»Wie ungeschickt!« rief Frau von Mellin.
Nahimoff sprang auf, riß die Peitsche, welche am Eingange seines Zeltes am Nagel hing, herab und wollte Pauloff schlagen, dieser zog aber blitzschnell ein Messer aus seinem Gürtel und stieß damit gegen die Brust des Uebermütigen.
Nahimoff wich dem Stoß geschickt aus, stürzte sich mit überlegener Kraft auf den vor Erregung Bebenden, entwand ihm die Waffe, warf ihn zu Boden und setzte ihm den Fuß auf die Brust.
Dies alles war das Werk eines Augenblickes. Die Damen, welche entsetzt aufgesprungen waren, begannen zu lachen, als sie den unglücklichen Pauloff sich in ohnmächtiger Wut wie einen Wurm unter dem Fuße Nahimoff’s krümmen sahen.
Soldaten liefen herbei und banden Pauloff an Händen und Füßen. Während sie ihn wegführten, sah er noch, wie Frau von Mellin ihr Glas gegen Nahimoff erhob und auf sein Wohl trank. Dann sah er nichts mehr. Es wurde Nacht vor seinen Augen.
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Pauloff hatte die Hand gegen seinen Vorgesetzten erhoben mit der offenkundigen Absicht, denselben zu töten. Das Kriegsgericht verurteilte ihn zum Tode. Frau von Mellin erwartete, daß er sie um Gnade bitten werde.
Drei Tage verstrichen. Pauloff bat nicht.
Es kam der Morgen, an welchem die Hinrichtung stattfinden sollte. Ein Offizier suchte, als der Tag graute, den Verurteilten auf und forderte ihn auf, um Pardon zu bitten.
Pauloff schüttelte den Kopf.
»Frau von Mellin selbst erwartet es,« sagte der Offizier, »ja ich darf beinahe sagen, sie hat mich hierher geschickt –«
»O! ich kenne diese Frau,« erwiderte Pauloff mit einem schmerzlichen Lächeln, »sie will nur sehen, daß ich mich vor ihr demütige, daß ich, wo möglich auf den Knieen um mein Leben bettle, um dann um so gewisser keinen Pardon zu geben.«
»Sie irren sich.«
»Ich irre mich nicht, ich danke Ihnen, aber ich irre mich nicht und ich werde nie und niemals um Gnade bitten,« schloß der Verurteilte.
Als die schone Amazone von seinem Entschlüsse Meldung erhielt, stampfte sie zornig mit dem Fuße und befahl dann, auf der Stelle zur Exekution zu schreiten.
Es war ein Frühlingsmorgen voll Licht, Duft und Frische, als Pauloff in der Mitte eines Detachements Grenadiere den Weg zum Tode ging. Auf den blühenden Zweigen der Kirschbäume zwitscherten Sperlinge und Finten, vom nahen Dorfe klangen freundlich hell die Kirchenglocken herüber.
Auf der Richtstätte erwartete Frau von Mellin, ganz in grünen, zobelbesetzten Samt gekleidet, den Rohrstock in der Hand, vor der Front ihres Regimentes den Verurteilten.
Bei dem Anblicke des schönen, geliebten, grausamen Weibes durchschauerte es Pauloff – aber er verlor keinen Augenblick seine Fassung.
Noch einmal trat der Offizier, welcher das Exekutionskommando führte, an ihn heran und forderte ihn leise auf, eine Gnade zu erbitten.
»Ich danke Ihnen von ganzem Herzen«, sagte Pauloff, »und bitte Sie, nach meinem Tode Frau von Mellin und Iwan Nahimoff zu sagen, daß ich ihnen vergeben habe, aber ich bitte nicht um Gnade.« Zugleich warf er Rock und Mütze ab und trat festen ruhigen Schrittes vor den Sandhaufen.
Der Profoß verband ihm die Augen.
Das Exekutionskommando marschierte auf.
Sechs Mann traten vor, sechs Flintenläufe zielten auf Pauloff’s Brust. »Feuer!«
Die Decharge knallte, exakt wie auf dem Exerzierplatze; aber Pauloff stand noch immer aufrecht.
Und ehe er noch verstehen konnte, was geschehen war, fiel die Binde von seinen Augen, und das schöne grausame, angebetete Weib lag unter Thränen lachend an seiner Brust.
