»Das ist ein Wort«, sagte Martin und reichte ihm die Hand. »Wie steht's mit Vorschuß – für die Fahrkarte und so weiter?«
»Alles draufgegangen«, klagte Joe und griff sich an den schmerzenden Kopf. »Ich habe nur noch eine Rückfahrkarte.«
»Und ich habe nicht einen Cent, wenn ich mein Logis bezahlt habe.«
»Brenn' durch«, riet Joe.
»Geht nicht. Ich schulde es meiner Schwester.«
Joe ließ einen langgezogenen Pfiff hören und zerbrach sich den Kopf, aber zwecklos.
»Na, für ein Glas reicht es jedenfalls noch«, sagte er mit dem Mut der Verzweiflung. »Komm mit, vielleicht finden wir einen Ausweg.«
Martin lehnte ab.
»Wasserwagen?«
Diesmal nickte Martin, und Joe jammerte: »Ich möchte, ich wär's! Aber es geht nicht. Wenn ich die ganze Woche wie ein Teufel gearbeitet habe, dann muß ich mir einen ansaufen. Täte ich's nicht, dann würde ich mir den Hals abschneiden oder das Geschäft anstecken. Aber ich freue mich, daß du auf dem Wagen bist. Bleib nur dabei.«
Martin erkannte die ungeheure Kluft zwischen sich und diesem Manne – die Kluft, die die Bücher geschaffen hatten –, aber es fiel ihm nicht schwer, sie zu überbrücken. Er hatte sein ganzes Leben in der Arbeiterwelt verbracht, und die Kameradschaft unter den Arbeitern war ihm zur zweiten Natur geworden. Er löste die schwierige Frage der Reise, die für den schmerzenden Kopf des andern zuviel war. Er wollte seinen Koffer auf Joes Fahrkarte nach Shelly Hot Springs schicken. Er selbst hatte sein Fahrrad. Es waren siebzig Meilen, er konnte am Sonntag hinausfahren und war dann am Montagmorgen bereit, die Arbeit aufzunehmen. Jetzt wollte er heimgehen und packen. Er brauchte sich von keinem zu verabschieden. Ruth verbrachte den langen Sommer mit ihrer Familie in der Sierra am Tahoe-See.
Am Sonntagabend traf er, müde und staubig, in Shelly Hot Springs ein. Joe begrüßte ihn mit überströmender Liebenswürdigkeit. Ein nasses Handtuch um den Kopf, hatte er den ganzen Tag gearbeitet.
»Während ich in der Stadt war, um einen Mann zu finden, hatte sich ein Teil der Wäsche von der letzten Woche angehäuft«, erklärte er. »Deine Kiste ist gekommen. Sie steht in deinem Zimmer. Ein hübscher Koffer übrigens! Was hast du denn darin? Goldklumpen?«
Joe setzte sich aufs Bett, während Martin auspackte. Der Koffer war eine Packkiste, für die Bernard Higginbotham einen halben Dollar verlangt hatte. Martin hatte ihn mit zwei Handgriffen aus Seil versehen, so daß er als Koffer ging und im Gepäckwagen mitgenommen werden konnte. Joe glotzte mit großen Augen, wie Martin ein paar Hemden, etwas Unterzeug und dann Bücher und immer wieder Bücher auspackte.
»Lauter Bücher bis auf den Boden?« fragte er.
Martin nickte zustimmend und machte sich daran, die Bücher auf dem als Waschtisch dienenden Küchentisch zu ordnen.
»Du lieber Gott«, entfuhr es Joe; dann wartete er schweigend, daß die Erklärung in seinem Hirn dämmern möchte. Schließlich kam sie. »Sag' mal, du machst dir nichts aus Mädels – nicht wahr?« forschte er.
»Nein«, lautete die Antwort. »Ehe ich mich mit den Büchern abgab, war ich ziemlich hinter ihnen her. Aber jetzt habe ich keine Zeit mehr dazu.«
»Und hier gibt's auch keine Zeit. Hier gibt's nichts für dich als arbeiten und schlafen.«
Martin dachte an seine fünf Stunden Nachtschlaf und lächelte. Das Zimmer lag über der Wäscherei, in demselben Haus wie die Maschinen, die das Wasser hinaufpumpten, elektrischen Strom erzeugten und die Waschmaschinen trieben. Der Maschinist, der im Nebenzimmer wohnte, kam herein, um den neuen Mann zu begrüßen, und half Martin, eine Extraleitung über die Zimmerdecke zu legen, so daß er elektrisches Licht über dem Bett hatte.
Am nächsten Morgen um Viertel nach sechs wurde Martin geweckt, und um dreiviertel sieben gab es Frühstück. In dem Wäschereigebäude stand zufällig eine Badewanne für die Angestellten, und es machte einen starken Eindruck auf Joe, daß Martin ein kaltes Bad nahm.
»Du lieber Gott, du bist ja ein toller Kerl«, meinte Joe, als sie sich ans Frühstück machten, das in einer Ecke der Hotelküche angerichtet war.
