Aber da hatte sie sich an ihn gehängt mit der Kraft der Verzweiflung, indem sie sich in dieses Liebesabenteuer stürzte, wie man sich ins Wasser stürzt, einen Stein um den Hals. Aus Schwäche, aus Liebenswürdigkeit, aus Rücksicht hatte er sich immer wieder einfangen lassen, und nun bestürmte sie ihn mit maßloßen, ermüdenden Zärtlichkeiten und verfolgte ihn mit ihrer Liebe.
Sie wollte ihn täglich sehen, bestellte ihn alle Augenblicke durch ein Telegramm, um ihn flüchtig an einer Straßenecke zu treffen, in einem Laden oder in den Anlagen.
Da wiederholte sie immer mit denselben Worten, daß sie ihn anbete und verehre, und verließ ihn, indem sie schwur, sie wäre »glückselig gewesen ihn nur gesehen zu haben.«
Sie zeigte sich ganz anders, als er sie gedacht, sie versuchte ihn mit allerlei kindischen und für ihr Alter lächerlichen Liebkosungen an sich zu fesseln. Bis dahin war sie durchaus rein gewesen, jungfräulichen Herzens, keinem Gefühl, keiner Sinnlichkeit zugänglich, und nun brach es bei dieser vernünftigen Frau – deren ruhige Vierzig wie ein blasser Herbst nach kühlem Sommer erschienen – hervor, gleich einem welken Frühling voll kleiner verkümmerter Blumen, verkrüppelter Johannistriebe: das seltsame Erblühen einer mädchenhaften Liebe, zögernd, glühend und harmlos zugleich, bald stürmisch, bald thränenreich wie bei einer Sechzehnjährigen, von lästiger Zärtlichkeit und einer Anmut, die alt war ohne jung gewesen zu sein.
Sie schrieb ihm zehn Briefe täglich, albern und verrückt, in Poetischem und lächerlichem Stil, voll Tier-und Vogelnamen, in der bilderreichen Sprache der Indianer.
Sobald sie allein waren, küßte sie ihn mit einem Gethue wie ein großes Kind, einer lächerlichen Art die Lippen zu spitzen und indem sie umher sprang, wobei ihr zu starker Busen unter dem Kleide auf und nieder wogte. Am meisten brachte es ihn zur Verzweiflung, wenn sie ihn »mein Hundel,« »mein Katzerl,« »meine kleine Maus,« »mein Kleinod,« »mein Schatz,« »mein Vögelchen« nannte, was jedesmal begleitet war von kindischem Zieren und kleinen Bewegungen der Aengstlichkeit, die sie offenbar für sehr nett hielt, und mit allerlei spielerigen Manieren eines verdorbenen Pensionsmädchens.
Sie fragte:– Wessen Mund ist das? – Und wenn er nicht sofort antwortete: – Meiner! – wiederholte sie die Frage, bis er vor Nervosität rasend ward.
Er meinte, sie müsse fühlen, daß die Liebe Takt, Geschicklichkeit, Klugheit und äußerste Richtigkeit im Benehmen verlange; sie, die ältere Frau, die Dame der Gesellschaft, die Mutter, müsse sich ihm hingeben mit würdigem Ernst, mit einer Art gehaltener Leidenschaft, streng, auch mit Thränen, ja, aber mit denen einer Dido nicht einer Julia.
Sie wiederholte unausgesetzt:
– Ich habe Dich so lieb, Herzchen! Liebst Du mich eben so sehr, mein Kindel?
»Herzchen« konnte er schon gar nicht mehr hören, noch »mein Kindel«, ohne daß ihn die Lust anwandelte, sie »liebe Alte« zu nennen.
Sie sprach zu ihm:
– Ich bin ja verrückt, Dir anzugehören, aber ich bereue es nicht. Die Liebe ist doch so süß.
Alles dies klang aus diesem Munde so, daß Georg jedesmal wütend ward. Sie sagte: »Die Liebe ist so süß,« etwa im Ton, wie eine Naive auf dem Theater.
Und dann brachte ihn ihre Ungeschicklichkeit in der Liebe zur Verzweiflung. Sie, in der plötzlich die Sinnlichkeit erwacht war unter dem Kuß dieses schönen Kerls, der ihr Blut entflammte, zeigte in ihrer Hingabe eine kraftlose Glut, einen eifervollen Ernst, bei dem Du Roy einfach lachen und an Leute denken mußte, die im Greisenalter anfangen wollen, lesen zu lernen.
Und statt ihn zu ersticken in ihrer Umarmung, statt ihn zu durchflammen mit jenem tiefen, fürchterlichen Blick, den gewisse Frauen haben, die, im Verblühen noch von stolzer Schönheit sind in ihrer letzten Liebe, – statt ihn mit stummem, zuckendem Munde zu beißen, während ihr üppiger, glühender Leib, erschlafft aber unersättlich, ihn umklammerte – hopste sie umher wie ein Gassenmädel und lallte gleich einen kleinen Kinde, um sich niedlich zu machen:
– Is hab’ Dis lieb, mein Kindel. Is hab’ Dis so lieb. Gieb ein ßönes Tüßchen Deiner kleinen Frau!