So seltsam ist das weibliche Herz! So lange sie in Iwan Nahimoff den armen Leibeigenen, den gemeinen Soldaten, den Halbwilden sah, während ihr Pauloff als Ihresgleichen stolz und übermütig gegenüber stand, haßte sie den letzteren und glaubte den ersteren zu lieben. Wie sie aber einmal Nahimoff zu sich erhoben hatte, wie er durch seine Gaben sogar zu glänzen begann, war er ihr nicht mehr interessant und die Wagschale des unglücklichen, auf das tiefste gedemütigten Pauloff stieg.
Gerade in dem Augenblicke, wo sie ihn unter dem Fuße Nahimoff’s sah, erwachte die Liebe zu ihm in ihrer Brust mit verdoppelter Gewalt, und sie war von da an entschlossen, ihm nicht allein das Leben, sondern auch ihr Herz und ihre Hand dazu zu schenken. Aber sie konnte es sich nicht versagen, seine Festigkeit, seinen Mut auf eine Probe zu stellen, welche er, so schwer sie auch war, glänzend bestanden hatte. »Sie lieben mich?« waren die ersten Worte, welche Pauloff stammelte, »und Sie haben mich so sehr gehaßt?«
»Ich habe Sie nie gehaßt,« flüsterte Frau von Mellin.
»Weshalb haben Sie mich dann so entsetzlich gequält?« sagte Pauloff.
»Nicht ich – Amor war es –.«
»Amor?«
»Ja – aber Amor mit dem Korporalstock.«
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Ringsum klingt die Sense, die Sichel; Lieder bald fröhlich wie Lerchen, bald trauernd sehnsuchtsvoll wie Nachtigallen steigen aus der Ebene empor. Die Ernte ist im vollen Zuge. Die weite podolische Fläche wogt im leichten Sommerwinde, ein gelbes Meer, Hügel an Hügel scheinen sich wie große Wogen zu heben und wieder zu senken, auf einzelnen kleinen Inseln wimmelt es von Schnittern wie von kleinen, schwarzen Insekten.
Um mich, oder eigentlich um den ostgalizischen Edelhof, in dem ich vor einer Woche etwa vom Pferde gestiegen und bis heute ein Gefangener russischer Gastfreundschaft bin, dehnt sich ein Stück dieser unendlichen Ebene, das hat seine Korn-und Weizenwellen in riesigen Garben zusammengebunden. Zu dreien aneinander gelehnt, stehen sie weithin in langen Reihen, gleich Zelten eines ausgedehnten Lagers, nur am Horizonte von einem kleinen Wäldchen, das wie ein dunkler Gartenzaun dasteht, und von dem Dorfe Turowa begrenzt, dessen niedere, von Strohdächern tief überhangene Hütten mit einzelnen emporragenden Stangen man von weitem für längliche Heuschober halten könnte.
Der Edelhof, ein langgestrecktes, ebenerdiges Gebäude, steht mit seinen Ställen, Schuppen, Scheuern auf einem Hügel. Ein Fußpfad führt zwischen Felder, die nur noch dürre Stoppeln zeigen, in Krümmungen gegen das Dorf hinab. An ihm lehnt ein flacher, kahler Erdaufwurf, das Volk nennt ihn den Tartarenhügel, und jenseits desselben steht das Kornfeld, von dem aus die Lieder der Schnitter herübertönen, dann noch eins und noch eins.
Ich nehme meine Flinte und trete aus dem Hause.
Da sitzt auf der Veranda der Herr des Edelhofes, mein Wirt Wasyl Lesnowicz. Ein würdiger Mann, nicht eben klein, knochig, mit starker Stirne, unverwüstetem, weißem Haare, langem Schnurrbart, fester Nase und dickem Kinn. Die blauen Augen unter den struppigen Augenbrauen wie verborgene Flämmchen lebhaft und feurig.
»Gehen Sie nicht zu weit vom Hause, Bruder« sagte er bedächtig, »die Bauern werden heute mit der Ernte fertig, dann feiern wir heute abend noch das Erntefest, ja, sie kommen alle herauf, das ganze Dorf, das Volk hat so ein Attachement an unsereins, weil man zu ihm gehört, drüben bei dem polnischen Nachbar, da kommt niemand mehr zum Erntefest, als die bezahlten Schnitter.«
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