Endlich meinte er, er sei die Frau des Chefs so ziemlich los; er hatte ihr ganz offen, beinah roh, seinen Entschluß, mit ihr zu brechen, mitgeteilt, und gerade da bekam er auf der Redaktion dieses Telegramm, das ihn nach der Rue de Constantinople rief.
Als er auf der Straße dahin ging, las er es noch einmal:
»Ich muß Dich durchaus heute sprechen. Ich kann Dir einen großen Dienst leisten. Bis in den Tod getreu Virginie.«
Er dachte: »Was will denn nun wieder diese alte Nachteule von mir? Ich will doch wetten, sie hat mir gar nichts zu sagen. Sie will mir nur wiederholen, wie sie mich liebt, aber jedenfalls muß ich sie sehen. Sie spricht von einer wichtigen Sache, von einem großen Dienst, es könnte doch wahr sein. Aber Clotilde kommt um vier Uhr, spätestens um drei muß ich also die Alte rausschmeißen. Verflucht nochmal, wenn sie sich bloß nicht treffen. Verdammte Frauenzimmer-Wirtschaft!«
Und er dachte daran, daß seine Frau eigentlich die einzige war, die ihn nie quälte. Sie lebte für sich, und scheinbar liebte sie ihn sehr, zu den der Liebe bestimmten Stunden, denn man durfte bei ihr niemals die Ordnung der gewöhnlichen Lebensverrichtungen stören.
Mit langsamem Schritt ging er zum Stelldichein, indem er innerlich über die Frau des Chefs schimpfte:
»Wenn sie mir aber nichts zu sagen hat, werde ich sie schön anlaufen lassen. Ein Bauerngeschimpf soll zahm sein gegen das, was ich ihr sage, vor allen Dingen werde ich ihr sagen, daß ich nie wieder einen Fuß zu ihr setze.«
Und er betrat die Wohnung, um Frau Walter zu erwarten.
Sie kam beinahe sofort, und sobald sie ihn sah, sagte sie:
– Gott sei Dank, Du hast mein Telegramm bekommen!
Er hatte einen bösen Ausdruck angenommen:
– Ja, ich habe es auf der Redaktion gefunden, als ich gerade in die Kammer wollte. Was willst Du noch von mir?
Sie hatte ihren Schleier in die Höhe geschlagen, um ihn zu küssen und näherte sich ihm mit furchtsamer, verschüchterter Miene, wie ein geprügelter Hund:
– Du bist so hart gegen mich … wie Du zu mir sprichst! .. Was habe ich Dir denn gethan? .. Du glaubst es nicht, wie ich durch Dich leide!
– Geht es schon wieder los? – brummte er.
Sie stand dicht neben ihm, nur ein Lächeln erwartend, um sich an seinen Hals zu werfen.
Sie flüsterte:
– Du hättest nicht mit mir anfangen sollen, Du hättest mich tugendhaft und glücklich lassen sollen, wie ich war. Weißt Du noch, was Du mir in der Kirche sagtest, wie Du mich hierher geschleppt hast? Und nun redest du so! Mein Gott! Wie thust Du mir weh!
Er stampfte mit dem Fuße auf und sagte heftig:
– Ach, ich habe genug davon! Wenn ich Dich eine Minute sehe, geht immer das alte Lied wieder los! Das ist ja wirklich, als hätte ich dich mit zwölf Jahren verführt und als wärest Du unschuldig gewesen wie ein Engel. Nein, meine Liebe, wir wollen mal bei den Thatsachen bleiben. Ich habe keine Minderjährige verführt. Du bist zu mir gekommen, als Du alt und vernünftig genug warst. Ich danke Dir, ich bin Dir äußerst dankbar, aber ich kann Dir doch nicht bis zu meinem Ende am Unterrock hängen. Du bist verheiratet und ich auch, wir sind beide nicht frei, wir haben zusammen einen Scherz gemacht und nun ist es eben alle.
Sie sagte:
– Aber bist Du roh! Bist Du grob und unglaublich gemein! Nein, ein junges Mädchen war ich nicht mehr, aber ich hatte noch nie geliebt, nie einen Fehltritt gethan ..
Er schnitt ihr das Wort ab:
– Das hast Du mir schon zwanzig Mal gesagt, und ich weiß es. Aber Du hattest doch schon zwei Kinder, also bin ich doch wohl nicht der erste gewesen.
Sie wich zurück:
– Georg, das ist schamlos!
Sie preßte beide Hände auf die Brust, begann nach Atem zu ringen, und schließlich stiegen ihr die Thränen herauf.
Als er die Thränen kommen sah, nahm er seinen Hut von der Kaminecke:
– Ach so, Du willst heulen, na dann adieu! Zu so ‘ner Komödie hast Du mich kommen lassen?
