Hermann Zingg - Vom Schwarzweg zum Gedicht

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In über 60 Jahren hat der Schweizer Philosoph, Dichter und Pädagoge Hermann Zingg ein lyrisches Werk geschaffen, das in Dichte, Qualität und Sprache seinesgleichen sucht. Es steht als Chiffre für eine ganze Epoche und ist voller Sehnsucht nach den Urbildern.
Ausgehend von persönlichen Seinsgründen vereint der Lyrikband die grossen Philosophien der Moderne von Søren Kierkegaard, Karl Jaspers, Martin Heidegger und Literaturen von Friedrich Hölderlin bis Paul Celan sowie die Themen des letzten Jahrhunderts. Der persönliche Blick auf Liebe, Natur und Schöpfung und eine Einführung in das immense lyrische Schaffen von Hermann Zingg runden das Werk ab.
Der Band vereint darüber hinaus Gemälde vom niederländischen Maler Pieter van de Cuylen.

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Ganz still musst du nach deinem Geiste wandern gewaschnen Steinpfad dein Gebirg - фото 1

Ganz still musst du nach deinem Geiste wandern gewaschnen Steinpfad dein Gebirg empor, entschweben auch der reinsten Hand der Andern zur Einsamkeit, der bunten Firne Flor.

Dort atmen mit der klaren Luft dies Wandern, dem diese Sterne blühen kühl hervor.

dort schweigt dein Gold verborgnen Wesens Munde dort singt das All dir jede Lebensstunde.

Todesstanze LXXXIII

Vom Schwarzweg zum Gedicht

Für Gabriela

Alle Rechte vorbehalten

© 2020 Friedrich Reinhardt Verlag Basel

Projektleitung: Alfred Rüdisühli

eISBN 978-3-7245-2445-8

ISBN der Printausgabe 978-3-7245-2416-8

Der Friedrich Reinhardt Verlag wird

vom Bundesamt für Kultur mit

einem Strukturbeitrag für die Jahre 2016–2020

unterstützt.

www.reinhardt.ch

Vom Schwarzweg zum Gedicht - изображение 2

Inhalt

Vorwort

Dichtung und Wortung «Todleben»

Prolog

Vom Kindheitsweg zum Schwarzweg des Gedichts

Gedichte

Abschied durch Todlebens Reigen

Ein Todlebenslauf

Heimkehr

Klarstellung eines Gedichts

Simone Weil

Zweiter Weltkrieg

An Heines Herzwortbronn

Mondhelle

Anfang End Todlebens

Des Seyns Geburt in grosser Stille Reigen

Flucht flutet Abschiedsgorge

Fluchtbeschieden

Kindheit todlebt in Urbilds Gluten

Was Todlebens Schrein bewahrt

Was Todlebens Tage wahren

Was Urbilds Weisheit deutet

Dein Licht über den Wassern

Wem Todleben endet

Windharfe des Leids

Zweite Seinsgeburt

Zwischen Nichts und Nichts verraben

Anfangends Todlebensfahrt

Anfang Ende junger Kraft Todleben

Anfang fragen

Dämmerlandes Morgenaug

Cuylens Sphinx

Der Sechstklasslehrer

Fluchtheimkehr

Ins Ewiglenzlos

Zum Lichtloslicht

Zwei Porträts

An Novembers Seynsabgrund

Deine Seele ist mein Dichten

Feuerrose

Ulysses

Wo Zeit Todleben stillt

Abendlied im Frühherbst

An Heideggers Grab

Aus des Menschen Geschick

Aus Menschenantlitz Frieden

Der dunklen Woge Gang

Der Liebe Gral

Todleben herbsthin

An der Kindheit Traufe

An wasserklarem Weihnachtstag

Dylan Thomas

Flucht vor der Druckerschwärze

Imre Kertész sei Dank

Innehalten

Ausflug der Taube

Liebesbrief

Liebeslied

Vergessen Herbstzeitlose

Zum Drama der Liebe

Anfangs Duichfreiheitssinnen

Der Seynswahrheit pfingstlich gewagt

In Wesensnähe

Ins Wurzellose

Die grosse See

Kriegszustände

Wenn Odysseus Heimkehr innert

Zu Flüchtlingsheeren

Zur Wahrheit des Seyns

Anfang spricht das Ende

Anfangs Grenzlosfall

Denken ist Seynsbezug

Vor dem ersten Schnee

Der künftige Denker des Seyns

Des Kindheitweges Seynssinn zugedacht

Holocaustgesang

Odysseeisches Heimkehrlied

Sonett CCCLXII

Sonett CCCLXXIII

Sonett CCCLXXXIX

Urbild

Sonett CCCLXXXVI

Sonett CDXIX

Sonett CLXLV

Sonett XXV

Todlebens Sag

Von Odysseus freiheitshin gerufen

Zur Seynswahrheit meerabgrundhin

Höllenqual

Sonett CDXXIX

Schwarzweg im Schnee

Sonett CDLIII

Sonett DCL

Sonett DCXIX

Sonett DCXL

Sonett DCXLVII

Sonett DCXLVIII

Sonett DLXIII

Sonett DLXIV

Sonett DXLVI

Sonett DXXXV

Sonett DCXXXII

Zur Mitte deines Seyns

Epilog

Von Todlebens Todesstanzen zu den Stelen

Bildnachweis

Zum Autor

Danksagung

Vorwort

Dichtung und Wortung «Todleben»

