Immer noch duftend, von einer Wolke parfümierten Frohsinns umgeben, trat Frau Katharina ein, und als hätte ihn plötzlich etwas auf seinem Sitz gestochen, sprang der Mann in die Höhe. »Ich begrüße Sie ergebenst!« sagte er. »Wir wollen gleich ans Geschäft gehen. Nur nichts aufgeschoben! ist meine Devise.«
Katharina klirrte mit den Schlüsseln. Andreas beobachtete sie und den Mann schweigsam aus der Ecke. Er folgte ihnen, als sie hinausgingen. Auf seiner Stirn stand kalter Schweiß, und sein Herz klopfte in wuchtigen, die Brust fast sprengenden, von Zeit zu Zeit aussetzenden Schlägen. An die Tür gelehnt, die den Hof vom Flur trennte, stand er und sah, wie seine Frau den Stall Mulis aufsperrte und den Esel hinauszog. Es war sonnig und trocken, und das kleine Tier warf einen unwahrscheinlich riesigen Schatten auf den glitzernden Schnee. Vor Andreas’ Augen verfinsterte sich die Welt. Der strahlende Himmel wurde dunkelblau und schien sich herabsenken zu wollen wie ein Vorhang. Alle Gegenstände wurden dunkelgrün, wie durch ein Bierflaschenglas gesehen. Alles spielte sich in dieser zauberhaften Traumbeleuchtung ab. Der Fremde tätschelte den Esel. Er kniff ihn, als wollte er sich überzeugen, ob das Fell dick genug sei. Er kitzelte das Tier an den Ohrenspitzen, daß es unwillig den Kopf wandte und schüttelte.
»Sehen Sie«, sagte der Fremde, »was fang ich mit so einem Tier an? Ich will ja damit nicht gesagt haben, daß ich es überhaupt nicht brauche, aber was fang ich mit einem Tier an? Wenn es wenigstens ein Pferd wäre, ein kleines Pferdchen«, sagte er mit zärtlicher Stimme, als spräche er schon zu einem kleinen Füllen.
»Ich sagte Ihnen ja: ein Esel«, erwiderte mit resoluter und schriller Stimme, die nichts Gutes verhieß, Frau Katharina.
»Gewiß, gewiß«, sagte der Mann mit niedergeschlagenen Augen, »ein Esel, gewiß. Aber so ein kleines Eselchen!«
»Ein Esel ist doch kein Kamel!« schrie Frau Katharina.
»Belieben zu scherzen, ha, ha, ein Esel ist gewiß ein Esel. Aber es gibt große und es gibt kleine Esel, auch ganz winzige Tierchen. Ich habe schon viel kleinere Tierchen gesehen!«
»Na, sehen Sie!« triumphierte Katharina, »Sie sagen’s doch selbst!«
Zögernd griff der Mann nach der Brieftasche. Er zog drei Scheine, sie waren sehr neu und knisterten, und er zählte sie zweimal und hielt sie in die Luft und knatterte noch mit ihnen eine Weile.
Dann schlang er sein kleines, fettes Ärmchen um Muli, und das Tier trottete hinaus, an Andreas vorbei. Katharina blickte über ihn hinweg, als wäre er ein Bestandteil des Türpfostens.
Andreas sah seinem Esel bis zur Tür nach. Der Mann wandte sich noch einmal und grüßte: »Ergebenster Diener!« sagte er.
Andreas humpelte ihm nach. Er sah bis an das Ende der Straße. Da ging der Mann, und Muli trottete am Rande des Bürgersteigs, hart neben der Bordschwelle, das liebe Tier, das warme, kleine Wesen. Es hatte goldbraune Augen gehabt, und sein grauer Leib barg eine menschliche Seele.
Inhaltsverzeichnis
Der Tag, an dem Andreas vor Gericht erscheinen sollte, brach an wie ein ganz gewöhnlicher Tag, wie alle Tage, die ihm vorangegangen waren. In der Nacht, die Andreas auf dem Sofa, ohne Kissen und in Kleidern zugebracht hatte, war ihm eine großartige Rede eingefallen, deren Wirkung keine andere sein konnte als die, daß man ihn um Entschuldigung bitten und den Herrn, den Polizisten und den Schaffner einsperren würde. Der Morgen beruhigte Andreas. Um zehn Uhr sollte der Termin stattfinden. Es ist fast sicher, daß bereits um zwölf Uhr Andreas Pum siegreich und im Besitz seiner Lizenz das Gerichtsgebäude verlassen wird.
Die Sonne schien etwas wärmer, und der Frost war gebrochen. Der Schnee schmolz. Es tropfte von den Dächern mit einer süßen, hoffnungsfreudigen Melodie. Ja, es begann sogar ein Sperling zu zwitschern. Die freundliche Milde der Natur war wie Gottes tröstende Vergebung.
