Jeder von uns bevorzugt bestimmte Arten von Humor. Nehmen Sie sich einen Augenblick Zeit zu überlegen, was Sie besonders lustig finden oder zu welcher Form von Komik Sie einen »guten Draht« haben. Meiner Erfahrung nach können Redner insbesondere mit dem Humor, den sie selbst mögen, auf effektive und authentische Art vortragen. Redner sollten, wenn möglich, Humorarten wählen, bei denen sie auch über sich selbst lachen können. Dies macht den Redner menschlich und beliebt. Es gibt aber eine Art von Humor, die nicht in einen Vortrag gehört: blamierender Humor. Wenn ein Redner seine Zuhörer in irgendeiner Art angreift, wird er sich damit nur vom Publikum distanzieren.
Wenn Sie sich doch einmal in einer Situation wiederfinden, in der Sie eine Art von Humor vortragen müssen, die nicht Ihren persönlichen Vorlieben entspricht, analysieren Sie die Passage und versuchen Sie, Beispiele für diese Art von Humor im echten Leben zu finden. Sobald Sie das Gefühl haben, sich in diese realistische Situation hineinversetzen zu können, beginnen Sie, damit zu experimentieren.
Die »Little Buttercup« und andere »fette«, verrückte Mezzo-Rollen
Im englischen Sprachraum kennt jeder die Savoy-Tradition. Sie ist im deutschen Kulturraum kaum bekannt. Die Savoy-Tradition (der Name stammt vom Savoy-Theater in London, erbaut 1881 von Richard D’Oyly Carte für die Aufführung der Operetten von Gilbert und Sullivan) bezieht sich auf die traditionelle, beinahe schon stereotype Vortragsweise der Operetten von Gilbert und Sullivan, der sogenannten Savoy-Opern.
Die Savoy-Opern waren bekannt für ihre absurde Logik und die im Normalfall absolut vorhersagbare Story. Die Operetten waren oft politkritisch und in einigen Fällen geradezu provokativ. Sie hatten einen starken Einfluss auf die Entstehung des Musicals im 20. Jahrhundert und gelten heute als »Kultoperetten«. Meistens werden sie von Savoy-Ensembles aufgeführt und von Humoristen parodiert. Eine meiner liebsten Humoristinnen ist die bekannte Anna Russell. Ihre Interpretation einer Savoy-Oper in ihrer »(First) Farewell Performance« ist wirklich sehenswert.
In einer typischen Savoy-Oper gibt es auf der einen Seite die Reichen (normalerweise Lords, Offiziere usw. oder Charaktere, die aus irgendeinem Grund in diesen erlesenen Kreis aufgenommen wurden) und auf der anderen Seite die Mittellosen (Tunten, Eingeborene, Arme, gewöhnliche Bürger). Der Tenor spielt für gewöhnlich die Rolle eines Mittellosen, die Sopranistin ist die Tochter oder Schutzbefohlene eines hochrangigen Reichen. Wie Sie sich sicher schon denken, verlieben sich der Tenor und die Sopranistin ineinander, dürfen aber nicht heiraten, weil sie unterschiedlichen Gesellschaftsklassen angehören. Und dann gibt es da noch den Mezzosopran … Im Normalfall eine etwas übergewichtige, vollbusige, unattraktive Frau, die zwei Arien zu singen hat: eine, in der sie erklärt, wer sie ist, und eine, in der sie ihre »Beichte« ablegt. Die »Beichte« steht am Schluss der Operette, wenn die Situation für das verliebte Pärchen vollkommen aussichtslos erscheint. Es stellt sich dann heraus, dass die Mezzosopranistin zwei Babys nach der Geburt aus Versehen vertauscht hat und dass der Tenor zu Unrecht in Armut erzogen wurde, obwohl er eigentlich zur höheren Gesellschaft gehört. Als dies bekannt wird, darf er nun doch die Sopranistin heiraten.
Versetzen Sie sich in Ihr Publikum hinein. Nehmen Sie sich die Zeit, Einstellungen, Interessen, politische Ansichten, bevorzugte Sportmannschaften usw. Ihrer Zuhörer kennenzulernen, um zu verstehen, wie das Publikum tickt.
