1 ...6 7 8 10 11 12 ...29 Menschenbilder sind Teil dieses Zeitgeistes und die vom Zeitgeist beeinflussten Theorien sind Ausdruck von diesen damals herrschenden Menschenbildern, d. h. Axiome (Axiome = eine zwar einleuchtende, aber nicht bewiesene Annahmen) über das Verhalten und Erleben von Menschen (Kirchler, Meier-Pesti & Hofmann, 2004). Menschenbilder beinhalten unausgesprochene Bewertungsstandards oder Gestaltungsrichtlinien dafür, was im Arbeits- und Organisationskontext als zumutbar oder als menschengerecht gelten kann (Kirchler et al., 2004).
1.2.1 Der Zeitgeist der Industrialisierung und der maschinellen Massenfertigung (1890–1930)
Industrialisierung in England
Das, was wir aus heutiger Sicht und im Rückblick »Die Industrielle Revolution« nennen, nahm Mitte des 18. Jhd. in England seinen Anfang (Staehle, 1999). Es kamen zu dieser Zeit verschiedene Entwicklungen zusammen, die als Triebfedern des Kapitalismus gelten (Staehle, 1999):
• Es begann sich ein Weltmarkt zu entwickeln (z. B. Handel mit Amerika).
• Adam Smith propagierte die zentrale Bedeutung der gesellschaftlichen und produktionstechnischen Vorteile der Arbeitsteilung (s. u.) für den Wohlstand einer ganzen Nation.
• Die rechtliche Verankerung der Freiheit und Sicherheit der Person und des Eigentums (womit der Besitz von etwas überhaupt erst attraktiv wurde) setze sich durch.
• Es kam zur Akkumulation von Kapital in den Händen weniger Produzenten und Entstehung einer großer Klasse von Arbeitern gepaart mit dem Glauben an den Segen dieser Ordnung (freier Wettbewerb, Gewinnstreben, Selbstverantwortung, im Gegensatz zum »göttlichem Willen« oder Schicksal), im Zusammenspiel mit einer protestantischen Arbeitsethik (Askese, harte Arbeit, strenge Pflichtauffassung und die Auffassung, dass man aus Kapital mehr Kapital machen müsse).
Diese gesellschaftlichen Entwicklungen wurden angetrieben von drei technischen Innovationen: Die erste verwendbare Dampfmaschine wurde 1712 von Th. Newcomen konstruiert und diente zur Wasserhebung in Bergwerken, im Jahre 1735 folgte die Spinnmaschine von J. Wyatt, in 1769 folgten die patentierte Dampfmaschine von J. Watt sowie 1814 die erste Dampfmaschine auf Rädern (als Vorläufer der späteren Eisenbahnen) von G. Stephenson (Staehle, 1999; Bauernhansl, 2014).
Industrialisierung in Deutschland
Ende des 18 Jhd., als England schon zu weiten Teilen industrialisiert ist, galt Deutschland noch als Agrarland, denn 85 % der Bevölkerung lebte auf dem Land. Das Handwerk ist bis dahin die noch vorherrschende Produktionsform (Staehle, 1999). Der Beginn der Industrialisierung Deutschlands wird mit den Jahren 1835–1845 angegeben.
Auch in Deutschland kamen verschiedenen begünstigende Entwicklungen zusammen (Staehle, 1999):
• Die Vereinheitlichung der Währung und der Wirtschaftspolitik sowie die Schaffung eines wirtschaftlichen Großraums (1834 tritt der Zusammenschluss der deutschen Bundesstaaten zum deutschen Zollverein in Kraft, 1866 wird der Norddeutsche Bund geschlossen, 1871 das Deutsche Reich gegründet).
• Niedrige Löhne und hohe Nachfrage durch Bevölkerungswachstum, durch Verbesserung der hygienischen Verhältnisse sowie der Ernährung und der Gesundheitsfürsorge. Die Sterblichkeitsrate sinkt, die Geburtenrate steigt. Während um 1800 herum ca. 23 Mio. Personen auf dem Territorium des Deutschen Reiches leben, sind es 1900 ca. 56 Mio.