Andreas hätte sich nicht auf Anzeichen dieser Art verlassen, wenn er in den Gesetzen des Staates heimischer gewesen wäre. Er wußte nicht, daß die gut geölten Räder dieser Maschine auch manchmal – und besonders in kleinen Fällen – sich unabhängig voneinander drehten und, jedes für sich, das Opfer zermahlten, das ihnen der Zufall ausgeliefert hatte. Denn nicht nur den Gerichten, auch der Polizeibehörde steht das Recht zu, Strafen zu verhängen, und wer es mit ihr angefangen hat, muß zuerst von ihr erledigt werden. Es schien der Polizei, daß Andreas sich einer gewöhnlichen »Übertretung« schuldig gemacht hatte und daß er der Lizenz nicht mehr würdig war, die er durch eine besondere Gnade des Staates bekommen. Andreas Pum mußte also vor allem verhört werden.
So kam es, daß, während er zur Wanderung aufs Gericht rüstete, die Tür sich auftat und ein Kriminalagent eintrat, um Andreas zur polizeilichen Vernehmung abzuholen. Andreas verwechselte in seiner katastrophalen Unkenntnis der staatlichen Bestandteile diesen Mann der Polizei mit einem der Gerichte und sagte, daß der Termin erst für zehn Uhr angesetzt wäre. Der Beamte ließ sich die Vorladung zeigen, klärte Andreas mit der Sachkenntnis eines Menschen von Fach über den enormen Unterschied auf, zwirbelte dabei seinen blonden Schnurrbart und sagte endlich: »Pflicht ist Pflicht!« Das bedeutete, daß er nichts dafür könne, daß er aber seinen Auftrag, Andreas zur Polizei zu bringen, ausführen müßte. Vor dem Kommissär, so riet er, möge Andreas seine Vorladung zeigen.
Andreas Pum tröstete sich. Zwar ahnte er ein neues Unglück. Aber sein Verstand sagte ihm, daß der Staat für seine eigenen Irrtümer verantwortlich sein müsse und daß der Staatsbürger nicht das Recht habe, die Behörden auf ihre Widersprüche aufmerksam zu machen. Also ging er. Unterwegs erzählte er dem freundlichen Kriminalbeamten den ganzen Vorfall. Der Mann lachte herzlich und stark, seine blauen Augen blitzten, und seine breiten, weißen Zähne leuchteten. »Ihnen geschieht nichts!« sagte er. Und Andreas faßte neuen Mut.
In der Polizei mußte er warten. Entweder war der Beamte, der ihn verhören sollte, noch nicht anwesend oder mit anderen Dingen beschäftigt. Die Normaluhr an der kahlen Wand des Amtszimmers zeigte halb zehn. Andreas näherte sich der Barriere, hinter der ein Mann in Uniform von gelben Kartothekzetteln Namen und Daten auf rote Zettel umschrieb, und sagte: »Entschuldigen Sie!«
Der uniformierte Mann schrieb weiter. Er behandelte den Buchstaben K. Darin wollte er nicht gestört sein. Erst als er die erste Seite umblätterte, die mit L anfing, wandte er den Kopf.
Andreas zeigte ihm die Vorladung. Der Uniformierte fragte, was für eine Geschichte das nun schon wieder wäre, als hätte er bereits eine schwere Enttäuschung mit dieser Persönlichkeit erlebt. Andreas erzählte den ganzen Vorfall haarklein. Im Zimmer warteten zwei Straßenmädchen. Sie lachten.
Der Uniformierte faltete die Vorladung wieder zusammen und sagte: »Warten Sie!« Dann schrieb er weiter. Endlich ging eine Tür auf, die Stimme eines unsichtbaren Menschen rief: »Andreas Pum!«
Andreas trat vor einen Herrn und machte eine Verbeugung, wobei seine Krücke ein wenig ausrutschte, so daß er mit der Hand gegen den Schreibtisch fiel, hinter dem der Kommissär saß. »No, no!« sagte dieser.
»Erlauben bitte«, stotterte Andreas, »ich habe hier eine Vorladung!«
»Das weiß ich«, sagte der Herr, »antworten Sie, wenn Sie gefragt sind.«
Hierauf begann er, den Bericht jenes Polizisten vorzulesen, der Andreas aufgeschrieben hatte. Als er zu der Stelle kam, an der die Lizenz erwähnt wurde, schwang er sie ein wenig hoch, so daß Andreas sie sehen konnte.
»Ist das so?« fragte der Kommissär.
Es war ein junger Mann mit einem sehr hohen Stehkragen und einem sehr kleinen, dünnen Gesicht. Sein spitzes Kinn machte Anstalten, im Kragen zu verschwinden. Er sprach mit einer heiseren Stimme. Dabei glättete er seine Frisur mit beiden Händen und prüfte mit sanften Fingerspitzen immer wieder die gerade Linie seines Scheitels.
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