Jetzt erst öffnete ich den Zettel. Darauf stand:
»Türkisa ist tot! Alles ist vorüber!«
Meine Zähne schlugen zusammen. Wo war er, wo war er denn nur?
Ich eilte ins Vorzimmer – leer! Riß die Tür auf, trat ins Stiegenhaus – es war dunkel. Ich ging zurück, entzündete eine von den in der Ecke liegenden Kerzen und trat in den Flur. Dort lag etwas Schwarzes ganz unten! Ich hielt das Licht über das Geländer, um besser zu sehen. Ein roter Wachstropfen fiel hinunter, ich rannte mit dem Lichte die Treppe hinab – da lag sein Leichnam vor mir –
Dann kamen wohl, durch meinen hastigen Lauf über die Stiegen aufgeweckt, noch andere Leute hinzu und erblickten den Körper.
»Was ist’s?« fragte man. Einige schrien auch laut auf.
Ich hielt mich zu einer Erklärung verpflichtet: »Er war wahnsinnig«, sagte ich.
Einer nahm mir das Licht aus der Hand; es muß gezittert haben.
Ich habe die letzte Erzählung meines Freundes Y. gelesen; sie ist ganz mißlungen, und es steckt kaum etwas Talent darin.
Sicher ist das ein trübseliger Abschluß meiner Geschichte; er gehört jedoch zur Vollständigkeit meines Berichtes.
Nichtsdestoweniger war Y. ein wahrer Dichter, ja, ein großer Dichter! Denn welch eine Phantasie muß es sein, die ein Wesen hervorzuzaubern vermag, in das sich der Phantast selbst bis zum Wahnsinn verliebt. So sehr verliebt, daß er nicht weiterleben kann, wenn die eingebildete Gestalt wieder durch andere Spiele der Phantasie ins Nichts herniedertaucht.
Die Muse hat zuweilen Launen… Das Werkzeug einer solchen war mein Freund Y. Er ist verrückt geworden und gestorben.
Nun, es haben ihn wenige bei Lebzeiten gekannt… seine Werke werden ihm die Unsterblichkeit nicht verleihen. Sein Wahnsinn jedoch wird ihn manchem liebenswert erscheinen lassen, dessen Interesse von den traurigen Scherzen angeregt wird, an denen die Natur zuweilen Gefallen findet.
Launische, goldene Phantasie! Dem einen nahst du schmeichelnd in duftender Freundschaft und bildest ihn zum glücklichsten aller Narren, zum Dichter; wie einen Feind überfällst du den andern und machst ihn zum Bedauernswertesten der Poeten: zum Narren!
Inhaltsverzeichnis
Erstes Kapitel
Zweites Kapitel
Drittes Kapitel
Inhaltsverzeichnis
Es war ihr, als hätte sie ein Geräusch aus dem Nebenzimmer gehört. Sie sah von ihrem angefangenen Briefe auf, erhob sich, ging ein paar leise Schritte zur angelehnten Türe hin und blickte zuerst durch die Spalte in den benachbarten Raum, wo bei geschlossenen Läden ihr Sohn, anscheinend ruhig schlafend, auf dem Diwan lag. Dann erst trat sie näher heran und konnte nun beobachten, wie Hugos Brust in gleichmäßig starkem Knabenatem sich hob und senkte. Der weiche, etwas zerdrückte Hemdkragen stand über dem Halse offen, im übrigen aber war Hugo völlig angekleidet, sogar die Füße steckten in den genagelten Schuhen, die er hier auf dem Lande immer zu tragen pflegte. Offenbar hatte er sich in der Schwüle des Nachmittags nur für kurze Zeit hinlegen wollen, um bald, wovon die aufgeschlagenen Bücher und Hefte Zeugnis gaben, das Studium von neuem aufzunehmen. Jetzt warf er den Kopf nach der Seite, als wollte er erwachen; doch er reckte sich nur ein paarmal und schlief weiter. Aber die Augen der Mutter, die sich indes an den Dämmerton des Zimmers gewöhnt hatten, konnten nicht länger übersehen, daß der seltsam wie schmerzhaft gespannte Zug um die Lippen des Siebzehnjährigen, der ihr im Lauf der letzten Tage immer wieder aufgefallen war, auch im Antlitz des Schlafenden sich nicht lösen wollte. Beate schüttelte seufzend den Kopf, begab sich in ihr Zimmer zurück, schloß die Türe hinter sich leise ab und blickte auf den angefangenen Brief nieder, den fortzusetzen sie keine Neigung mehr fühlte. Doktor Teichmann, an den er gerichtet sein sollte, war ja doch nicht der Mann, dem gegenüber sie sich rückhaltlos aussprechen durfte; sie, die heute schon das allzu freundliche Lächeln bereute, mit dem sie ihn vor ihrer Abreise vom Kupeefenster aus zum Abschied gegrüßt hatte. Denn gerade in diesen Sommerwochen auf dem Lande, wo die Erinnerung an den vor fünf Jahren hingeschiedenen Gatten stets mit besonderer Lebendigkeit in ihr wach wurde, wies sie die noch nicht ausgesprochene, aber zweifellos zu erwartende Werbung des Advokaten gleich andern Zukunftsgedanken ähnlicher Art innerlich weit von sich; und sie sagte sich, daß sie von ihrer Sorge um Hugo zu dem Menschen am wenigsten reden konnte, der darin nicht so sehr einen Beweis des Vertrauens als ein bewußtes Zeichen der Ermutigung hätte sehen müssen. So zerriß sie den angefangenen Brief und trat unschlüssig ans Fenster.
