»Was zum Teufel treibt ihr denn da?« rief er und eilte bestürzt und besorgt auf Ferdinand zu.
»Nichts weiter«, sagte dieser schmerzlich lächelnd, »der grüne Heinrich hat nur die Feder, mit welcher er seine Jugendgeschichte geschrieben, an meiner Lunge ausgewischt – ein komischer Kauz –«
Weiter konnte er nicht sprechen, da ihm Blut aus dem Munde drang und eine tiefe Ohnmacht ihn befiel.
Inhaltsverzeichnis
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Da der wunderliche Zweikampf in Ferdinands Wohnung vorgefallen war und der schwer Verwundete ohne Aufsehen daselbst gepflegt wurde, so konnte der unglückliche Vorfall ohne Mühe gänzlich geheimgehalten werden. Es wurde ausgesagt, Lys habe eine Reise angetreten, und Heinrich hielt sich ebenfalls in seiner Werkstatt verschlossen, ohne sich sehen zu lassen.
Agnes saß in trostloser Traurigkeit in ihrem Häuschen; sie hatte die vorgebliche Abreise Ferdinands vernommen, daß er weit, weit fortgegangen sei, und wähnte der alleinige Grund dieser plötzlichen Entfernung zu sein. In der Stadt hatte sich das Gerücht gebildet, daß das seltsame Mädchen sich an dem Feste höchst leidenschaftlich und ungebärdig übernommen, sich berauscht und so den reichen Holländer, dessen Hand ihr schon sicher gewesen sei, von sich abgeschreckt und zu eiliger Flucht bewogen hätte. Diese Sage drang auch in ihr Haus, die zornige Mutter, welche eine geborgene glanzvolle Zukunft sich entschwinden sah, überhäufte die Arme mit ihren singenden monotonen Vorwürfen, und so saß Agnes, welche selbst einen Teil dieses Geredes für wahr hielt und sich schuldig glaubte, voll Scham und Furcht und in verlorner Sehnsucht da.
Da Heinrich in jener Nacht über dem Streite mit Ferdinand ganz seine Absicht vergessen hatte, Agnesens Mutter von dem Unfalle zu benachrichtigen, und also weder diese noch Ferdinand, noch Heinrich wieder in dem Landhause erschienen, so hatte sich das verlassene Mädchen aufgerafft und entschieden begehrt, in die Stadt gebracht zu werden. Sie war daher in einen Wagen gesetzt und durch die Gärtnersfrau begleitet worden. Überdies hatte sich der rheinische Gottesmacher auf den Bock gesetzt und war treulich besorgt gewesen, die kranke Schöne in ihrer Behausung unterzubringen.
Als einige Tage verflossen waren und die Blume jenes Gerüchtes völlig aufgegangen, versammelte der Gottesmacher einige Musikgenossen, mit welchen er gewöhnlich Quartett spielte, und übte mit ihnen einen ganzen Tag lang. Am Abend führte er sie vor Agnesens kunstreiches Häuschen; der Violoncellist, welcher ein Landschafter war, hatte seinen Feldstuhl mitgenommen und setzte sich auf denselben zum Spiele, die anderen drei standen neben ihm, und nachdem sie leise und sorgfältig die Saiten gestimmt, erklangen die harmonischen, gehaltenen Töne der Geigen über den kleinen, stillen Platz. Augenblicklich öffneten sich alle Fenster in der Runde, die Nachbaren steckten neugierig entzückt die Köpfe in die laue Märznacht hinaus, und die Frauen und Mädchen spähten, wem die unerwartete Serenade gelten möchte.