Captain-Buttercup-Dialog in HMS Pinafore: http://www.youtube.com/watch?v=d5i-gaUPtAc&feature=endscreen
Die vorhersagbare Geschichte und die Charaktere, die beinahe schon Karikaturen sind, wecken im Zuschauer bestimmte Erwartungen, wie die einzelnen Rollen zu spielen sind. Nehmen wir zum Beispiel die Rolle der »Little Buttercup« (Kleine Butterblume) in H.M.S. Pinafore , eine der sechs Rollen von Gilbert und Sullivan, die ich bisher die Ehre hatte, aufführen zu dürfen: Sie ist eine Frau mit wirklich großem Busen – ansonsten wäre der Name »kleine Butterblume« nicht sehr amüsant. Katisha trägt für gewöhnlich eine große japanische Kopfbedeckung, hat sehr lange Fingernägel und bewegt sich über die Bühne wie eine Katze. Die Rolle des »Modern Major General« enthält immer eine sogenannte Patter-Arie, in der er seine Lebensgeschichte in Lichtgeschwindigkeit herunterrasselt. Das Publikum kennt diese Aspekte der Operette, und die Aufführung – und folglich auch der Humor – wird danach bewertet, wie gut das jeweilige Ensemble den Erwartungen an die einzelnen Rollen entspricht. Diejenigen Operetten, die nicht den typischen Erwartungen an Savoy-Opern entsprachen, waren nicht annähernd so erfolgreich wie die stereotypen Werke.
Wir können für unsere gesprochene Sprache von den Savoy-Opern lernen, wie wichtig es ist, die Erwartungen des Publikums zu kennen und darauf einzugehen. Für einen Redner ist es entscheidend, das Publikum und dessen soziale Merkmale, Interessen, politische Ansichten, bevorzugte Sportmannschaften usw. zu kennen, um zu verstehen, wie das Publikum denkt und fühlt. Sobald Sie Ihre Zuhörer verstehen, können Sie deren Interessen – und damit auch deren Sinn für Humor – bedienen. Nicht nur das Publikum wird dankbar sein, auch die Organisatoren des Meetings werden es Ihnen danken.
Alte Frauen, Huren und Zicken
Als Mezzosopran kommt man hauptsächlich in den Genuss der sogenannten »Charakterrollen«, spielt also – nun ja, wie ich bereits in der Überschrift schrieb – alte Frauen, Huren, Schlampen, Hausmädchen und Männer (Hosenrollen), sprich: grundsätzlich alles, was nicht mit der romantischen Protagonistin zu tun hat. Natürlich gibt es einige Ausnahmen. Dorabella gehört beispielsweise zu keiner der oben aufgezählten Rollengruppen. Auch Charlotte in Werther und Lucretia in Die Schändung der Lucretia sind Beispiele für Nicht-Charakterrollen für Mezzosopranistinnen. Carmen – na ja, das können Sie selbst entscheiden …
Eine der wichtigsten Eigenschaften, die man braucht, um eine Charakterrolle gut zu spielen, ist der Wille, sich weit über die eigenen Grenzen hinauszubewegen. Die eigene Wohlfühlzone zu verlassen, wenn Sie so wollen, um die Persönlichkeit des Charakters zu erforschen. Denken Sie an das Böse, das Sie sicher schon in der einen oder anderen Märchenproduktion gesehen haben – es geht dabei nicht um ein bestimmtes Märchen, sondern um das verkörperte Böse in Schneewittchen , in Ursula oder in Die kleine Meerjungfrau usw. Das sind alles Rollen für Mezzosopran! Und denken Sie auch daran, wie übertrieben die Bewegungen und die Stimme eines solchen Charakters sind. Jeder, der eine solche Rolle spielt, muss sich selbst dazu antreiben, über Normen hinauszugehen und eigene Grenzen zu überschreiten, um sich in dem Charakter wiederzufinden.
Übertreiben Sie Ihre Gesten und den Tonfall, um zu sehen, wie weit Sie gehen können. Spielen Sie mit den »Rollen«, die Sie während des Vortrags einnehmen, und haben Sie Spaß dabei.
Diese Fähigkeit ist auch für Redner sehr wichtig, insbesondere für Redner, die sich einer oder mehrerer Arten von Humor in ihren Reden bedienen möchten. Haben Sie den Mut, etwas Neues auszuprobieren, wenn Sie eine Präsentation halten. Versuchen Sie sich an einer neuen Gestik und einem anderen Tonfall als normalerweise. Spielen Sie mit Ihrer Vortragsweise, um zu sehen, ob Sie Ihr Repertoire an Gesten erweitern können. Experimentieren Sie mit Ihrer Stimme, um deren unterschiedliche Färbungen und Charakteristika zu erforschen, und setzen Sie diese ein, wenn Sie einen Vortrag halten. Dabei ist es zwar wichtig, dass Sie »authentisch« bleiben, doch im Rahmen Ihrer persönlichen Authentizität sollten Sie sich immer wieder selbst herausfordern, um sich weiterzuentwickeln und Grenzen zu überschreiten.
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