In diesem Augenblick sah ihr Beate mit unbeherrschter Feindseligkeit in die Augen, die diesen Blick spöttisch-nixenhaft erwiderten; ja, es schien Beate geradezu, als wenn von Fortunata ein feuchter Duft ausginge wie von Schilf und Wasserrosen. Zugleich bemerkte sie, daß Fortunatens Füße nackt in den Sandalen staken, und daß sie unter dem weißen Leinenkleid nichts weiter anhatte. Indes aber redete die Baronin unbefangen weiter, sehr glatt und gebildet; sie behauptete, daß das Leben stärker sei als der Tod, daß es daher am Ende immer recht behalten müsse; aber Beate fühlte, daß hier ein Geschöpf zu ihr sprach, dem nie ein geliebtes Wesen gestorben war, ja, das niemals einen Menschen, Mann oder Frau, wirklich geliebt hatte.
Wilhelmine Fallehn stellte plötzlich die Tasse hin. »Ich muß noch fertig packen«, erklärte sie, verabschiedete sich kurz und verschwand durch den Gartensalon.
»Meine Freundin reist nämlich heute nach Wien zurück«, sagte Fortunata. »Sie ist verlobt — gewissermaßen.«
»Ah«, machte Beate höflich.
»Wofür würden Sie sie wohl halten?« fragte Fortunata mit halbgeschlossenen Augen.
»Das Fräulein ist wahrscheinlich Künstlerin?«
Fortunata schüttelte den Kopf. »Eine Weile war sie allerdings beim Theater. Sie ist die Tochter eines hohen Offiziers. Besser gesagt, die Waise. Ihr Vater hat sich eine Kugel durch den Kopf gejagt aus Gram über ihren Lebenswandel. Schon vor zehn Jahren. Dabei ist sie heute siebenundzwanzig. Sie kann es weit bringen. — Nehmen Sie noch eine Tasse Tee?«
»Danke, Frau Baronin.« Sie atmete tief auf. Nun war der Augenblick gekommen. Ihre Züge spannten sich mit einem Male so entschlossen an, daß Fortunata sich unwillkürlich halb aufrichtete. Und Beate begann mit Entschiedenheit: »Es ist nämlich kein Zufall, daß ich an Ihrem Hause vorbeigegangen bin. Ich habe mit Ihnen zu reden, Frau Baronin.«
»Oh«, sagte Fortunata, und unter dem gepuderten Pierrotgesicht zeigte sich eine leichte Röte. Sie stützte den einen Arm auf die Lehne ihres Streckstuhls und verschlang die unruhigen Finger ineinander.
»Erlauben Sie mir, kurz zu sein«, begann Beate.
»Ganz nach Ihrem Belieben. So kurz oder so lang Sie wollen, meine liebe Frau Heinold.«
Beate fühlte sich durch diese etwas herablassende Anrede gereizt und entgegnete ziemlich scharf: »Ganz kurz und einfach, Frau Baronin. Ich will nicht, daß mein Sohn Ihr Geliebter wird.«
Sie war vollkommen ruhig; ja, genau so war ihr zumute gewesen, als sie vor neunzehn Jahren einer alternden Witwe den künftigen Gatten abgefordert hatte.
Die Baronin erwiderte Beatens kühlen Blick nicht minder ruhig. »So«, sagte sie halb vor sich hin. »Sie wollen nicht? — Schade. Allerdings, die Wahrheit zu sagen, ich habe selbst noch gar nicht daran gedacht.«
»So wird es Ihnen um so leichter fallen,« erwiderte Beate etwas heiser, »meinen Wunsch zu erfüllen.«
»Ja, wenn es von mir allein abhinge —«
»Frau Baronin, nur von Ihnen hängt es ab. Das wissen Sie sehr gut. Mein Sohn ist fast noch ein Kind.«
Um Fortunatens geschminkte Lippen erschien ein schmerzlicher Zug. »Was muß ich doch für eine gefährliche Frau sein«, begann sie gedankenvoll. »Soll ich Ihnen sagen, warum meine Freundin abreist? Sie hätte nämlich den ganzen Sommer bei mir verbringen sollen, — und ihr Verlobter sollte sie hier besuchen. Und denken Sie, da bekam sie plötzlich Angst, Angst vor mir. Nun ja, vielleicht hat sie recht. Ich bin wohl so. Ich kann ja wirklich nicht für mich einstehen.«
Beate saß starr da. Eine solche Aufrichtigkeit, die fast schon Schamlosigkeit war, hatte sie nicht erwartet. Und sie erwiderte herb: »Nun, Frau Baronin, bei dieser Denkungsart wird Ihnen wohl wenig daran liegen, daß gerade mein Sohn —« Sie hielt inne.
