Als der Gottesmacher seine Rede in schöner und einnehmender Erregtheit geendet und, Agnesens Hand ergreifend, sie mit seinen lebhaften Äuglein, die in gemütvollem poetischem Feuer funkelten, anblickte, wollte die Mutter mit diplomatischer Gebärde das Wort ergreifen; allein ihre Tochter, welche während der Zeit ihr prächtiges Auge mit melancholischem Lächeln auf die Erde gerichtet hatte, richtete sich jetzt auf, unterbrach die Alte und erwiderte mit einem freien und vollen Blicke auf den Rheinländer, indem sie ihm die Hand ließ:
»Ja, ich will dein sein, mein lieber Freund! Du hast mir Ehre erwiesen und Trost gebracht, und deine schöne Musik hat ein helles Licht in meinem verwirrten Gemüte verbreitet! Und indem ich überlege, wie ich es dir am besten und wahrsten danken kann, fühle ich wohl und fühle es gern, daß es am besten mit meinem verlassenen Selbst geschieht, das nun nicht mehr verlassen ist! Ohne zu forschen, ob deine Neigung fest und dauernd sei, will ich mich mit all der Sehnsucht meiner verschmähten Liebe unter den Schutz deines fröhlichen Herzens flüchten und so zugleich das Unheil einer neuen Verschmähung verhüten. Ich will nicht rückwärts schauen und nur fühlen, daß ich mit meiner einen Kraft liebe und wiedergeliebt werde. Sollte es mir geschehen, daß ich einmal den Namen des Verschwundenen statt des deinigen ausspreche, so sei mir nicht böse, ich will dich dafür zweimal ans Herz drücken! Was den Wein betrifft, so bitte ich dich, wegen meiner nicht einen Becher weniger zu trinken! Dieser goldene Schelm hat mir weh getan, und ich habe ihn schmerzlicherweise dafür liebgewonnen; ich sah, daß an seinen Quellen ehrliche Freude, Herzlichkeit und Artigkeit wohnen; jene Stunden zwischen den Myrten und Orangen, obgleich ich sie nie zurückwünsche, sind wie ein unauslöschliches Märchen in meinem Gedächtnis, wie ein schmerzlich süßer Traum, welchen ich zwischen neuen, unbekannten und doch vertrauten treuherzigen Gestalten geträumt.
Aber noch eines muß ich sagen. In die vielen Kirchen und Kapellen am Rheine werde ich nicht eintreten! Ich habe in meiner Not um den Ungetreuen zu der fabelhaften Frau im Himmel gefleht, und sie hat mir nicht geholfen! Oder ich habe um Ungehöriges und Sündliches gefleht; dann aber dünkt es mich, daß ein wahres göttliches Wesen hiezu niemals verlocken kann. Als ich noch hoffte, den schlimmen Ferdinand mein zu nennen, wußte ich, daß er nichts glaubte und im stillen über mein Vertrauen zur Jungfrau lächelte. Ich war darüber bekümmert und gedachte in meiner Kindheit, ihn noch gut katholisch zu machen. Jetzt, wo seine Entfernung und sein selbstsüchtiger Verrat mir seine Grundsätze doppelt verdächtig und verhaßt machen sollten, fühle ich mich seltsamerweise zu denselben hingezogen, ja ich wünsche zuweilen, wie wenn ich nach seinem Beifall lüstern wäre, daß er es wissen möchte!
Zürne nicht hierüber, liebster frommer Gottesmacher! Ich will dir kein Ärgernis geben, sondern dein gehorsames und treues Haus- und Bergfräulein sein! Ich will fromm deiner Trauben pflegen und dir jeden Becher kredenzen, den du trinkst!«
Die Zuhörer waren höchlich verwundert über diese Reden; die Mutter bekreuzte sich dreimal, indem sie sowohl über Agnesens Beredsamkeit als über den Inhalt ihrer Worte sich entsetzte, und sie wollte ein lautes Lamentieren beginnen. Aber sie wurde wieder unterbrochen durch den Gottesmacher, welcher, nachdem er sich von seinem Erstaunen erholt, erwiderte:
»Ich hätte allerdings nicht vermutet, daß meine ehrwürdige, von frommen Meistern gesetzte Musik ein Licht dieser Art in einem jugendlichen Frauenhaupte aufstecken und eine solche anmutige Beredsamkeit erzeugen würde! Doch die Wege des Herrn sind wunderbar! möchte ich fast sagen, wenn nur dieses Sprichwort hier besser angewendet wäre!
