeigt habe, bemerkt haben) für Europäer gelten kann. Nichtsdestoweniger würden diese Menschen, wenn man sie lebendig sähe, unzweifelhaft sehr verschieden erscheinen, so daß wir ganz entschieden in unserem Urtheile durch die bloße Farbe der Haut und des Haars, durch unbedeutende Verschiedenheiten in den Gesichtszügen und durch den Ausdruck sehr beeinflußt werden.
Es ist indessen zweifellos, daß die verschiedenen Rassen, wenn sie sorgfältig verglichen und gemessen werden, bedeutend von einander abweichen, – so in der Textur des Haars, den relativen Proportionen aller Theile des Körpers, 355der Capacität der Lungen, der Form und dem Rauminhalte des Schädels und selbst in den Windungen des Gehirns. 356Es würde aber eine endlose Aufgabe sein, die zahlreichen Punkte der Verschiedenheiten des Baues einzeln durchzugehen. Die Rassen weichen auch in der Constitution, in der Acclimatisationsfähigkeit und in der Empfänglichkeit für verschiedene Krankheiten von einander ab; auch sind ihre geistigen Merkmale sehr verschieden, hauptsächlich allerdings, wie es scheinen dürfte, in der Form ihrer Gemüthserregungen, zum Theil aber auch in ihren intellectuellen Fähigkeiten. Ein Jeder, welcher die Gelegenheit zur Vergleichung gehabt hat, muß von dem Contraste überrascht gewesen sein zwischen dem schweigsamen, selbst morosen Eingeborenen von Süd-Amerika und dem leichtherzigen, schwatzhaften Neger. Ein ziemlich ähnlicher Contrast besteht zwischen den Malayen und Papuas, 357welche unter denselben physikalischen Bedingungen leben und nur durch einen sehr schmalen Meeresstrich von einander getrennt sind.
Wir wollen zuerst die Gründe betrachten, die man zu Gunsten einer Classification der Menschenrassen als besonderer Arten vorbringen kann, und dann die, welche für die gegenteilige Ansicht sprechen. Wenn ein Naturforscher, welcher noch niemals zuvor einen Neger, Hottentotten, Australier oder Mongolen gesehen hätte, diese mit einander zu vergleichen hätte, so würde er sofort bemerken, daß sie in einer Menge von Charakteren von einander abweichen, von denen einige unbedeutend, einige aber von ziemlicher Bedeutung sind. Bei näherer Erörterung würde er finden, daß diese Formen einem Leben unter sehr verschiedenen Klimaten angepaßt sind und daß sie auch in ihrer körperlichen Constitution und ihren geistigen Anlagen etwas von einander verschieden sind. Wenn man ihm dann sagte, daß Hunderte ganz ähnlicher Exemplare aus denselben Ländern herbeigebracht werden könnten, se würde er zuversichtlich erklären, daß sie so gute Species seien wie viele andere, welche er mit specifischen Namen zu versehen gewohnt wäre. Diese Folgerung würde noch bedeutend an Stärke gewinnen, sobald er sich vergewissert hätte, daß diese Formen dieselben Merkmale schon für viele Jahrhunderte beibehalten haben, und daß Neger, die allem Anscheine nach mit den jetzt lebenden identisch waren, mindestens schon vor viertausend Jahren gelebt haben. 358Er würde ferner von einem ausgezeichneten Beobachter, Dr. Lund , 359hören, daß die in den Höhlen von Brasilien gefundenen Menschenschädel, welche mit vielen ausgestorbenen Säugethieren dort begraben sind, zu demselben Typus gehören, welcher jetzt noch über den ganzen amerikanischen Continent vorherrscht.
Unser Naturforscher würde sich dann vielleicht zur geographischen Verbreitung wenden und würde wahrscheinlich erklären, daß Formen, welche nicht bloß dem äußeren Anscheine nach von einander abweichen, sondern welche einerseits für die heißesten, andererseits für die feuchtesten oder auch trockensten Länder und ebenso für arctische Gegenden angepaßt sind, distincte Species sein müssen. Er dürfte sich wohl auf die Thatsache berufen, daß keine einzige Species in der dem Menschen zunächst stehenden Thiergruppe, nämlich den Quadrumanen, einer niederen Temperatur oder einem einigermaßen beträchtlichen Wechsel des Klimas widerstehen kann, und daß diejenigen Species, welche dem Menschen am nächsten kommen, niemals selbst unter dem temperierten Klima von Europa bis zur Reife aufgezogen worden sind. Die zuerst von Agassiz 360erwähnte Thatsache würde einen tiefen Eindruck auf ihn machen, daß nämlich die verschiedenen Rassen über die ganze Erde in dieselben zoologischen Provinzen vertheilt sind, wie diejenigen sind, welche von unzweifelhaft verschiedenen Arten und Gattungen von Säugethieren bewohnt werden. Dies ist ganz offenbar der Fall mit den Australiern, den mongolischen und Neger-Rassen des Menschen, in einer weniger scharf ausgesprochenen Weise mit den Hottentotten, aber wieder deutlich mit den Papuas und Malayen, welche, wie Mr. Wallace gezeigt hat, ziemlich durch dieselbe Linie von einander geschieden werden, welche die beiden großen zoologischen Provinzen von einander trennt, die Malayische und Australische. Die Ureinwohner von Amerika haben ihren Verbreitungsbezirk über diesen ganzen Continent, und dies scheint zuerst der oben angegebenen Regel entgegen zu sein, denn die meisten Naturerzeugnisse der südlichen und nördlichen Hälfte sind sehr verschieden. Doch verbreiten sich einige wenige Lebensformen, wie das Opossum, von der einen Hälfte in die andere, wie es früher auch mit einigen der gigantischen Edentaten der Fall war. Die Eskimos erstrecken sich, wie andere arctische Thiere, rund um die ganze Polargegend herum. Man muß auch beachten, daß der Grad der Verschiedenheit zwischen den Säugethieren der verschiedenen zoologischen Provinzen nicht dem Grade der Trennung der letzteren von einander entspricht, so daß man es auch kaum als eine Anomalie betrachten kann, daß der Neger mehr und der Amerikaner viel weniger von den anderen Menschenrassen abweicht, als es die Säugethiere derselben Continente, Afrika und Amerika, von denen anderer Provinzen thun. Es kann auch noch hinzugefügt werden, daß allem Anscheine nach der Mensch ursprünglich keine oceanische Insel bewohnt hat; und in dieser Beziehung gleicht er den anderen Mitgliedern seiner Classe.
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