Werden die Punkte bei einem Patienten mit den oben beschriebenen unterschiedlichen Druckstärken behandelt, so hat dies auch unterschiedliche Wirkungen auf seine Regulation, die sich gut mit der sogenannten Arndt-Schulz-Regel beschreiben lassen. Diese wurde 1899 von dem Psychologen Rudolf Arndt und dem Pharmakologen Hugo Paul Friedrich Schulz formuliert und lautet: »Schwache Reize fachen die Lebenstätigkeit an, mittelstarke Reize fördern sie, starke hemmen sie, stärkste heben sie auf« (Pschyrembel 2007, S. 131).
Zusammenfassung 
Die einzelnen Schritte in der Zusammenfassung
1. Leichtes Auflegen der Fingerkuppen auf den Bereich, wo der Punkt anatomisch lokalisiert ist.
2. Ausüben von leichtem Druck und damit verbunden eine langsame Bewegung, um den Punkt zu treffen.
3. Langsame Drucksteigerung bis eine gewisse Festigkeit spürbar wird.
4. Fingerkuppe ruhen lassen.
Es ist sinnvoll, sich dieses schrittweise Vorgehen zum Auffinden der Punkte zu verdeutlichen. Bei dem konkreten Aufsuchen der Punkte laufen diese Schritte aber nur noch im Hintergrund mit. Ein Verhaften ist dann eher hinderlich, verleitet zum »machen«. Die Aufmerksamkeit sollte im Spüren, »Horchen« liegen.
»Tatsache ist«, sagt Kaninchen, »daß wir irgendwie vom Weg abgekommen sind.« Sie hielten gerade Rast in einer Sandkuhle im Wald. Puh war diese Sandkuhle schon ziemlich leid. Er hatte den Verdacht, daß sie ihnen überallhin folgte, denn wohin sie sich auch wandten, endeten sie doch immer wieder darin; …
»Nun«, fing Kaninchen nach langem Schweigen wieder an, da ihm keiner für den netten gemeinsamen Spaziergang dankte, »wir gehen wohl besser weiter, denke ich. Welchen Weg wollen wir jetzt probieren?«
»Wie wäre es«, sagte Puh bedächtig, »wenn wir diese Kuhle wiederzufinden versuchen, sobald sie außer Sicht ist?«
»Was hat das für einen Wert?« fragte Kaninchen.
»Na ja«, ließ Puh verlauten, »wir suchen doch die ganze Zeit den Weg nach Hause und finden ihn nicht, und da dachte ich, wenn wir nach dieser Kuhle suchen würden, könnten wir sie bestimmt auch nicht finden, und das hätte Wert, denn wir könnten ja etwas finden, wonach wir gar nicht suchen und was vielleicht genau das ist, wonach wir eigentlich suchen.«
»Darin sehe ich keinen Sinn«, sagte Kaninchen . . .
»Wenn ich von dieser Kuhle weggehe und dann wieder darauf zugehe, finde ich sie doch bestimmt wieder!«
»Na ja, ich dachte, vielleicht auch nicht«, äußerte Puh, »ich meine ja bloß so.«
»Mach einen Versuch«, sagte Ferkel plötzlich zu Kaninchen, »wir warten hier auf dich.«
Kaninchen lachte auf, um zu zeigen, wie dumm es Ferkel fand, und verschwand im Nebel. Als es hundert Schritte gegangen war, kehrte es um und ging wieder zurück . . . und nachdem Puh und Ferkel zwanzig Minuten auf Kaninchen gewartet hatten, stand Puh auf.
