Jetzt war sie nicht mehr das zweifelhafte Organ einer Gruppe von politischen Ränkeschmieden, sondern das erklärte Organ der Regierung.
Laroche-Mathieu war die Seele des Blattes und Du Roy sein Sprachrohr. Der alte Walter wußte zu verschwinden. Er blieb der stumme Abgeordnete, der verschmitzte Herausgeber und betrieb im stillen, hieß es, eine riesige Kupferminen-Spekulation in Marokko.
Magdalenes Salon war ein einflußreicher Mittelpunkt geworden, wo sich jede Woche mehrere Mitglieder des Kabinets trafen. Sogar der Minister-Präsident hatte zweimal bei ihr gegessen, und die Frauen der Staatsmänner, die früher gezögert ihre Schwelle zu betreten, rühmten sich nun ihre Freundinnen zu sein, und besuchten sie öfter, als Magdalene sie aufsuchte.
Der Minister des Aeußeren war fast Herr im Hause. Zu allen möglichen Stunden kam er, brachte Telegramme, Auskünfte, Nachrichten, die er entweder dem Mann oder der Frau diktierte, als wären sie seine Sekretäre.
Wenn dann Du Roy, nachdem der Minister fortgegangen war, mit Magdalene allein blieb, ward er wütend und schleuderte Drohungen und Verdächtigungen gegen diesen mittelmäßigen Emporkömmling.
Aber sie zuckte verachtungsvoll die Achseln und meinte:
– Thu es ihm doch nach! Werde doch Minister und dann kannst Du reden, aber bis dahin sei ganz still!
Er drehte den Schnurrbart und blickte sie von der Seite an:
– Wer weiß, was ich noch mal werde. Das wird sich schon eines Tages zeigen!
Sie antwortete philosophisch:
– Kommt Zeit, kommt Rat!
Am Morgen der Eröffnung der Kammer lag die junge Frau noch im Bett und gab ihrem Mann noch allerlei Aufträge, während er sich anzog, um bei Laroche zu frühstücken, wobei er vor der Sitzung noch die Unterlagen bekommen sollte für ben Leitartikel des andern Tages in der › Vie française ‹ denn dieser Leitartikel sollte eine Art offiziöses Programm des neuen Kabinets werden.
Magdalene sagte:
– Vor allem vergiß nicht ihn zu fragen, ob General Belloncle, wie zuerst behauptet wurde, nach Oran geschickt wird. Das wäre natürlich sehr wichtig! Georg antwortete nervös:
– Ich weiß doch eben so gut wie Du, was ich zu thun und zu lassen habe. Laß mich doch mal in Ruhe! Immer dieselbe Leier!
Sie antwortete ruhig:
– Lieber Freund, Du vergißt immer die Hälfte aller Aufträge, die ich für den Minister habe.
Er brummte:
– Ach, Dein Minister fängt an langweilig zu werden! Der Kerl ist ein Gimpel!
Sie sagte ganz ruhig:
– Er ist ebensogut Dein Minister, wie meiner; jedenfalls ist er Dir nützlicher als mir.
Er hatte sich zu ihr umgewendet und lächelte:
– Bitte, er macht mir nicht den Hof.
Sie erklärte langsam:
– Mir übrigens auch nicht! Aber unser Glück macht er.
Er schwieg, dann sagte er nach einem Augenblick:
– Weißt Du, wenn ich zwischen Deinen Anbetern zu, wählen habe, ist mir das alte Rindvieh der Vaudrec doch noch lieber. Was macht er denn eigentlich? Ich habe ihn seit acht Tagen nicht gesehen.
Sie antwortete ohne Erregung:
– Er hat mir geschrieben, er wäre bettlägerig. Er hat einen Gichtanfall gehabt. Du könntest Dich eigentlich nach ihm erkundigen. Du weißt doch, daß er Dich sehr gern hat. Es würde ihm Freude machen.
Georg antwortete:
– Gewiß, ich gehe nachher hin.
Er hatte sich fertig angezogen, den Hut aufgesetzt und überlegte, ob er nicht etwas vergessen hätte.
Er fand nichts, trat an das Bett und küßte seine Frau auf die Stirn:
– Auf Wiedersehen, liebes Kind, ich kann vor frühestens sieben Uhr nicht zurück sein. – Und er ging davon.
Herr Laroche-Mathieu erwartete ihn. An diesem Tage frühstückte er schon um zehn Uhr. Der Ministerrat sollte um zwölf Uhr zusammen treten, ehe das Parlament eröffnet würde.
sie bei Tisch saßen – es war nur noch der Privatsekretär des Ministers da, weil Frau Laroche ihre Frühstücksstunde nicht hatte verlegen wollen – sprach Du Roy von seinem Artikel. Er gab den Gedankengang an, nach den Notizen, die er sich auf einer Visitenkarte gemacht. Als er fertig war, fragte er:
– Ist irgend etwas zu ändern, Herr Minister?