Einführung in die Lyrik von Hermann Zingg

Es ist nichts Alltägliches, wenn ein neunzigjähriger «Spätexpressionist» aus der Fülle seiner über 30 000 Sonette und anderer Gedichte eine Auswahl von 101 Werken trifft und sie zur Veröffentlichung freigibt. Staunend steht man vor der Ergebnisfülle und fragt sich, woher der Verfasser seine Fantasie und die Schöpferkraft der Umsetzung genommen hat, denn bisher war nur ein sehr enger Freundeskreis in das Geheimnis seines Schaffens eingeweiht.

Der vorliegende Lyrikband erlaubt eine Annäherung in Form einer Einführung an das Weltbild von Hermann Zingg. In seinen eigenen Worten ergründet der Dichter die existenziellen Erfahrungen, die es ihm ermöglichten, in seiner Lyrik einen ganz eigenen Weg zu beschreiten. Den Lesern tut sich kein leichter Zugang auf. Das ist nicht erstaunlich, denn Zinggs Lyrik ist nicht dialogisch angelegt, sondern entzieht sich bewusst einer hermeneutischen Entschlüsselung. Sie ist Ausdruck eines Seelenzustands, ein Ausweg aus der «Trennung vom Selbstsein». In der Lyrik überwindet er die Diskrepanz zwischen Hell und Dunkel, zwischen «schwarznichtsleerem Abgrund» und «blütenweisser Helle». Wenn die Lyrik also einerseits Ausdruck eines Seelenzustands ist, so zeigt sie andererseits auch einen Weg auf, den der Autor «Kindheitsweg» nennt, eine nie endende Reflexion der eigenen geistigseelischen Identität.

Trotz dieser Absage an mögliche Deutungsversuche reizt es den Sprachwissenschafter, an einigen ausgewählten Beispielen aufzuzeigen, wie Hermann Zingg mit dem verbalen Fundus, der ihm zur Verfügung steht, umgeht. Zu gewagten Neubildungen verbinden sich primär widersprüchliche Begriffe wie Todleben oder Duich und Komposita wie etwa Duichwesensmal. Duichhelle . Dazu zählen wir auch scheinbar bloss orthografische Neubildungen wie Seynswahrheit, seynserhellt, deines Seyns, Seynssinn, Seynswahrheitgeschick , die aber auf ältere Sprachzustände und ihren Erneuerer Martin Heidegger zurückgehen, oder Entlehnungen aus anderen Sprachregionen wie etwa das norddeutsche Tiden für die neuhochdeutschen «Gezeiten» mit der Zusammensetzung Tidentracht oder die niederländische Gracht für einen «schiffbaren Kanal» oder archaisierende Formulierungen, wo sich Seyn eräugnet . Dazu kommen neuartige Zusammenrückungen vertrauter Wörter wie Zwieaugtracht, Zwieaugwort, Seinsbruchnot, Kantfelsbrockengrund, Sternallnacht, abschiedsweglang, Blauabgrund, Schneeahnungsprozession . Tatrabön «Böen aus der Tatra».

Eine Besonderheit zeigt sich auch in den um ihre Endungen verkürzten deutschen Wörtern: Sonnkimmwald, lohgeschürte Gartenrah, duld, Kindheitsgüt, Trauf, Herzwortbronn, Sonnstrahl, den Zerrinn; jed Wiedersehn , die uns nicht selten etwas ratlos zurücklassen

Ein Teil der nicht alltäglichen Entlehnungen stammt aus dem Altgriechischen und Lateinischen, wozu wir Kairos «der rechte Augenblick», Lethe «Unterweltstrom, aus dem die Toten Vergessen trinken», Letheflut, Adyton ‚ eigentlich «das Nichtbetretbare, das Allerheiligste im Tempel», Aletheia «Aufrichtigkeit, Wahrheit», Apeiron «das Unbegrenzte, Unermessliche», oder das lateinische Adjektiv seren «heiter» zählen. Diese rücken das Werk in den Geistkreis der antiken Mythologie.

Es ist eine Sprache, die nicht Verständigung an die erste Stelle setzt und deshalb ihr Wortmaterial und auch entlegenere Wendungen von überall her entlehnt: Aus Zinggs reichem Bildungshintergrund fliessen auch Verweise auf Mörikes «Peregrina»-Lieder, Goethes «Werther» , aber auch auf die Mystiker des persischen Mittelalters Ibn Arabi oder Baha-e Walad ein.

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