»Wie?« fragte sie. Sie verstand mich kaum.
»Nun, ich will dir nur erklären, daß du keinen vernünftigen Grund hast, eifersüchtig zu sein. Laß ihn arbeiten, noch zwei, drei Tage, dann wird er selber zu dir kommen und dich bitten, wieder die Alte zu sein. Verlaß dich auf mich!«
»Er ist also ein halber Narr!« rief sie aus.
»Ein halber Narr? Ein halber Dichter, also wohl ein ganzer Narr! Aber beruhige dich nur und weine jetzt nicht!«
Wieder griff ich in die Tasten und spielte einen Walzer.
Währenddessen ging sie zur Tür, und als ich aufstehen wollte, sie zu begleiten, wehrte sie mit einer Handbewegung ab und sagte: »Ich komme schon wieder!« Damit verschwand sie, und ich ließ die Hände in den Schoß sinken…
Des anderen Morgens besuchte ich Freund Ypsilon. Obzwar der helle Tag ins Zimmer schien, brannten auf seinem Schreibtisch vier rote Kerzen (er konnte nur bei roten Kerzen arbeiten), und mit trüben Augen saß Ypsilon davor, während seine Feder ruhelos über das Papier irrte.
Ich löschte die Lichter aus; beim letzten gewahrte er überhaupt erst meine Anwesenheit. »Ach du«, sagte er.
»Ypsilon«, sagte ich ernst, »wirf augenblicklich das Zeug da beiseite; geh mit mir frühstücken, widrigenfalls ich alles aufbieten werde, dich in den Narrenturm stecken zu lassen.«
Er heftete seine großen glanzlosen Augen auf mich.
»Die Kleine war gestern bei mir«, erzählte ich ihm weiter. »Was hast du denn angestellt?«
Er lächelte. »Rede mir nicht von diesem armseligen Menschenkind! Ich habe dieses Geschlecht übersatt.«
»Ja, natürlich!« sagte ich. »Diese lebendigen Weiber! Sie sind brutal genug, zu essen, zu trinken, zu lieben und mit einem Riesenaufwand von wirklicher Existenz durchs Leben zu schreiten.«
»Rede mir nicht von ihnen«, unterbrach er mich. »Es gibt nur eine mehr für mich. Du wirst mich ihr nimmer entreißen! Höre! Es war einmal – – –«
Nun begann er mir eine Geschichte zu erzählen, während deren er manchmal auf die Blätter schaute, die vor ihm lagen. Es handelte sich da um irgendein sonderbares Mägdelein, das auf einer Insel im Indischen Ozean lebte, Türkisa hieß und das Holdseligste war, das jemals von Menschen oder Göttern war erschaut worden. Ypsilon konnte nicht Worte genug finden, den unendlichen Zauber, der von ihr ausging, zu beschreiben. Mit verzückten Blicken erklärte er mir schließlich, daß er, seit Türkisa ihr Reich ihm in Kopf und Herzen aufgeschlagen, für nichts anderes mehr das geringste Interesse empfinden könnte.
»Du liebst sie wohl?« sagte ich.
»Ich bete sie an«, sagte er im Tone des tiefsten Ernstes. »Aber ach, sie muß sterben!«
Ich schüttelte ganz entsetzt den Kopf.
»Da ist dann noch ein afrikanischer Prinz«, setzte er seine Geschichte fort und berichtete ein Näheres von diesem Prinzen, der eine unselige Leidenschaft für Türkisa gefaßt hatte.
»Du bist wohl eifersüchtig?« fragte ich.
»Was hilft’s«, sagte er mit gepreßter Stimme, »sie liebt ihn wieder.«
»Aber du Narr«, schrie ich ihn an. »Wach doch auf, bedenke doch, daß du den afrikanischen Prinzen von einem Tiger auffressen lassen, daß dann ein deutscher Dichter namens Ypsilon mit einer Barke an den Ufern dieser Insel landen kann und…«
»Das kann er nicht«, erwiderte Ypsilon im Tone der tiefsten Überzeugung.
»Wie? – Warum nicht?« rief ich aus. »Das liegt doch in deiner Hand! Du leitest die Fäden, deinem Schädel ist doch dieser Wahnwitz entsprungen, diese Türkisa existiert doch nur in deiner Phantasie!«
»Gleichviel!« antwortete er ruhig. »Es muß gehen, wie es geht, die Dinge spielen sich ab, ich kann es nicht ändern.«
Ich sprang auf. »Du bist vollkommen wahnsinnig!«
Er verzog die Lippen zu einem leichten Lächeln und sagte nur ganz ruhig: »Nein.«
Ich ging im Zimmer hin und her und fühlte, wie eine heftige Erregung meiner Meister wurde.
»Ich bitte dich, gehe! Du störst mich!« sagte er.