– Sehr wenig, lieber Freund. Vielleicht sind Sie in der marokkanischen Angelegenheit zu positiv. Sie können von der Expedition sprechen, als würde sie unternommen; aber es muß doch heraus klingen, daß sie nicht stattfinden wird, und daß Sie absolut nicht daran glauben. Richten Sie es so ein, daß die Leute zwischen den Zellen lesen, daß wir uns auf das Abenteuer nicht einlassen.
– Ich verstehe schon, und ich werde es schon machen. Übrigens hat mir meine Frau aufgetragen, bei dieser Gelegenheit zu fragen, ob General Belloncle eigentlich nach Oran geschickt wird? Nach dem was Sie da sagen, denke ich Wohl, nein.
Der Staatsmann antwortete: – Nein!
Dann sprach man von der Kammereröffnung. Laroche-Mathieu fing an, eine lange Rede zu halten, indem er sich auf wirksame Redewendungen vorbereitete, mit denen er ein paar Stunden später seine Kollegen überschütten wollte. Er gestikulierte mit der rechten Hand, hob ab und zu die Gabel oder das Messer oder ein Stück Brot und wendete sich, ohne jemanden dabei anzublicken, an die unsichtbare Versammlung. So entlud sich seine süßliche Beredsamkeit. Sein winziger gedrehter Schnurrbart endete in zwei Spitzchen, gleich ein paar Skorpionenstacheln, und sein pomadisiertes Haar, das in der Mitte gescheitelt war, kräuselte sich an den Schläfen in zwei großen Bogen, wie bei einem Provinzdandy. Er war ein wenig zu dick, etwas aufgeschwemmt, trotz seiner Jugend; die Weste spannte sich über seinem Bäuchlein.
Der Privatsekretär aß und trank ganz ruhig weiter, er war wohl diese Ströme von Beredsamkeit gewöhnt. Aber Georg, dem der Erfolg jenes am Herzen fraß, dachte:
»Rede nur immer zu. Was seid ihr Politiker doch für Idioten.«
Und indem er seinen eignen Wert mit der geschwätzigen Wichtigkeit dieses Ministers verglich, sagte er sich:
»Verflucht, wenn ich nur hunderttausend Franken hätte, um mich in meiner schönen Heimat Rouen als Abgeordneter aufstellen zu lassen und meine braven, gerissenen, schwerfälligen normannischen Landsleute trotz ihrer Schlauheit reinzulegen! Was für ein Staatsmann würde ich werden, im Vergleich zu diesem impotenten Gesindel!«
Bis zum Kaffee schwatzte Laroche-Mathieu. Als er dann sah, daß es spät geworden war; klingelte er nach dem Wagen und streckte dem Journalisten die Hand entgegen:
– Lieber Freund, wir sind einig! Nicht wahr?
– Vollkommen, liebe Exzellenz, zählen Sie auf mich! Und Du Roy ging langsam zur Redaktion, um seinen Artikel zu beginnen, denn bis vier Uhr hatte er nichts vor. Zu dieser Stunde sollte er in der Rue de Constantinople Frau von Marelle treffen, die er regelmäßig, zweimal wöchentlich, Montag und Freitag, sah.
Aber als er auf die Redaktion kam, wurde ihm ein Telegramm überreicht. Es war von Frau Walter und lautete:
»Ich muß Dich durchaus heute sprechen. Etwas sehr, sehr Wichtiges. Erwarte mich um zwei Uhr Rue de Constantinople. Ich kann Dir einen großen Dienst leisten. Bis in den Tod getreu Virginie.«
Er fluchte:
– Gott verdamm mich! So eine Klette! –
Und von einem Anfall schlechter Laune gepackt, ging er sofort aus, denn er war zu wütend, als daß er hätte arbeiten können.
Seit sechs Wochen versuchte er mit ihr zu brechen, ohne daß es ihm gelungen wäre, ihre zähe Zuneigung zum Wanken zu bringen. Nach jenem Tage hatte sie einen fürchterlichen Reueanfall gehabt und die drei nächsten Male, wo sie sich trafen, ihren Geliebten mit Vorwürfen und Verwünschungen überschüttet. Diese Scenen ärgerten ihn, und er hatte längst genug von dieser reifen, alles gleich tragisch nehmenden Frau, So hatte er sich einfach nicht mehr gezeigt und hoffte, daß dies kleine Verhältnis damit zu Ende sei.
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