Fortunata ließ einen Kinderblick auf Beate ruhen: »Was Sie da tun, Frau Heinold,« sagte sie in einem gleichsam neugefundenen Ton, »ist eigentlich rührend. Aber klug, meiner Seele, klug ist es nicht. Übrigens wiederhole ich, daß ich nicht im entferntesten daran gedacht habe … Wahrhaftig, Frau Heinold, ich glaube, Frauen wie Sie haben da eine falsche Auffassung von Frauen — meiner Art. Sehen Sie, vor zwei Jahren zum Beispiel, da habe ich drei volle Monate in einem holländischen Fischerdorf verbracht; mutterseelenallein. Und ich glaube, in meinem ganzen Leben bin ich nicht so glücklich gewesen. Und ebenso hätte es passieren können, daß ich auch in diesem Sommer — Oh, ich möchte es noch immer nicht ausschließen. Ich hatte niemals Vorsätze, nie in meinem Leben. Auch meine Heirat, ich versichere Sie, war der reine Zufall.« Und sie blickte auf, als fiele ihr plötzlich etwas ein. »Oh, haben Sie am Ende Angst vor dem Baron? Fürchten Sie, daß für Ihren — Ihren Herrn Sohn von dieser Seite irgendwelche Unannehmlichkeiten — Was das anbelangt —« Und sie schloß lächelnd die Augen.
Beate schüttelte den Kopf. »An Gefahren von dieser Seite habe ich wirklich nicht gedacht.«
»Nun, man könnte immerhin auch daran denken. Ehemänner sind ja unberechenbar. Aber sehen Sie, Frau Heinold,« und sie schlug die Augen wieder auf, »wenn diese Erwägung wirklich nicht mitgespielt hat, dann wird es mir noch unbegreiflicher — ganz im Ernst. Wenn ich zum Beispiel einen Sohn hätte, im Alter Ihres Hugo —«
»Sie kennen seinen Namen?« fragte Beate streng.
Fortunata lächelte. »Sie haben ihn mir doch selbst genannt. Neulich, auf der Landungsbrücke.«
»Ganz recht. Verzeihen Sie, Frau Baronin.«
»Also, liebe Frau Heinold, ich wollte sagen: Wenn ich einen Sohn hätte, und er würde sich — zum Beispiel in eine Frau wie Sie verlieben, ich weiß nicht — ich glaube, ich könnte mir für einen jungen Menschen ein besseres Debüt gar nicht vorstellen.«
Beate rückte den Sessel, als wollte sie aufstehn.
»Wir sind doch hier Frauen unter uns«, meinte Fortunata beschwichtigend.
»Sie haben keinen Sohn, Frau Baronin … und dann —« Sie hielt inne.
»Ach ja, Sie meinen, es wäre dann auch noch ein gewisser Unterschied. Mag sein. Aber dieser Unterschied würde die Angelegenheit — für meinen Sohn — nur bedenklicher machen. Denn Sie, Frau Heinold, würden so eine Sache ja wahrscheinlich ernst nehmen. Hingegen ich — ich! Ja wirklich, je mehr ich es mir überlege, Frau Heinold, es wäre klüger gewesen, wenn Sie mit der entgegengesetzten Bitte zu mir gekommen wären. Wenn Sie mir Ihren Herrn Sohn« — und sie lächelte mit halbgeschlossenen Augen — »sozusagen ans Herz gelegt hätten.«
»Frau Baronin!« Beate war fassungslos. Sie hätte schreien mögen.
Fortunata lehnte sich zurück, kreuzte die Arme unter dem Kopf und schloß die Augen völlig. »Solche Dinge kommen nämlich vor« … Und sie begann zu erzählen. »Vor — leider recht vielen Jahren, irgendwo in der Provinz, da hatte ich eine Kollegin, die damals ungefähr so alt war, wie ich jetzt. Sie spielte das heroisch-sentimentale Fach. Zu der kam eines Tages die Gräfin … nun, der Name tut nichts zur Sache … Also ihr Sohn, der junge Graf, hatte sich in ein Bürgermädel verliebt, aus guter, aber ziemlich armer Familie. Beamte oder so was. Und der junge Graf wollte das Mädel durchaus heiraten. Dabei war er noch nicht zwanzig. Und die Gräfin Mutter — wissen Sie, was die kluge Dame tat? Eines schönen Tages erscheint sie bei meiner Kollegin und redet mit ihr … und bittet sie … Na — kurz und gut, sie arrangiert das so, daß ihr Sohn in den Armen meiner Kollegin das Bürgermädel vergißt und —«
»Ich bitte, doch von solchen Anekdoten lieber abzusehen, Frau Baronin.«
»Es ist keine Anekdote. Es ist eine wahre Geschichte, und eine sehr moralische obendrein. Eine Mesalliance wurde verhindert, eine unglückliche Ehe, vielleicht gar ein Selbstmord oder ein Doppelselbstmord.«
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