Da packte ihn eine tolle Wut zu fluchen, seinen Hut zu nehmen, fort zu laufen, und hinter sich die Thür zuzuschmeißen.
In der ersten Zeit hatten sie sich Rue de Constantinople gesehen. Aber Du Roy fürchtete ein Zusammentreffen mit Frau von Marelle und fand jetzt tausend Vorwände, um ein solches Stelldichein zu hintertreiben.
Dafür mußte er nun beinahe täglich zu ihr kommen, sei es zum Frühstück, sei es zum Mittagessen. Unter dem Tisch drückte sie ihm die Hand und hinter der Thür wollte sie ihn küssen. Aber ihm machte es vor allem Spaß, mit Susanne zu spielen, die ihn erheiterte durch ihr nettes Wesen. In ihrem Puppenleib steckte ein lebhafter schlauer Geist, der unvermutet aus seinem Versteck hervorbrach, wie der Bajazzo im Kasperletheater auf dem Jahrmarkte. Sie machte sich über alles und alle lustig, und Georg trieb sie noch mehr dazu an, und sie verstanden sich ausgezeichnet. Alle Augenblicke rief sie ihn:
– Hören Sie mal, Liebling! Liebling, kommen Sie mal her!
Dann verließ er die Mutter um zur Tochter zu laufen, die ihm irgend eine Bosheit ins Ohr flüsterte, über die er herzlich lachen mußte.
Allmählich ekelte ihn die Liebe der Mutter geradezu und führte ihn zu unüberwindlichem Abscheu. Er konnte sie gar nicht mehr sehen, sie nicht hören, an sie nicht denken, ohne wütend zu werden. Er besuchte sie also nicht mehr, antwortete nicht mehr auf ihre Briefe und kam nicht mehr, wenn sie ihn bestellte.
Endlich begriff sie, daß er sie nicht mehr liebte, und sie litt darunter fürchterlich. Aber sie war auf ihn versessen, lauerte ihm auf, folgte ihm, erwartete ihn in einer Droschke mit herabgelassenen Vorhängen, vor der Redaktion, an der Thür seines Hauses, in den Straßen, durch die er gehen mußte, wie sie hoffte.
Er hatte Lust, sie zu mißhandeln, sie zu beschimpfen, sie zu schlagen und ihr ins Gesicht zu rufen:
– Mach, daß Du fort kommst, ich kann Dich nicht mehr sehen.
Aber er beherrschte sich noch immer in Rücksicht auf die › Vie française ‹ und versuchte durch Kälte, durch Härte unter dem Mantel äußerer Höflichkeit, ab und zu sogar durch grobe Worte ihr begreiflich zu machen, daß das aufhören müsse.
Vor allen Dingen war sie nicht davon abzubringen, ihn in der Rue de Constantinople treffen zu wollen, und er zitterte unaufhörlich davor, daß sich die beiden Frauen eines Tages dort Auge in Auge gegenüberstünden.
Seine Zuneigung zu Frau von Marelle war, im Gegensatz dazu, während des Sommers nur gewachsen. Er nannte sie: »Mein Bubi!« und sie gefiel ihm. Ihre Naturen paßten zu einander, sie waren aus demselben Holz geschnitzt und gehörten zu dem Abenteuerer-Geschlecht der Vagabunden des Lebens, jener Zigeuner der Gesellschaft, die, ohne es zu ahnen, den Zigeunern der Landstraße so ähnlich sind.
Sie hatten einen wundervollen Liebessommer zusammen verlebt, die lustige Semesterehe eines Studenten mit seinem Mädel.
Ab und zu kniffen sie aus und fuhren in die Umgebung von Paris, nach Argenteuil, Bougival, Maisons, Poissy zum Mittag-oder Abendbrot, zu stundenlangem Bootfahren und Blumenpflücken an den Ufern. Sie liebte die gebackenen Seinefische, die Kaninchenragouts und Fischgerichte, die es dort gab, die kleinen Lauben in den Kneipen, das Geschrei der Ruderer, über die Maßen. Ihm machte es Spaß an einem schönen Tage mit ihr oben auf dem Verdeck eines Vorstadtzuges hinaus zu fahren und unter Scherzen das häßliche Vorortgebiet von Paris zu durchfahren, wo die gräßlichen Landhäuser der Spießbürger liegen.
Und wenn er heimkehren mußte, um bei Frau Walter zu essen, haßte er die hartnäckige alte Geliebte, indem er an die junge dachte, die er eben verlassen und die seine Begierde befriedigt, seine Glut gekühlt im hohen Ufergras des Flusses.
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