»Wo sind eigentlich die Eltern der Braut abgeblieben?«, fragte die Frau jetzt mit gedämpfter Stimme. »Abgeblieben?«, wiederholte Dottie verständnislos. Was meinte diese Person nur? »Warum kreuzen die nicht zur Hochzeit auf?« – »Oh«, sagte Dottie hüstelnd. »Ich glaube, sie haben Kay und Harald einen Scheck geschickt«, murmelte sie. »Statt das Geld für die Reise auszugeben, verstehen Sie?« Die Frau nickte. »Das meinte auch Dave – mein Mann. ›Sie haben sicherlich einen Scheck geschickt‹, sagte er.« – »Ist ja auch viel praktischer«, meinte Dottie. »Finden Sie nicht auch?« – »Bestimmt«, sagte die Frau. »Aber ich bin ja fürs Gemütvolle – ich hab’ in Weiß geheiratet … Übrigens hatte ich Harald angeboten, die Hochzeit bei uns zu feiern. Wir hätten einen Pfarrer aufgetrieben und Dave hätte ein paar Bilder machen können für die Alten daheim. Aber bis ich mit meinem Vorschlag kam, hatte Kay bereits alles arrangiert.« Sie hielt fragend inne und sah Dottie forschend an, die um eine Antwort einigermaßen verlegen war und taktvoll mit einem Scherz auswich: Kays Pläne seien unabänderlich wie die Gesetze der Meder und Perser. »Wer war das noch«, fuhr sie zwinkernd fort, »der gesagt hat, dass seine Frau von eiserner Willkür sei? Mein Vater zitiert das immer, wenn er Mama nachgeben muss.« – »Zum Schießen«, sagte die Nachbarin. »Harald ist ein prima Kerl«, fügte sie dann in ernstem und nachdenklichem Ton hinzu, »aber auch leicht verletzbar, was man vielleicht gar nicht denkt.« Sie sah Dottie durchdringend an und ihre Pfauenfedern nickten kampflustig, als sie nun ein Glas Punsch hinunterkippte.
Auf der anderen Seite des Tisches, links von Kay, fing der Abkömmling von Hawthorne, der sich gerade mit Priss Hartshorn unterhielt, Dotties bekümmerten Blick auf und zwinkerte ihr zu. Dottie, die nicht wusste, was sie sonst tun sollte, zwinkerte forsch zurück. Sie hätte nie geglaubt, dass sie der Typ sei, den Männern zuzuzwinkern. Infolge ihrer schwachen Gesundheit, die ihr als Kind nicht erlaubte, die Schule zu besuchen, war sie die Älteste der Clique, fast dreiundzwanzig, und sie wusste, dass sie ein bisschen altjüngferlich wirkte. Die Clique neckte sie wegen ihrer Förmlichkeit, ihrer festgefahrenen Gewohnheiten, ihrer wollenen Schals und ihrer Arzneien und wegen des langen Nerzmantels, den sie gegen die Kälte auf dem Schulgelände trug. Aber Dottie hatte viel Humor und machte sich mit den anderen über sich selbst lustig. Ihre Verehrer behandelten sie immer mit großem Respekt, sie gehörte zu den Mädchen, die von anderer Leute Brüdern ausgeführt werden, und sie hatte an jedem Finger einen der blassen Jünglinge, die an der Harvard Graduate School Archäologie, Musikgeschichte oder Architektur studierten. Sie las der Clique Auszüge aus deren Briefen vor – Beschreibungen von Konzerten oder von möblierten Wohnungen im Südwesten – und bekannte im Wahrheitsspiel, dass sie zwei Heiratsanträge bekommen hatte. Sie habe schöne Augen, sagten ihr alle, und blitzweiße Zähne, auch hübsches, allerdings dünnes Haar. Ihre Nase war ziemlich lang und spitz, eine typische neuenglische Nase, und ihre Augenbrauen waren schwarz und etwas stark. Sie ähnelte dem Porträt Copleys von einer ihrer Vorfahrinnen, das zu Hause in der Halle hing. Sie hatte etwas übrig für gesellige Vergnügungen und war, so argwöhnte sie, ziemlich sinnlich. Sie liebte Tanz und Gesang und summte ständig Schlagerfetzen vor sich hin. Doch nie hatte einer auch nur den Versuch gemacht, ihr zu nahe zu treten. Manche der Mädchen konnten das kaum glauben, aber es stimmte. Seltsamerweise hätte es sie nicht einmal schockiert. So komisch die anderen es auch fanden – D. H. Lawrence gehörte zu ihren Lieblingsschriftstellern: Er besaß ein so tiefes Verständnis für Tiere und für die natürliche Seite des Lebens.
