Niederknallen sollte man sie. In dieser Nacht brannte die große Scheune. Einer von Theodors Leuten hatte geraucht. Der Freiherr drohte: Drei Taglöhne weniger. Aber der Untersuchungsrichter verdächtigte die Landarbeiter. Man verhaftete zehn.
Hundert zogen am nächsten Tage vor das Gut. Der Freiherr ließ Maschinenpistolen aus dem Keller bringen. Er verlor den Appetit. Er schloß die Fensterladen. Ohrfeigte den zwölfjährigen Wilhelm. Schon sah er sein Haus vernichtet. Seine Söhne gehängt. Sich selbst gefoltert. Er ging nicht mehr in die Felder. Er schlief in Kleidern, die Pistole neben sich. Er fürchtete sich vor vergifteten Speisen. Er fürchtete sich überhaupt.
Theodor schlief im Hause. Nicht nur, weil die Scheune abgebrannt war. Wachen stellte Theodor auf. Die jungen Freiherren inspizierten. Der Alte war milde. Ein gütiger Greis. Er spendete für die Kirche. Er sah sich um, wenn er sprach. Er flüsterte.
In solcher Stimmung war er zugänglich jedem Rat.
Theodor war erbittert. Schickte man ihn weg? Wollte man seinen Namen untergehen lassen? Brennen sollte der Name Theodor Lohse in allen Zeitungen. Nicht vergessen sollte man Theodor Lohse. In Berlin und in München nicht. Man wird ihn nicht vergessen.
Man muß die Arbeiter herausfordern. Kam es zu Kampf – sie vernichten. Hundert Mann – hatten sie Waffen? Hier war ein Arsenal. Man wird Theodor Lohse nicht vergessen.
Jeden Tag sangen sie:
Der Verräter zahlt mit Blut,
Schlagt sie tot, die Judenbrut,
Deutschland über alles.
Sie arbeiteten weniger. Sie exerzierten. Sie rückten mit Gewehren aus. Die Arbeiter hungerten. Ihre Kinder bekamen dünne Hälse und große Köpfe. Die Frauen kreischten, wenn sie Theodors Leute sahen. Sie riefen: »Hunde!«
Man schoß in die Luft. Arbeiter kamen, hundert, zweihundert aus der Nachbarschaft. Sie trugen Stöcke. Sie warfen Steine. Sie zogen zum Gutshof.
Theodor ließ sie in den Hof. Drinnen schrien sie. Sie drängten gegen das Haus. Fensterscheiben klirrten wehmütig. In den Fenstern lag Bettzeug zum Auffangen der Steine. Ein Arbeiter, von Kameraden auf die Schultern gehoben, hielt eine Rede.
Theodor schoß. Der Arbeiter schwankte. Auseinander stoben alle. Vor dem Tor strömten sie zusammen und rüttelten vergebens an der dreifachen Riegelung. Sie schwangen sich über die Mauer. Aber drüben blitzten Gewehrläufe. Die Arbeiter ließen sich in den Hof fallen. Aus dem Hause tönten Schüsse.
Die Sterbenden stöhnten. Die Lebenden schwiegen. Es erhob sich eine große Ruhe. Es wehte Stille aus dem Hofe wie aus einem weiten, geöffneten Grab. Heiße Sonne strahlte von den Pflastersteinen wider. Hoch in der Luft trillerten Lerchen.
Eine Hummel surrte wie ein großer Kreisel. Aus der Ferne scholl die Stimme eines Hundes herüber. Glocken der Dorfkirche dröhnten.
Viele entkamen über die Mauer, schlugen die lauernden Schützen nieder und entflohen. Dreißig blieben liegen, verwundet und tot. Blutgerinnsel zeichnete Landkarten auf das weiße Pflaster des Hofes.
Spät kam Gendarmerie, trank Bier auf dem Hofe, noch war das Blut nicht getrocknet. Ein Grübchen im Kinderkinn hatte der junge Untersuchungsrichter und ein Hakenkreuz im Knopfloch.
Es schrieben die Zeitungen: Blutiger Aufstand der Landarbeiter! Eine Heldentat der Technischen Nothilfe! in die horchende Welt. Reporter kamen. Theodor Lohse sprach mit ihnen. Theodor Lohse stand in der Zeitung. Ein Student, Leutnant der Reserve, hat den Aufstand niedergeschlagen: Theodor Lohse.
Der Sonntag war Sammeltag für die Technische Nothilfe. Weißgekleidete Kinder verkauften Kornblumen aus Leinwand in den Straßen Berlins.
