Er fühlte wie ihre Schulter zuckte an seiner Seite, wie sie zitterte. Und da stammelte sie hastig:
– Ich liebe Sie auch!
Er fuhr zusammen, als ob man ihn auf den Kopf geschlagen hatte und sagte:
– O mein Gott!
Sie begann wieder mit zitternder Stimme:
– Darf ich Ihnen das wirklich gestehen? Ich fühlte mich so schuldbeladen und verächtlich. Ich, die ich zwei Töchter habe. Aber ich kann nicht, ich kann nicht anders. Ich hätte das nie gedacht, nie geglaubt, aber es überwältigt mich. Hören Sie mich an, hören Sie mich an; ich habe nie jemand geliebt, außer Ihnen, das schwöre ich Ihnen. Ich liebe Sie seit einem Jahr in der Stille meines Herzens. Ach ich habe gelitten, wenn Sie wüßten, wie … und gekämpft, ich kann nicht mehr … ich … ich liebe Sie.
Sie schluchzte in ihre Hände die sie vors Gesicht gelegt, und ihr ganzer Körper zitterte in tiefster Erschütterung.
Georg flüsterte:
– Geben Sie mir Ihre Hand, daß ich sie berühren und drücken kann.
Langsam zog sie die Hand von ihrem Gesicht. Er sah daß ihre Wange feucht war und eine Thräne an den Wimpern hing bereit niederzutropfen.
Er hatte ihre Hand genommen und preßte sie, indem er sagte:
– Ach ich möchte Ihre Thränen trinken.
Sie sagte mit leiser, gebrochener Stimme, die wie ein Stöhnen klang:
– Schonen sie mich. Ich bin verloren!
Er hätte am liebsten gelacht. Was konnte er ihr hier thun! Er legte die Hand, die er umfaßt hatte, auf sein Herz und fragte:
– Fühlen Sie wie es schlägt? – Denn er wußte absolut nicht mehr was er sagen sollte.
Aber seit ein paar Minuten kam der regelmäßige Schritt des Spaziergängers wieder näher. Er war um den Altar herum gegangen und ging nun mindestens das zweite Mal durch das rechte kleine Seitenschiff. Als Frau Walter ihn ganz nahe bei dem Pfeiler, der sie verbarg, hörte, entzog sie Georg ihre Hand und verbarg ihr Gesicht.
Und sie blieben beide unbeweglich knieen, als schickten sie vereint heiße Gebete zum Himmel. Der dicke Herr kam bei ihnen vorbei, warf ihnen einen gleichgiltigen Blick zu und entfernte sich, immer den Hut in der Hand auf dem Rücken, nach dem Hauptschiff zu.
Aber Du Roy, der gern ein Stelldichein wo anders als gerade in der Dreifaltigkeitskirche haben wollte, flüsterte:
– Wo sehe ich Sie morgen wieder?
Sie antwortete nicht. Sie schien wie leblos, wie zur Statue des Gebetes erstarrt. Er fragte von neuem:
– Kann ich Sie nicht morgen im Park Monceau treffen?
Sie nahm die Hände vom Gesicht, wandte ihm ihr blutloses, von furchtbarem Leid entstelltes Antlitz zu und sagte in abgerissenen Sätzen:
– Lassen Sie mich .. lassen Sie mich jetzt .. gehen Sie .. gehen Sie .. nur fünf Minuten .. ich leide zu sehr in Ihrer Nähe .. ich will beten .. ich kann nicht .. lassen Sie mich Gott anflehen .. daß er mir verzeiht … lassen Sie mich beten … allein … daß er mich rette … lassen Sie mich nur fünf Minuten …
Ihr Gesicht war verstört, ihre Züge hatten einen so schmerzlichen Ausdruck angenommen, daß er aufstand ohne ein Wort zu sagen. Dann sagte er nach einem Augenblick Zögern:
– Ich komme nachher wieder.
Sie nickte, als wollte sie sagen: Ja nachher. Und er schritt die Kirche hinauf dem Chor zu.
Da versuchte sie zu beten. Sie machte übermenschliche Anstrengungen Gott anzurufen und rief mit bebendem Leib und verzweifelter Seele um Erbarmen zum Himmel. Sie schloß krampfhaft die Augen, um den nicht mehr zu sehen, der eben von ihr gegangen. Sie verbannte ihn aus ihren Gedanken, sie wehrte sich gegen ihn, aber statt der erwarteten himmlischen Hilfe in der Angst und Not ihres Herzens, sah sie immer noch den emporgewirbelten Schnurrbart des jungen Mannes vor sich.