Ich bin in dem andächtigen Glauben an Gott und seine Heiligen erzogen, und insbesondere das Bild der Maria hat mich von Kindheit auf in seiner Milde und Schönheit angelacht. Ihr Kultus hat mich zur Kunst begeistert und mir Brot gegeben, als ich arm, verlassen und unwissend war; sie war mir Mütterchen, Geliebte, göttliche Fürbitterin, Muse in Bild und Tönen, und überdies belebte sie wie eine allgegenwärtige Göttin die Fluren meiner schönen Heimat. Aus der Bläue des Himmels, auf goldenen Wolken, im Glänzen des Gewässers, im leuchtenden Grün der Wälder, auf den Blumensternen, auf den roten Rosen lächelte mir die unsichtbare Himmelsfrau sichtbar entgegen und weckte ein süßes Sehnen in meiner Brust. Jetzt ist mir beinahe, als wäre dies Sehnen gestillt, auch weiß ich gar wohl, daß derlei katholische Dinge von aufgeklärten oder auch nur unbefangenen Leuten nicht mehr geglaubt werden; aber warum wollen wir die selige Menschgöttin unserer Jugendzeit, die uns Unschuld und Anmut bedeutet, so ohne weiteres absetzen? Ist es uns nicht lieblicher und vertrauter, die Altbekannte, Schöne ferner über unseren Fluren zu ahnen und sie mit dem armen Volke in den geschmückten Tempeln zu verehren, in denen wir so wohl zu Hause sind, als uns den Kopf zu zerbrechen und für das, was uns beglückt, gelehrte heidnische Namen oder gar nur tönende Worte zu gebrauchen? Wenn ich erst einmal anfinge, mich in solche Dinge einzulassen, so hätte ich nicht mehr Zeit, mein Silber zu treiben; denn mein Kopf ist nicht zu leichten Übergängen eingerichtet und muß alles gründlich einüben. Also schlage ich vor, daß wir uns diese Sache nicht unnötig schwer machen, vielmehr dieselbe, sozusagen, der Heiligen Jungfrau selbst überlassen! Was jenen unglücklichen Verräter betrifft, so wage ich zu hoffen, daß ich sein Andenken je länger, je weniger zu fürchten brauche, ja sogar daß das Bestreben, in Glauben oder Unglauben zu gefallen, eines Tages sich mir gänzlich zuwenden werde; denn ich fühle eine solche Ganzheit und Sicherheit der Liebe zu dir in mir, daß ich mir Meisterschaft und Kunst genug zutraue, den Lauf deines Geblütes endlich ganz zu meinen Gunsten zu lenken!«
Agnes blickte während dieser Worte wieder vor sich nieder, ohne den Mund zu verziehen, wie in tiefen Gedanken verloren; doch dann stand sie auf und küßte den Gottesmacher mehrere Male auf den Mund.
Es wurde nun beschlossen, gleich mit dem Beginne des Frühlings die Hochzeit zu begehen und nach dem Rheine zu ziehen, was auch alles auf das beste geschah, und der Gottesmacher war und blieb so glücklich, daß daraus notwendig auf Agnesens eigenes Glück zu schließen war. Ihre Mutter war erst in der großen belebten Stadt geblieben, da ihrem eiteln Sinne dieselbe zur Unterlage nötig schien; auch hoffte sie im geheimen durch die Abwesenheit der störenden Schönheit ihrer Tochter noch einen stillen und erbaulichen Nachsommer ihrer eigenen Person zu genießen, wenn auch nur vor sich selbst und angesichts ihres Bildes. Aber bald mußte sie zu ihrem Schrecken erfahren, daß ihr Licht nicht mehr genugsam leuchtete und daß sie, ohne es zu wissen, schon bislang im Widerschein von ihres Kindes Schönheit geatmet hatte. Sie fühlte sich einsam, alt und verwelkt, mehr als sie es im Grunde war, erhob einen großen Jammer, bis sie zu dem jungen Paare reisen konnte, und es war rührend zu sehen, wie sie sich klagend beeilte, nur wieder in den Bereich der lugend und Schönheit zu kommen, die lugend von ihrer Jugend und Schönheit von ihrer Schönheit war.
Ehe aber das seltsam erregte Paar abgereist, hatte es auf den besondern Wunsch Agnesens den abgeschlossenen Heinrich aufgesucht, um sich bei ihm zu verabschieden.
Die erste Gefahr in Ferdinands Zustande war einstweilen vorüber, und der Verwundete ging einer leidlichen Herstellung entgegen. Heinrich hatte ihn aber noch nicht wieder gesehen. Eine tiefe Verwirrung und Scham, welche ihn in der starken Abspannung nach jenen aufgeregten Tagen befiel, mischte sich mit einer Art trotziger Scheu, sich an das Krankenbett zu drängen, und als die Lebenskräfte des Kranken sich wieder gesammelt, fragte er wohl nach Heinrich, aber er verlangte ihn nicht zu sehen. Ein bitteres Schmollen waltete zwischen beiden, welches zwar bei jedem mehr gegen sich selbst gerichtet war, aber doch den andern mit hineinzog, da ohne denselben die begangene gefährliche Torheit nicht möglich geworden wäre. Und wie eine sündliche Torheit, in Aufregung und Verblendung hereingebrochen und für einmal noch, gnädig ablaufend, doch den Vorhang lüftet vor einem unliebsamen Dunkel, das in uns zu wogen scheint, so zeigte das Vorgefallene dem melancholischen grünen Heinrich eine dunkle Leere in sich selber, in welcher seine eigene Gestalt, mit tausend Fehlern und Irrtümern behaftet, ganz unleidlich auf- und niedertauchte.
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