Gemeinsam mit ihnen aßen der Maschinist, der Gärtner und sein Gehilfe sowie zwei oder drei Leute aus den Ställen des Hotels. Sie aßen schnell und mürrisch und sprachen sehr wenig miteinander, und während Martin ihnen zuhörte, wurde ihm klar, wieweit er sich über ihr Niveau erhoben hatte. Ihr Tiefstand bedrückte ihn, und er wäre am liebsten weit fort gewesen. So verschlang er denn sein schlecht zubereitetes Frühstück ebenso schnell wie die anderen und seufzte erleichtert auf, als er zur Küchentür hinaus war.
Es war eine ausgezeichnet eingerichtete kleine Dampfwäscherei, in der die modernsten Maschinen alles taten, was irgendwie durch Maschinen getan werden konnte. Nachdem er Martin Anweisungen erteilt hatte, begann Joe an der Waschmaschine zu arbeiten und bereitete einen neuen Seifenaufguß aus ätzenden Chemikalien, die ihn zwangen, Mund, Nase und Augen mit Handtüchern zu umwickeln, daß er einer Mumie glich. Als Martin das Zeug sortiert hatte, half er ihm beim Auswringen, was selbstverständlich auch mit Hilfe schnell arbeitender Maschinen geschah, und dann wandte er seine Aufmerksamkeit der Trockenmaschine zu. Am Nachmittag ließen sie Socken und Strümpfe durch die Rolle gehen, der eine schob nach, und der andere legte die Wäsche zusammen, und unterdessen wurden die Eisen warm. Dann wurde bis sechs Uhr Unterzeug geplättet, und da schüttelte Joe den Kopf und sagte:
»Wir sind zu weit zurück. Wir müssen heute abend Überschicht machen.«
Und nach dem Abendessen arbeiteten sie bei dem starken elektrischen Licht, bis es zehn war und das letzte Stück Unterzeug geplättet und im Ausgaberaum zusammengelegt war. Es war eine heiße kalifornische Nacht, und obwohl die Fenster offen standen, war die Stube mit ihren glühenden Plätteisen ein Schmelzofen. Martin und Joe, nur im Hemd und bloßarmig, schwitzten und schnappten nach Luft.
»Das ist wie Trimmen in den Tropen«, sagte Martin, als sie nach oben gingen.
»Du schaffst es«, antwortete Joe. »Du packst tüchtig zu. Wenn du weiter so machst, bleibst du nur den einen Monat bei den dreißig Dollar. Im zweiten Monat kriegst du deine vierzig. Aber erzähle mir nicht, daß du noch nie geplättet hast. Das weiß ich besser.«
»Ich habe noch nie im Leben einen Fetzen geplättet, wahrhaftig«, protestierte Martin.
Als er in sein Zimmer trat, war er selbst über seine Müdigkeit erstaunt, denn er hatte vergessen, daß er vierzehn Stunden lang auf den Beinen war und ununterbrochen gearbeitet hatte. Er stellte den Wecker auf sechs Uhr und rechnete aus, daß es bis ein Uhr noch fünf Stunden waren. Solange konnte er lesen. Seiner geschwollenen Füße wegen zog er die Schuhe aus und setzte sich an den Tisch zu seinen Büchern. Er schlug die Stelle im Fiske auf, bis zu der er vor zwei Tagen gelangt war, und begann zu lesen. Aber er hatte Mühe mit dem ersten Absatz und begann ihn ein zweites Mal zu lesen. Dann erwachte er durch das Schmerzen seiner erstarrten Muskeln und den eisigen Wind, der von den Bergen zum Fenster herein wehte. Er sah auf die Uhr. Es war zwei – er hatte also vier Stunden geschlafen. Er entkleidete sich schnell, warf sich aufs Bett und war im selben Augenblick, als sein Kopf das Kissen berührte, eingeschlafen.
Am Dienstag gab es dieselbe unablässige Arbeit. Martin mußte die Schnelligkeit bewundern, mit der Joe schaffte. Joe war von der Arbeit besessen. Er arbeitete unter beständigem Hochdruck, und den langen lieben Tag hörte er nicht einen Augenblick auf. Jede Sekunde war ihm wertvoll. Er konzentrierte sich und seine ganze Aufmerksamkeit auf Arbeit und Zeitersparnis und machte Martin darauf aufmerksam, daß der immer fünf Bewegungen brauchte, wo er selbst mit dreien auskam, oder drei, wo er nur eine brauchte. »Bewegung sparen« nannte Martin es, während er dem andern zusah und es ihm nachmachte. Er war selbst ein guter Arbeiter, schnell und gewandt, und er hatte immer seinen Stolz darein gesetzt, daß niemand ihm half oder schneller arbeitete als er selbst. Das Ergebnis war, daß er sich mit demselben Eifer wie Joe in die Arbeit stürzte und gierig jeden Wink und jede Andeutung aufnahm, die sein Kamerad ihm machte. Er wusch Kragen und Manschetten, verrieb die Stärke zwischen den beiden Leinwandlagen, damit nicht etwa Blasen entständen, wenn das Plätteisen über die Stellen fuhr, und tat es mit einer Schnelligkeit, die Joes Bewunderung erregte.
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