Seit einem Jahr kämpfte sie so täglich gegen eine immer zwingender werdende Herrschaft, gegen sein Bild, das sie verfolgte in ihren Träumen, das sie erregte und ihr den Schlaf raubte. Sie fühlte sich gefangen wie ein Tier im Netz, gefesselt und jenem männlichen Wesen in die Arme geworfen, das sie überwunden hatte, besiegt nur durch den Bart über der Lippe und den Ausdruck in seinen Augen.
Aber nun fühlte sie sich hier in der Kirche, in Gottes Nähe schwächer noch, verlorener, unglückseliger, als bei sich zu Haus. Sie konnte nicht mehr beten, sie konnte nur an ihn denken. Sie litt schon darunter, daß er fortgegangen. Aber verzweifelt wehrte sie sich und stemmte sich dagegen und rief mit aller Kraft ihrer Seele um Hilfe. Sie, die noch nie einen Fehltritt gethan, hätte eher sterben mögen, als so zu fallen. Sie murmelte verzweifelte Gebete, aber sie lauschte auf Georgs Schritt, der jetzt fern verhallte unter der hohen Wölbung.
Sie fühlte, daß es aus sei, der Kampf war unnütz. Aber sie wollte nicht nachgeben, und eine jener nervösen Krisen packte sie, die die Frauen zitternd, heulend, in Krämpfen zur Erde wirft. Ihr schlugen alle Glieder, sie fühlte, daß sie fallen und sich mit lautem Schreien zwischen den Betstühlen am Boden wälzen würde.
Jemand näherte sich schnellen Schrittes. Sie wandte den Kopf, es war ein Priester. Da erhob sie sich, stürzte auf ihn zu, hielt ihm die gefalteten Hände entgegen und stammelte:
– Ach, retten Sie mich! Retten Sie mich!
Er blieb erstaunt stehen:
– Was wünschen Sie, gnädige Frau.
– Sie sollen mich retten, haben Sie doch Mitleid mit mir. Wenn Sie mir nicht helfen, bin ich verloren.
Er blickte sie an und fragte sich, ob sie nicht den Verstand verloren. Endlich antwortete er:
– Was kann ich für Sie thun?
Er war ein großer junger Mann, etwas stark, mit vollen hängenden Backen, die einen dunklen Schimmer hatten, weil er forgfältig rasiert war, ein schöner, ein gut repräsentierender Stadtvikar, aus einem wohlhabenden Viertel, der reiche Beichtkinder gewöhnt ist.
– Ich will Ihnen beichten und dann raten Sie mir, stützen Sie mich, sagen Sie mir, was ich thun soll.
Er antwortete:
– Ich nehme jeden Sonnabend von drei bis sechs Uhr die Beichte entgegen.
Aber sie packte ihn beim Arm, drückte ihn und wiederholte:
– Nein, nein, nein, sofort, sofort! Es muß sein! Er ist da! Hier in der Kirche! Er wartet auf mich!
Der Priester fragte:
– Wer wartet auf Sie?
– Ein Mann .. der mich verderben wird .. der mich in seine Schlingen zieht, wenn Sie mich nicht retten .. Ich kann ihm nicht mehr entfliehen .. Ich bin zu schwach! .. Zu schwach! So entsetzlich schwach!
Sie sank ihm zu Füßen und schluchzte:
– Haben Sie Mitleid mit mir, mein Vater, retten Sie mich im Namen Gottes, retten Sie mich.
Sie hielt ihn an seinem schwarzen Priestergewand fest, daß er sich nicht losmachen konnte. Er blickte sich ängstlich nach allen Seiten um, ob nicht irgend ein gottloses oder frommes Auge diese Frau, hier zu seinen Füßen gesehen?
Endlich kam er zur Überzeugung, daß er ihr nicht entgehen konnte und sagte:
– Stehen Sie auf. Ich habe den Schlüssel zum Beichtstuhl zufällig bei mir.
Er suchte in der Tasche, zog einen Schlüsselring hervor, wählte einen Schlüssel aus und ging mit eiligen Schritten zu einem der kleinen Holzhäuschen, in denen sich die Gläubigen ihrer Sünde entledigen.
Durch die Mittelthür trat er ein und schloß sie hinter sich, und Frau Walter die in dem engen Raum daneben nieder gesunken war, stammelte mit der Leidenschaft der Hoffnung:
– Segnen Sie mich, mein Vater, ich habe gesündigt …
Du Roy war rund um die Kirche gegangen und schritt nun das linke Seitenschiff herab. Als er eben in der Mitte stand, begegnete er wieder dem dicken Herrn mit der Glatze, der mit ruhigen Schritten seines Weges ging, und er fragte sich: was sucht der Kerl nur hier?
Der Spaziergänger hatte seine Schritte verkürzt und blickte Georg an, mit dem sichtbaren Wunsche, mit ihm ein Gespräch anzuknüpfen. Als er ganz nahe war, grüßte er und sagte sehr höflich:
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