Ich blieb vor ihm stehen, sah ihn mit einem erbitterten Blicke an und entgegnete: »Mittags komme ich wieder, um dich zu fragen, ob du essen willst.«
Während ich die Tür hinter mir zuschloß, sah ich, wie Ypsilon seine roten Kerzen wieder anzündete. Ich aber trat hinaus ins volle Licht, unter die Leute, die mit wuchtigen Alltagsschritten durch die Straßen wandelten. Im ersten Augenblicke war ich nahe daran, über diese allgemeine Lebensfrische zu erstaunen. Man begreift die Gesundheit nicht mehr, wenn man aus dem Hause der Verrückten tritt…
Als ich zu Mittag bei meinem Freunde Ypsilon anklopfte, ward mir nicht aufgetan. »Komm abends«, sagte er durch die Tür, »ich arbeite, du störst mich.«
Abends widerfuhr mir dasselbe. Ich rief höhnisch hinein: »Ist Türkisa noch nicht tot?« Da hörte ich ein tiefes Seufzen. Offenbar war die Arme ihrem Ende nahe. Ich empfand etwas wie Freude, denn ich hoffte, daß damit der Bann wieder gelöst sei.
Auch am nächsten Morgen klopfte ich zeitig an seine Tür. Ich hörte kein »Herein«, doch gab die Klinke nach, und ich sah meinen Freund Ypsilon, der blaß und abgehärmt vor seinem Schreibtisch saß.
»Ypsilon!« rief ich aus.
Er sah mich mit todesmatten Augen an.
»Was ist dir?« fragte ich.
»Sie stirbt«, flüsterte er.
»Gott sei Dank!« entgegnete ich.
Sein Blick überschattete sich, er begriff diese Freude nicht mehr.
»Komm, Ypsilon«, sagte ich, und ich fühlte, daß ein beengender Schauder mir durchs Herz zog, »komm!«
»Ich kann nicht«, erwiderte er und wies auf das beschriebene Papier, dann auf seinen Kopf.
»Du bist lächerlich, Ypsilon, du bist ja krank.«
»Rasch, rasch, es geht zu Ende«, sagte er, wie vor sich hin, die Hand auf den Kopf pressend.
»Aber das ist ja nicht nötig«, sagte ich und nahm ihm die Hände von der Stirne, sie in die meinen legend.
Er schaute mir wieder wehmütig lächelnd ins Gesicht.
»Es ist nicht nötig, sagst du?… Du kannst das nicht versteh’n!«
»Wahrlich, Ypsilon! Ganz wohl versteh’ ich dich, du bist überangestrengt; deine Nerven sind krank von dem überheftigen Reize, dem deine wilde Phantasie dich überliefert… Ein gesunder, frischer Hauch aus dieser lebenswahren Welt, und alles ist weggeblasen.«
Ich ging zum Fenster und riß es auf »Fühlst du es? Merkst du, wie übermütig der Morgenwind da auf deinem Schreibtisch in den Blättern wühlt, wie keck die Sonnenstrahlen über dein müdes Haupt und über den bestaubten Boden hinwegglänzen? Merkst du, wie diese tausendfarbige Welt sich in das gebenedeite Blau des Himmels taucht?«
Er sah meinen Blicken nach, zum Fenster hinaus. Er mußte blinzeln, das Licht tat ihm wehe. Ich wandte mich nach ihm um und zog ihn vom Stuhle auf, was er sich schier willenlos gefallen ließ.
Um ihn aus diesem unbewußten Geschehenlassen nicht mehr aufzustören, schwieg ich und geleitete ihn so bis zum Stiegenhause. Da fuhr er zusammen, aber nur einen Augenblick, dann folgte er mit schleppendem Gange über die Stiege und ließ sich auf der Straße ohne Widerspruch von mir den Arm reichen. Jetzt erst getraute ich mich, wieder zu reden.
»Was ist’s nun, Ypsilon?« fragte ich. »Tut dir diese Luft nicht wohl?«
Er aber erwiderte nichts, und wenn ich hie und da ein Gespräch einzuleiten versuchte, gab er keine Antwort.
Unser Spaziergang führte uns an den Gärten der vorstädtischen Villen vorüber, und herrlich dufteten die morgendlichen Blumen. Von den jungen Blüten der Bäume strömte es würzig in unseren Atem. Die Brust hob sich stärker, der Schritt wurde frischer und fester. Ypsilon aber wandelte weiter wie durch eine tote Landschaft. An einem Frühstücksplatz ließen wir uns nieder, und gleich mir schlürfte auch Ypsilon seinen Kaffee, und mich wollte es bedünken, als wenn er zu einem wirklichen Leben erwachte. Nach einem Schluck schüttelte er wohl auch den Kopf und strich sich über die Augen.
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