Ferdinand lachte laut auf und rief: »Nun, dein Gott sei gelobt! Dacht ich doch, daß du endlich noch in diesen glückseligen Hafen einlaufen würdest! Ich bitte dich aber jetzt, grüner Heinrich, laß den lieben Gott aus dem Spiele, der hat hier ganz und gar nichts damit zu tun! Ich versichere dich, ich würde mit oder ohne Gott ganz der gleiche sein! Das hängt nicht von meinem Glauben, sondern von meinen Augen, von meinem Hirn, von meinem ganzen körperlichen Wesen ab!«
»Und von deinem Herzen!« rief Heinrich zornig und außer sich, »ja, sagen wir es nur heraus, nicht dein Kopf, sondern dein Herz kennt keinen Gott! Dein Glauben oder vielmehr dein Nichtglauben ist dein Charakter!«
»Nun hab ich genug, Verleumder!« donnerte Ferdinand mit starkem und erschreckendem Tone, »obgleich es ein Unsinn ist, den du sprichst, welcher an sich nicht beleidigen kann, so weiß ich, wie du es meinst; denn ich kenne diese unverschämte Sprache der Hirnspinner und Fanatiker, die ich dir nie, nie zugetraut hätte! Sogleich nimm zurück, was du gesagt hast! Denn ich lasse nicht ungestraft meinen Charakter antasten!«
»Nichts nehm ich zurück und werfe dir deinen Verleumder zu eigenem Gebrauche zu! Nun wollen wir sehen, wie weit dich deine gottlose Tollheit führt!« Dies sagte Heinrich, während eine wilde Streitlust in ihm aufflammte. Ferdinand aber antwortete mit bitterer verdrußvoller Stimme: »Genug des Schimpfens! Du bist von mir gefordert! Und zwar mit Tagesanbruch halte dich bereit, einmal mit der Klinge in der Hand für deinen Gott einzustehen, für den du so weidlich zu schimpfen verstehst! Sorge für deinen Beistand, und nun geh deines Weges und laß mich allein!«
Er brauchte dies nicht zweimal zu sagen; denn Heinrich hatte unter anderen Torheiten, als er fechten gelernt, sich auch das großländische Benehmen in sogenannten Ehrensachen gemerkt und angeeignet, ohne daß er es bis jetzt betätigen konnte; und obgleich er noch genug auf dem Herzen hatte und gern noch lange gesprochen und gezankt hätte, gleich den alten Helden, welche wenigstens ebenso viele Worte als Streiche auszugeben wußten und bei aller Tatkräftigkeit doch gern vorher den Streit gründlich besprachen, so ging er doch jetzt ebenso stramm und lautlos von hinnen wie ein geforderter Student oder Gardeoffizier, während der Zipfel seiner Kappe gemütlich klingelte und sein Herz gewaltig klopfte.
Beide erzürnte Freunde fanden nur zu leicht und bald andere Törichte unter den heimwärts schwärmenden Künstlern, welche sogleich mit feierlicher Bereitwilligkeit die erforderlichen Verabredungen und Vorbereitungen trafen. Das Duell sollte in Ferdinands Wohnung stattfinden.
Dieser begab sich nach Hause und blieb den übrigen Teil der Nacht auf, ohne sich umzukleiden. Er schrieb einige Briefe und versiegelte sie, warf das erotische Album, das ihm in die Hände fiel, unwillkürlich und errötend ins Feuer, ordnete dies und jenes, und als er damit zu Ende war, löschte er das Licht, setzte sich an das Fenster und erwartete den anbrechenden Morgen. Ohne Haß gegen Heinrich zu empfinden, war er doch sehr traurig und gekränkt durch das unbedachte und bösartige Wort, welches dieser ihm ins Gesicht geworfen. Er unterdrückte daher den Gedanken, als der Ältere die Beleidigung zu verzeihen und sich bei kaltem Blute mit dem jungen Freunde auszugleichen, und gedachte dem Unbesonnenen als einem Vertreter einer ganzen Gattung und Lebensrichtung einmal eine Lektion zu geben oder wenigstens durch den Ernst des Vorfalles ihm die Augen zu öffnen. Für sich war er nicht besorgt, und es war ihm in seiner jetzigen Stimmung gleichgültig, was ihn betreffen möchte, ja er wünschte, daß Heinrich ihn träfe und sein Blut vergösse, damit er recht empfindlich für seine leichtsinnige Kränkung bestraft würde.
Dann richtete er seine Gedanken auf Rosalien, die ihm nun, da sie liebte und verlobt war, noch schöner und wünschenswerter erschien. Er glaubte überzeugt zu sein, daß er sie dauernd geliebt hätte, und sah sich die schöne Frau wie ein guter Stern entschwinden, der nie wiederkehrt.