»Ich habe eben nachgedacht«, sagte er. »Also dann, laß uns heimgehen, Ferkel.«
»Aber Puh«, rief Ferkel ganz aufgeregt, »weißt Du denn den Weg?«
»Nein«, erwiderte Puh. »Aber in meinem Küchenschrank stehen zwölf Töpfe mit Honig, und die schreien seit Stunden nach mir. Ich konnte sie vorher nicht richtig hören, weil Kaninchen in einem fort geredet hat; wenn jedoch niemand außer den zwölf Töpfen etwas sagt, glaube ich doch, Ferkel, daß ich erkenne, woher sie rufen. Also los.«
Aus: B. Hoff, Tao Te Puh 1987, S. 24
2.3 Verweilen auf den Punkten
Unterstützende Präsenz 
Nachdem der Punkt oder die Punkte lokalisiert sind, ruhen die Fingerkuppen auf den Punkten. »Begleitende Hände« sind beim Lokalisieren der Punkte horchend und rezeptiv. Sie bleiben es auch, was sich in einer ruhenden Berührung ausdrückt. Die Hände sind anschmiegsam und weich. Dahinter steht auch die Absicht, dem Patienten ein Gefühl von Gehaltensein und Geborgenheit zu vermitteln. So wie die Hand auf dem Bauch der Schwangeren liegen bleibt und sich gegebenenfalls der Bewegung des Kindes anpasst, ist auch der Druck auf die Punkte in seiner Stärke gleichbleibend. Gibt es Bewegung, die von dem Punkt ausgeht, so wird diese begleitet. Die Finger lassen sich also von den Punkten bewegen und nicht umgekehrt. Dadurch entsteht eine Qualität von unterstützender Präsenz – wuwei.
Irgendwann hört die Bewegung wieder auf. Bei den Punkten geschieht das erfahrungsgemäß nach ca. 2–3 Minuten, was bedeutet, dass der Kontakt mit dem Punkt langsam gelöst werden kann.

Die Fingerkuppen ruhen auf den Punkten. Nur wenn es zu Bewegung in den Punkten kommt, gehen die Fingerkuppen mit dieser mit.
Das folgende Zitat stammt aus dem Buch »Das wiedergefundene Licht« von Jacques Lusseyran (1995, S. 25–27). Er erblindete als Kind und beschreibt, wie er auf eine neue Art wieder »sehen« lernte.
»Als ich noch meine Augen hatte, waren meine Finger steif und am Ende meiner Hände halb abgestorben, gerade recht, die Bewegung des Greifens auszuführen. Jetzt ergriff jeder von ihnen eine Initiative. Sie wanderten einzeln über die Dinge, spielten gegeneinander und machten sich unabhängig voneinander, schwer oder leicht.
Die Bewegung der Finger war sehr wichtig [. . .]. Doch es gab noch etwas Wichtigeres als die Bewegung: den Druck. Legte ich eine Hand auf den Tisch, so wusste ich, dass da der Tisch war, sonst aber erfuhr ich nichts über ihn. Um etwas zu erfahren, mussten meine Finger einen Druck ausüben, und das Überraschende dabei war, dass mir dieser Druck gleich erwidert wurde. [. . .] Meine zum Leben erwachten Hände führten mich in eine Welt hinein, in der alles ein Austausch von Druck war. Dieser Druck verdichtete sich zu Formen, und alle diese Formen hatten einen Sinn. [. . .] Auf diese Art – die richtige Art – die Tomaten im Garten zu berühren, die Hausmauer, den Vorhangstoff oder einen Erdklumpen, heißt, sie zu sehen, sie fast ebenso genau und vollständig zu sehen, wie Augen es vermögen. Mehr noch: Es heißt, sich auf sie einzustellen, gleichsam den elektrischen Strom, den sie enthalten, an jenen Strom, mit dem wir geladen sind, anzuschließen, anders ausgedrückt, nicht mehr vor den Dingen zu leben, sondern zu beginnen, mit ihnen zu leben.«
Weiche, entspannte Hände 
Manche Ausführenden empfinden die Akupressur als sehr anstrengend, was vielleicht daran liegt, dass es schwer ist, den Weg heraus aus der Gewohnheit des »Machens« zu finden. Liegen aber die Fingerkuppen auf den Punkten, sind die Hände automatisch rund und damit weich und entspannt. Diese Entspannung setzt sich weiter in den Körper der behandelnden Person fort. Die oben beschriebenen Bilder drücken Weichheit und Anstrengungslosigkeit aus, und genau so fühlt sich das Ausüben der Akupressur für die Ausführende an. Diese »Arbeit« führt dazu, selber zur Ruhe zu kommen und wird zu »Verschnaufpausen« in dem oft hektischen Pflege- und Betreuungsalltag. Das gilt auch für Angehörige. Sie stehen oft unter dem inneren Druck, etwas tun zu müssen. Wuwei zu praktizieren, das heißt, gut zu tun, ohne zu tun, hilft vielen von ihnen, im Umgang mit dem Erkrankten auch für sich selbst ein wenig Frieden und Gelassenheit zu entwickeln.
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