Sie und ihre Mutter hatten sich nach einem langen Gespräch darauf geeinigt, dass man, wenn man in einen netten jungen Mann verliebt oder mit ihm verlobt war, vorsorglich einmal mit ihm schlafen solle, um sich zu vergewissern, dass man auch wirklich harmoniere. Ihre Mutter, die sehr jugendlich und sehr modern war, wusste von einigen traurigen Fällen in ihrem Freundeskreis, in denen Mann und Frau da unten einfach nicht zusammenpassten und nie hätten heiraten dürfen. Da Dottie nichts von Scheidung hielt, fand sie es sehr wichtig, dass in diesem Punkt eine Ehe von vornherein stimme. Der Gedanke an eine Defloration, über die die Mädchen im Raucherzimmer ständig witzelten, flößte ihr jedoch Angst ein. Kay hatte mit Harald Schreckliches durchgemacht. Fünfmal, so behauptete sie, bis es endlich klappte, und das trotz Basketball und dem vielen Reiten. Ihre Mutter hatte gesagt, man könne unter Umständen das Hymen auch operativ entfernen lassen, wie es angeblich in ausländischen Königshäusern üblich sei. Vielleicht aber schaffte ein sehr rücksichtsvoller Liebhaber es auch schmerzlos, und aus diesem Grunde wäre es wohl besser, einen älteren Mann mit Erfahrung zu heiraten.
Der Brautführer brachte einen Toast aus. Dottie sah auf und bemerkte, dass Dick Browns hellgraue Augen wieder auf ihr ruhten. Er hob sein Glas und prostete ihr feierlich zu. Dottie prostete zurück. »Ist es nicht herrlich?«, rief Libby MacAusland. Sie reckte den langen Hals, wiegte den Kopf und lachte auf ihre schmachtende Art. »So viel netter«, girrten die Stimmen, »keine Gratulationscour, keine Förmlichkeiten, keine älteren Leute.« – »Genau wie ich es mir auch wünschen würde«, verkündete Libby. »Eine Hochzeit nur unter jungen Leuten.«
Sie stieß einen Schrei des Entzückens aus, als eine Omelette Surprise hereingetragen wurde. Die gebackene Eischneekruste dampfte noch ein wenig. »Omelette Surprise!« Libby ließ sich wie ein Sack auf ihren Stuhl zurückfallen. »Kinder!«, sagte sie feierlich und deutete auf die große Eisbombe mit den leicht gebräunten Eischneebergen, die jetzt vor Kay hingestellt wurde. »Seht doch bloß! Kindheitsträume, die in Erfüllung gehen. Der Inbegriff jeder Kindergesellschaft im ganzen weiten Amerika. Lackschühchen und Organdykleidchen und ein schüchterner Junge im Etonkragen, der einen zum Tanz auffordert. So aufgeregt bin ich schon lange nicht mehr gewesen. Seit meinem zwölften Lebensjahr habe ich das nicht mehr gesehen. Für mich ist das der Mount Whitney, der Fudschijama.« Die Mädchen lächelten einander nachsichtig zu. Aber ehe Libby zu ihrer Eloge angesetzt hatte, waren auch sie entzückt gewesen. Ein Seufzer der Erwartung ertönte, als jetzt der heiße Eischaum unter Kays Messer zusammenfiel. Die beiden Kellner, die an der Wand lehnten, sahen mürrisch drein. So gut war das Dessert nun auch wieder nicht. Der Eischaum war ungleich gebacken, stellenweise noch weiß, stellenweise schon verkohlt, was ihm einen unangenehmen Geschmack verlieh. Unter der Schicht von Eiscreme war der Biskuit altbacken und feucht. Aber aus Liebe zu Kay ließen sich alle noch einmal auftun. Die Omelette Surprise war genau das, was jede einzelne aus der Clique sich an Kays Stelle gern hätte einfallen lassen – ungeheuer originell für eine Hochzeit, aber wenn man es bedachte, genau das Richtige. Sie interessierten sich alle außerordentlich fürs Kochen und waren ganz und gar nicht einverstanden mit den fantasielosen Braten, Koteletts und fertigen Süßspeisen, die ihre Mütter vom Caterer kommen ließen. Sie würden neue Zusammenstellungen und ausländische Rezepte ausprobieren: flaumige Omelettes und Soufflés, interessante Sachen in Aspik und nur ein einziges warmes Gericht in einer feuerfesten Form, frischen grünen Salat dazu und keine Suppe.
»Es ist ein Trick«, erklärte die Frau des Radiomenschen quer über den Tisch. Sie sprach zu Priss Hartshorn, die selbst im September heiraten würde. »Sie lassen das Eis erst steinhart frieren, dann schwupp in den Ofen. Auf diese Weise riskieren sie nichts, aber, unter uns gesagt, meine Mutter machte das besser.« Priss nickte bekümmert. Sie war ein ernstes Mädchen mit aschblondem Haar, sah aus wie ein Hamster und sammelte pflichtschuldig hausfrauliche Informationen, wo immer sie solche fand. Sie hatte Volkswirtschaft als Hauptfach gewählt und würde künftig bei der N. R. A. im Verbraucherressort beschäftigt sein. »Die Arbeitsverhältnisse in manchen unserer besten Hotels sind unter jedem Niveau«, erwiderte Priss mit ihrem leichten nervösen Stottern. Sie merkte allmählich, dass sie allerlei getrunken hatte. Der Punsch hatte es tatsächlich in sich, obwohl Apfelschnaps, ein Naturprodukt, als eines der saubersten Getränke galt, die es heutzutage gab. Wie durch einen Nebel sah sie den Radiomenschen sich erheben. »Auf den Jahrgang ’33«, prostete er. Die anderen tranken auf die Vassar-Mädchen. »Ex!«, schmetterte die Frau des Radiomenschen. Der schweigsame Brautführer ließ ein meckerndes Lachen vernehmen.
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