Die Berglinien des jenseitigen Ufers verschwammen in zitternden Luftkreisen. Von unten, aus dem See, blitzte ihr, tausendfach zersplittert, das Sonnenbild entgegen, und sie rettete ihre geblendeten Augen mit einem fliehenden Blick über das schmale Wiesenufer, die staubatmende Landstraße, die blinkenden Villendächer und ein regungsloses Ährenfeld in das Grün ihres Gartens. Auf der weißen Bank unter dem Fenster ließ sie Blicke und Gedanken ruhen. Sie dachte daran, wie oft ihr Gatte hier gesessen war, über einer Rolle brütend, — oder auch eingeschlummert, insbesondere, wenn die Lüfte so sommerträg über der Landschaft ruhten wie heute wieder. Dann hatte Beate sich wohl über die Brüstung gebeugt und mit zärtlichen Fingern das grauschwarze Kraushaar angerührt und darin gewühlt, bis Ferdinand, bald erwacht, aber zuerst in verstelltem Weiterschlummer die Liebkosung duldend, langsam sich wandte und zu ihr aufschaute, mit seinen hellen Kinderaugen, die an fernen, doch nie zu vergessenden Märchenabenden so wundersam heldenhaft und todesschwer zu blicken vermochten. Doch daran wollte, ja sollte sie gar nicht denken; gewiß nicht mit Seufzern, wie sie nun unwillkürlich auf ihren Lippen vergingen. Denn Ferdinand selbst — in entschwundenen Tagen hatte er sich’s von ihr zuschwören lassen — wünschte sein Andenken nicht anders geweiht als durch heiteres Erinnern, ja durch ein unbekümmertes Ergreifen neuen Glücks. Und Beate dachte: Ist es nicht zum Erschauern, wie man vom Furchtbarsten in blühender Zeit zu sprechen vermag, scherzend und leicht, als drohe dergleichen andern nur und könnte einem selber gar nicht widerfahren! Und dann kommt es wirklich, und man faßt es nicht, und nimmt es doch hin; und die Zeit geht weiter, und man lebt; man schläft im gleichen Bette, das man einst mit dem Geliebten teilte, trinkt aus demselben Glas, das er mit seinen Lippen berührte, pflückt unter dem gleichen Tannenschatten Erdbeeren, wo man sie mit einem auflas, der niemals wieder pflücken wird; und hat nicht Tod noch Leben je ganz begriffen.
Auf dieser Bank draußen hatte sie manchmal an Ferdinands Seite gesessen, indes der Bub, von der Eltern zärtlichem Blick umfangen und gefolgt, mit Ball oder Reifen durch den Garten getollt war. Und so sehr sie es mit ihrem Verstande wußte, daß der Hugo, der da drin im Nebenzimmer, mit jenem neuen schmerzlich gespannten Zug um die Lippen, auf dem Diwan schlief, dasselbe Menschenkind war, das vor wenig Jahren noch im Garten gespielt hatte; — mit ihrem Gefühl vermochte sie auch das nicht zu fassen, so wenig wie daß Ferdinand tot sein sollte, wahrhafter tot als Hamlet, als Cyrano, als der königliche Richard, in deren Masken sie ihn so oft hatte sterben sehen. Aber vielleicht blieb dies ihr nur deshalb für alle Zeit unbegreiflich, weil zwischen so blühendem Dasein und so dunklem Tod nicht etwa Wochen des Leidens und der Angst verstrichen waren; gesund und wohlgemut war Ferdinand eines Tages vom Hause zu irgendeinem Gastspiel weggefahren, und in der Stunde drauf, von dem Bahnhof, in dessen Halle ihn der Schlag gerührt, hatte man ihn als toten Mann wieder heimgebracht.
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