Sie trat ihm in den Weg, zog schnell ihr Taschentuch hervor und wischte sich mit kräftiger Bewegung die Augen. Sie zwang sich, ihrer Stimme Festigkeit zu geben und sagte, nur einmal von einem Schmerzensausbruch unterbrochen:
– Nein .. ich bin gekommen um Dir .. eine Nachricht zu bringen .. eine politische Nachricht! Um es Dir möglich zu machen fünfzigtausend Franken zu verdienen, oder wenn Du willst noch viel mehr.
Er fragte plötzlich weicher geworden:
– Wieso denn? Was meinst Du damit?
– Ich habe gestern abend zufällig ein paar Worte meines Mannes gehört, die er mit Laroche wechselte; übrigens nahmen sie sich vor mir nicht sehr in Acht. Aber Walter legte dem Minister ans Herz, Dich nicht ins Vertrauen zu ziehen, weil Du alles enthüllen würdest.
Du Roy hatte seinen Hut auf einen Stuhl gesetzt und wartete mit gespannter Aufmerksamkeit:
– Also, um was handelt es sich?
– Sie wollen Marokko nehmen!
– Ach, ist nicht möglich? Ich habe mit Laroche gefrühstückt und da hat er mir die Absichten des Kabinets beinah in die Feder diktiert!
– Nein, lieber Georg, sie haben Dich an der Nase herum geführt, weil sie Angst haben, daß ihr Coup bekannt würde.
– Setze Dich, – sagte Georg.
Und er setzte sich selbst in einen Stuhl.
Da zog sie einen kleinen Schemel heran, ließ sich darauf nieder, zwischen den Knieen des jungen Mannes und begann schmeichelnd:
– Da ich immer an Dich denke, achte ich jetzt auf alles, was um mich herum geflüstert wird.
Und sie begann, ganz leise ihm auseinander zu setzen, wie sie seit einiger Zeit erraten hätte, daß man hinter seinem Rücken etwas plane und sich zwar seiner bedienen wolle, aber sich vor seiner Konkurrenz fürchte.
Sie sagte:
– Weißt Du, wenn man liebt wird man gerissen. Endlich gestern hatte sie die Sache verstanden. Es handelte sich um ein großes Geschäft, ein Riesengeschäft, das im stillen vorbereitet ward.
Sie lächelte jetzt glückselig über ihre Geschicklichkeit, sie ward ganz aufgeregt und sprach wie die Frau eines Geldmannes, die gewöhnt ist Börsencoups anbahnen zu sehen, Schwankungen in den Werten, Hausse und Baisse, die binnen zwei Stunden tausende von kleinen Bürgersleuten und kleinen Rentnern ruinieren und um ihre Ersparnisse bringen, die sie in Papieren angelegt haben, deren Bonität von geehrten angesehenen Leuten, Politikern und Bankiers, garantiert ist.
Nun fuhr sie fort:
– O sie haben ein Riesengeschäft vor, Walter hat alles ausgeheckt und der versteht es. Es ist wirklich eine große Sache.
Er wurde ungeduldig durch die lange Vorrede:
– Sag doch.
– Also, es handelt sich um folgendes: Die Expedition nach Tanger war zwischen ihnen beschlossene Sache vom Tage an, da Laroche das Auswärtige übernahm, und allmählich haben sie die ganze marokkanische Anleihe, die auf vierundsechzig oder fünfundsechzig Franken gefallen war, aufgekauft. Sie haben es sehr geschickt gemacht durch kleine Pfuschmakler, sodaß kein Mensch Verdacht schöpfen konnte. Sie haben sogar Rothschilds reingelegt, die sich wunderten, daß immer Marrokkaner gefragt wurden. Man hat sie beruhigt, indem man ihnen die kaufenden Makler namhaft machte, alles verkommene Subjekte oder outsiders Damit hat sich die große Bank zufrieden gegeben. Aber nun wird man die Expedition abschicken, und sobald unsre Truppen einmal dort sind, wird der französische Staat die Garantie für die marokkanische Schuld übernehmen. Dann haben unsre Freunde fünfzig oder sechszig Millionen gewonnen. Verstehst Du die Geschichte jetzt? Nun kannst Du auch begreifen wie man sich vor jedem Mitwisser fürchtet, wegen der Gefahr einer Indiskretion.
Sie hatte den Kopf an die Brust des jungen Mannes gelehnt, und ihre Arme ruhten auf seinen Knieen, sie preßte und schmiegte sich an ihn, sie fühlte, daß sie ihm jetzt interessant war, und war bereit alles zu thun, alles zu begehen um einen Kuß, um ein Lächeln:
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