Heinrich fühlte sich so aufgeregt und munter, daß er, anstatt nach Hause zu gehen und auszuruhen, sich bis zum Morgen in verschiedenen Zechstuben herumtrieb, wo die unermüdlichsten der Künstler die zweite Nacht ohne Schlaf bei Wein und Gesang vollendeten. Auch sagte ihm ein schlauer Instinkt, daß er, wenn er anders das tüchtige Erlebnis, das tatkräftige Gebaren, das ihn lockend durchfieberte, nicht verlieren wollte, die Sache nicht vorher beschlafen und mit der Einkehr in seine Behausung und bei sich selbst etwa auf nüchterne Gedanken kommen dürfe.
Er sah jetzt nur das Kreuzen der glänzenden Klingen, mit welchem er das Dasein Gottes entweder in die Brust des liebsten Freundes schreiben oder es mit seinem eigenen Blute besiegeln wollte. Beides reizte ihn gleich angenehm, und er dachte daher an Ferdinand mit ungewöhnlicher Zärtlichkeit, wie an ein köstliches Pergament, auf welches man seine heiligste Überzeugung schreiben will. Der Morgen ging endlich auf, und Heinrich eilte an den verabredeten Ort. Unterwegs kam er an seiner Wohnung vorbei; aber er ging nicht hinein, um nur das Geringste zu besorgen, sondern eilte hastig weiter. An einem Brunnen wusch er sich sorgfältig Gesicht und Hände und ordnete seine Kleider, und darauf trat er frisch und munter, mit seltsam gespannter Lebenskraft, in Ferdinands großes Atelier, wo schon alle Beteiligten versammelt waren.
Man hatte kurze dreikantige Stoßdegen gewählt, welche mit einer vergoldeten Glocke versehen waren, sehr hübsch aussahen und Pariser genannt wurden. Jeder nahm seine Waffe, ohne den andern anzusehen; doch als sie sich gegenüberstanden, mußten sie unwillkürlich lächeln und begannen mit sehnsüchtiger Lust die Klingen in behaglicher Langsamkeit aneinander hingleiten zu lassen.
Sie standen gerade vor dem wandgroßen Bilde, auf welchem die Bank der Spötter gemalt war. Das schöne Bild glänzte im Morgenlicht und in all seiner festen vollen Farbenpracht, und die Spötter schienen die Kämpfenden neugierig und launig zu betrachten. Der Abbé nahm seine Prise, der Alte schlug ein Schnippchen, und der Taugenichts hielt die Rose vor den höhnischen Mund.
Bis jetzt war das Fechten ein Spiel gewesen, bei welchem nichts herauskommen konnte, da jeder mit Leichtigkeit die Stöße des andern übersah und parierte. Die scharfgeschliffenen Spitzen, welche vor ihren Augen herumflirrten, übten aber eine unwiderstehliche Lockung, und beide gingen fast gleichzeitig in ein rascheres Tempo über. Heinrich, welcher der Hitzigere und Betörtere war, in welchem auch eine Menge Weines glühte, wurde noch ungestümer und entschiedener, und unversehens trat Lys mit einem leisen Schrei einen Schritt zurück und sank dann auf einen Stuhl.
Er war in die rechte Seite getroffen, das Blut tropfte erst langsam durch das weiße Kleid, bis der Arzt die Wunde untersuchte und offenhielt, worauf es in vollen Strömen sich ergoß. Nach einigen Minuten, während welcher Ferdinand sich munter und aufrecht hielt, beruhigte der Arzt die Anwesenden möglichst und erklärte die Verletzung zwar für gefährlich und bedenklich, aber nicht für unbedingt tödlich. Die Lunge sei verletzt, und alle Hoffnungen oder Befürchtungen eines solchen Falles müßten mit ruhiger Vorsicht abgewartet werden.
Heinrich hörte dies aber nicht, obgleich er dicht bei dem Verwundeten stand und denselben umfaßt hielt. Er war nun totenbleich und sah sich ganz verwundert um. Die Kraft verließ ihn, und er mußte sich selbst auf einen Stuhl setzen, wo er wie durch einen Traum hindurch das rote Blut fließen sah.
Erikson, welchen es trieb, die Freunde aufzusuchen und, da er sich nun geborgen sah, in gemütlichem Scherze den verunglückten Ferdinand zu trösten und etwas zu hänseln, trat jetzt ein und sah mit Schrecken das angerichtete Unheil, nicht wissend, was es bedeute.
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