Die Musiker spielten einige ernste, klagende Stellen aus älteren Tonwerken, deren edle, kräftige Unbefangenheit süß und wohllautend das helle Mondlicht durchklang und in ihrer klaren Bestimmtheit mit den scharfen Umrissen der voll beleuchteten Gegenstände wetteiferte. Agnes saß zuhinterst in der matt erleuchteten Stube; die schöne Musik tönte in ihren dumpfen Schmerz hinein, sie erhob das schwere Köpfchen und lauschte alsobald mit kindlich neugierigem Wohlbehagen den Tönen, ohne sich zu wundern noch zu kümmern, woher sie kämen. Ihre Mutter dagegen eilte ans Fenster, und sobald sie sich überzeugt hatte, daß die Herren nur an ihr Haus hinaufspielten, rief sie »Bei Marias Hilf und frommer Fürbitte! Wir haben ein Ständchen! Wir haben ein Ständchen!« Sie zündete sogleich die zwei rosenroten Wachskerzen an, welche sonst immer wie Altarleuchter vor ihrem Bildnisse standen, und stellte dieselben feierlich auf den Tisch, damit jedermann an der hell erleuchteten Stube sehen sollte, wem die Musik gelte. Dann zog sie ihre Tochter, die sie kurz vorher gescholten hatte, freundlich zum Fenster, und Agnes sah lächelnd auf die freundlichen Musiker nieder. Diese gingen nun in einen raschern Takt und in hellere Weisen über, und nachdem sie dieselben mit kräftigem Bogenstrich geschlossen, begannen sie plötzlich, ebenso geübt im Gesange wie im Spiel, ein vierstimmiges Frühlingslied zu singen, daß der wohltönende Gesang heiter in die Lüfte stieg. Sie begleiteten sich selbst auf ihren Instrumenten, bald mit zartem Bogenstrich, bald mit der Hand die Saiten rührend.
In der zarten und doch festen Tüchtigkeit dieses Vortrages tat sich ein wohlbestelltes Gemüt kund, und die zusammenklingenden Männerstimmen richteten Agnesens Seelchen auf und drangen mit ehrendem und tröstendem Schmeicheln in ihr verzagtes Blut.
Sie errötete freundlich und schlief diese Nacht wieder zum ersten Mal froh und ruhig, in beiden zierlichen Ohrmuscheln die wohltuenden Töne bewahrend.
Am andern Tage fand sich der Gottesmacher im Häuschen der Malerswitwe ein und stellte sich als den Urheber des nächtlichen Konzertes vor. Die Alte errötete noch mehr als ihre Tochter, und alle drei befanden sich in einiger Verlegenheit. Um diese zu unterbrechen, erbat sich der Rheinländer Entschuldigung für die Freiheit, die er sich genommen, so ohne weiteres mit einer Nachtmusik aufzuwarten, und zugleich die Erlaubnis, seine Besuche fortsetzen zu dürfen. Diese wurde ihm gewährt; das junge Mädchen fand sich durch die musikalische Ehrenrettung aus einer peinvollen und öden Lage erlöst; sie fühlte nun reiner das süßherbe Weh des Liebesunglückes, und in ihr Leid um Ferdinand Lys mischte sich mit nicht abzuwehrender Wärme die Dankbarkeit gegen den wohlgesinnten Gottesmacher.
Dieser brachte mehrere Male seine Freunde samt den Instrumenten mit und führte mit ihnen in Agnesens Wohnung kleine Konzerte auf, denen niemand zuhörte als sie und ihre Mutter. Die klare Musik, die wohlgemessenen Töne hellten ihren Geist auf und erweckten reifende, bewußte Gedanken in ihr, so daß eine ernste Haltung, ein inhaltsvollerer Blick mit ihrer Kindlichkeit und ihrem naiven Wesen sich mit großem Reize vereinigten.
Als eines Abends der Gottesmacher sich mit seinen Freunden entfernt hatte, kehrte er gleich darauf allein zurück und in sonderbarer angenehmer Aufregung, und indem er einen glänzenden Blick auf die reizende Gestalt des Mädchens warf, küßte er der Mutter die Hand, nahm sich zusammen und hielt, im Anfang nicht ohne Stottern, folgende Rede:
»Sie sind, liebeköstliche Agnes – Ihre Tochter ist, verehrte Frau! von einem glänzenden Liebhaber herzlos verlassen. Weder mit den persönlichen Vorzügen noch mit den Reichtümern jenes Treulosen begabt, fühle ich dennoch mich unaufhaltsam getrieben und gezwungen, das Glück herauszufordern, mich an die Stelle des Verschwundenen zu drängen und mit meiner Hand der Verlassenen ein leidenschaftlich erregtes, aber dauerhaftes und treues Herz anzubieten! – Ich bin ein Silberschmied und am Rhein zu Hause; meine Eltern sind mir schon früh gestorben, so daß ich von Jugend auf allein in der Welt stand. Aber nachdem ich in Arbeit, Musik und Lustigkeit viele sorgenvolle und lustige, klangvolle Jahre zugebracht, fiel mir von weiter Verwandtschaft her das Erbe eines schönen, frommen und nährenden Heimwesens zu, durch den Schutz der gebenedeiten Jungfrau. Ich hatte nun reichlicher zu leben und durfte, einigen künstlerischen Neigungen folgend, mit denen ich versehen bin, auf einige Jahre hierherkommen, um in dieser gut katholischen Stadt mein Handwerk durch etwas gute Bildnerei verbessern zu lernen. Die vorgesetzte Zeit ist nun vorüber, ich kehre nächstens an den schönen Strom zurück, wo Kirchen, Klöster und vornehme Prälaten meine Arbeiten begehren. Mein Gut liegt zwischen zwei uralten Städtchen am sonnigen Abhang, aus dem Hause tritt man in den Garten und schaut den goldenen Rheingau hinauf und hinunter, Türme und Felsen schwimmen in bläulichem Dufte, durch welchen sich das glänzende Wasser zieht; hinter dem Hause legt sich der edle, einträgliche Wein, der mir Gut und Freude bringt, an den aufsteigenden Berg, und oben steht eine Kapelle unserer lieben Frau, die weit über die Gauen, Wälder und in die Berge hineinschaut und sich ins letzte Abendrot taucht. Dicht daneben habe ich ein kleines Lusthäuschen gebaut und unter demselben einen kleinen Keller in den Felsen gehauen, wo stets ein Dutzend Flaschen klaren Weins liegen. Wenn ich nun einen neuen kunstreichen Kelch fertig habe, so steige ich, eh ich ihn inwendig vergolde, hier hinauf, und nachdem ich der Jungfrau meinen Dank abgestattet für ihre Hilfe bei der Arbeit, probiere und weihe ich das Gefäß in dem luftigen Häuschen und leere es drei-, auch wohl viermal auf das Wohl aller Heiligen und aller unschuldigen frohen Leute. Ich fahre dies hier an, weil ich damit meine Schwäche bekenne, daß ich nämlich bis jetzt ein bißchen viel Wein getrunken habe, zwar nie so viel, daß ich nicht jenen Berg wieder allein hätte hinuntergehen können, so steil er auch ist. Meine Silberarbeit, Musik und Wein sind meine einzige Freude gewesen und meine schönsten Tage die sonnigen Kirchentage der Mutter Gottes, wenn ich zu ihrem Preise auf dem Chore der benachbarten Kirchen spielte, während unten am belaubten und bekränzten Altare meine Gefäße glänzten. Ein klingendes und singendes Weinräuschchen an heiterer Pfaffentafel, in Refektorien oder in schön gebohnten, duftenden Pfarrhäusern war dann der Gipfel des vergnügten Daseins. – Aber seit einiger Zeit sehnten sich meine Lippen auch nach einem andern Tranke, es war mir immer, als möchte ich die unsichtbare Himmelskönigin einmal küssen, und wenn ich die Bilder, die ich von ihr in Silber oder Elfenbein machte, zu küssen mich gewaltsam bekämpfen mußte, bat ich die schöne Gottesfrau schmerzlich, mir aus meiner Not zu helfen. – Da habe ich dich bei dem Feste gesehen, ärmste, schönste Agnes, und sogleich war es mir, als hätte die Jungfrau selbst deine Gestalt angenommen, mir zur Freude und meinem Silber, meinem Elfenbein zu Vorbild und Richtschnur; denn was ich bislang an zartem Gebilde in Traum und Wachen vergeblich gesucht und angestrebt, das sah ich nun plötzlich lebendig vor mir! Ich wußte nicht drängte es mich zuerst, zu Stift und Griffel zu greifen, um deine kostbare Erscheinung hastig dem edlen Metalle einzugraben, oder dich mit dem Schwure zu umschließen, daß ich dich nun und immerdar mir aneignen und auf Händen tragen wolle, das lichte Seelchen, das in deiner Gestalt wohnt, in Frömmigkeit küssend! Kommst du mit mir in meine Heimat, so soll die Zeit des Weines für mich vorüber sein und die Zeit der Liebe und Schönheit beginnen! Das Land ist schön und fromm und fröhlich, Ruhe und Heiterkeit sollen dich und deine geehrte Mutter umgeben, indessen jeder Punkt deines Daseins und deiner Erscheinung ein Gegenstand meiner immerwährenden Verehrung sein wird. Zahlreiche Kapellen und Kirchlein unserer lieben Frau, die aus allen lauschigen Winkeln, auf Bergen und im Strome glänzen, stehen bereit, deine sonstigen Wünsche und Anliegen und meine Dankgebete für die eine Gnade deines Besitzes aufzunehmen.«
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