Inhaltsverzeichnis
Theodor hörte das rote Blut, es schrie, es brüllte, wie aus tausend Kehlen, es flammte, wie tausend Feuersbrünste, purpurne Räder kreisten in der Luft, purpurne Kugeln rollten auf und nieder. Aus seinem Innern kam das rauschende Rot, es erfüllte ihn und machte ihn leicht, ein roter Jubel kam über ihn, ein Triumph hob ihn empor.
Aber wehmütig war er in den Abendstunden, wenn die Fledermäuse zu flattern begannen und die Frösche quakten, das Wispern der Grillen unablässiger und eindringlicher wurde und eine Magd bei der letzten Arbeit des Tages sang. Gerührt, mit einer schluchzenden Seele, betrachtete er den abendlich geröteten Himmel, und er pfiff wehmütige Lieder. Ihm war wie in der Kaiser-Wilhelm-Diele, wenn die Musik das Lied vom schwarzbraunen Mägdlein spielte.
Er gewann seinen Glauben an die Sache wieder, der er diente, wenn der alte Freiherr traurig wurde und von deutschen Landen zu reden begann, die den Polacken anheimgefallen. Irgendwo hörte Theodor Hörner blasen, einer Kriegstrompete aufschreckenden und sterbebangen Ruf. Er war mitten im Krieg, er kämpfte und stritt, er verteidigte heilige Erde, und er war bereit, sein Blut zu verspritzen, wenn der alte Freiherr das Wort »Scholle« sagte. Er sprach ein langes, sehnsüchtig klingendes O und ein hartes ostpreußisches L, er holte Atem, ehe er die erste Silbe aussprach, und stieß ihn bei der zweiten Silbe aus mit einem Seufzer. Theodor sah manchmal in dem alten Freiherrn das Bild eines der letzten deutschen Adeligen, denen in der neuen Zeit der Untergang drohte.
So war es nicht immer. Wenn es regnete und Theodor in der Bibliothek des Freiherrn saß, las er Romane in der »Woche«, betrachtete in Zeitschriften Photographien großer Männer, wurde nüchtern, wie er immer gewesen, und den Freiherrn sah er nicht mehr begeistert, sondern als einen alten, mit kleinen Lächerlichkeiten behafteten Mann, wie ihn alle sahen; mit verzeihendem Verständnis allerdings und einer Dankbarkeit, die er dem Hause für eine über die üblichen Maße und ausnahmsweise genossene Gastfreundschaft schuldig war.
Denn Theodor wurde besser gehalten als jemals einer von den alljährlich gebrauchten Helfern. Theodor war Zeuge in dem Prozeß gegen die Landarbeiter. Er unterhielt sich mit dem Untersuchungsrichter. Er begleitete den Freiherrn nach Berlin. Schon war vollkommene Gefahrlosigkeit sicher. Dennoch genoß Theodor liebevolle Behandlung. Ein schwerverletzter Arbeiter, den man für den Aufrührer hielt, wurde rasch im Spital gesund gepflegt. Er bekam sogar Wein, nachdem sein Wundfieber verschwunden war. Die Anklage legte ihm Haus-und Landfriedensbruch zur Last und Mordversuch.
Der Prozeß dauerte eine halbe Stunde. Der Arbeiter bekam acht Monate Zuchthaus. Der Staatsanwalt saß am Abend mit Theodor Lohse und dem Freiherrn im »Kaiserhof« bei einer Flasche Wein.
Eine Woche später nahm Theodor Abschied vom Gutshof. Er konnte seine Rührung nicht unterdrücken, er dachte daran, daß der alte Freiherr bald sterben werde, er dachte an die Abendstunden, den Gesang der Frösche und der Grillen, die gemeinsamen Gefahren, die ihn mit dem Hause verbunden hatten, und an die Heiligkeit der »Scholle«.
Dann marschierte er an der Spitze der fünfzig ab, zum Bahnhof. Sie sangen auf der breiten Landstraße. Theodor beschloß, ihnen erst in Berlin die Löhnung auszuzahlen. Der Freiherr hatte in der Stunde des Abschieds die drei Tageslöhne nicht abgezogen.
Theodor gedachte es zu tun.
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Nun ging er zu Trebitsch. Wie Triumph war sein Gruß. Hielt man ihn für tot? Sieh, es lebte Theodor! Lebendiger als je zuvor. Hatte man ihn vergessen? In den Zeitungen klang sein Name.
Die Wehmut verlor er. Vergaß das Zirpen der Grillen, den Gesang der Mägde, die Scholle. Schon griff er den alten Plan auf. Reiste nach Leipzig. Aber Pfeifer war geflohen ohne Theodors Hilfe. Trebitsch hatte ihn befreit.
Theodor verschmerzte die verlorene Gelegenheit. Noch saßen Zange und Marinelli.
Nach München fuhr er. Bei Kapitän Hartmut fand er Mißtrauen. Trebitsch hatte gearbeitet. Seine Spuren erkannte er.
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