• Einführung der Gewerbesteuer (ab 1866), Erleichterung der Kapitalbeschaffung durch die Rechtsform der Aktionsgesellschaft, Maßnahmen staatlicher Sozialpolitik zur Milderung sozialer Risiken (Krankheit, Unfall, Arbeitslosigkeit).
• Ausbau der Verkehrswege und damit eine Erweiterung der Absatzmärkte und Erleichterung des überregionalen Handels. Der Ausbau des Eisenbahnnetzes wird zum Rückgrat des Transportsystems und zum wichtigen Treiber für den Maschinenbau. 1840 umfasst das deutsche Eisenbahnnetz 420 km, 1860 bereits ca. 5875 km (Staehle, 1999).
Im Zuge besonderer Erfindungen und Entdeckungen haben sich im 19. Jhd. folgende Industriezweige herausgebildet (Staehle, 1999):
Wir befinden uns mit der Entstehung der ersten Organisationstheorien bereits in der Zeit der zweiten industriellen Revolution. Die erste Revolution bezieht sich auf die Erfindung der Dampfmaschine (1712) und die Mechanisierung der Textilindustrie ab ca. 1780 (s. o., Bauernhansl, 2014; Dombrowski & Wagner, 2014; Monostori, 2014; Sendler, 2013).
Die zweite industrielle Revolution (ab ca. 1870), beginnt mit der Einführung der arbeitsteiligen Massenproduktion nach dem Babbage-Prinzip (s. u.) und mit Hilfe elektrischer Energie. Die Energie trieb dabei nicht nur Maschinen an, sondern lieferte auch Energie für Beleuchtung, die es ermöglichte, nicht mehr nur in den hellen Stunden des Tages mit Tageslicht zu arbeiten, sondern »rund um die Uhr« (Pierenkemper, 2009). In dieser Zeit entwickelt sich die Lohnarbeit als dominante Form des Beschäftigungsverhältnisses.
Wie arbeiteten die Menschen vor der industriellen Revolution und vor der »Lohnarbeit«?
Vor der industriellen Revolution, zu Beginn des 19 Jahrhunderts, waren etwa drei Viertel aller Beschäftigten in der Landwirtschaft tätig und jeweils ca. 15 % im Gewerbe und im Dienstleistungssektor (Schissler 1978, S. 72–74; Pierenkemper, 2009).
Betrachtet man die in der Landwirtschaft Beschäftigten, so arbeitete nur eine sehr geringe Anzahl als »leitendes Personal« (Gutsbeamte, Verwalter) und die wenigsten als sog. Lohnarbeiter. Auch sog. Vollbauern galten als Selbstständige, ebenso wie die Kleinbauern, die eine große Gruppe der in der Landwirtschaft Beschäftigten ausmachte (Pierenkemper, 2009). Der Landbesitz der Kleinbauern reichte oft nicht aus, um eine Familie zu ernähren. Als Zuerwerb arbeiten sie deshalb in einem Dienstverhältnis als Eigenversorger oder als kontraktlich gebundene Arbeitskraft auf den Gütern oder bei den Vollbauern. Andere wiederum arbeiteten als Landhandwerker oder Heimgewerbetreibende in quasi selbstständiger Tätigkeit. Menschen, die kein Land besaßen, die sog. »Landlosen«, waren als Hilfskräfte (Deputatsempfänger, Dienstleute) in der Land- und Güterwirtschaft tätig, genauso wie das »Gesinde«, das gegen Kosten und Logis im Haushalt der Bauern oder der Gutsherren arbeitete (Pierenkemper, 2009). Es dominierten somit stark feudal geprägte Arbeitsformen (Pierenkemper, 2009).
Der gewerbliche Sektor bestand zu Beginn des 19 Jhd. aus handwerklichen Tätigkeiten (Wehler 1987). Die Gesellen blieben meist in einem traditionellen Arbeitsverhältnis, d. h. sie unterstanden der hausherrlichen Gewalt des Meisters sowie den Regelungen der jeweiligen Zünfte (z. B. dem Wanderzwang, wie man das heute noch von Zimmerleuten kennt). Kost und Logis stellten einen beachtlichen Teil ihrer Entlohnung dar (Pierenkemper, 2009).
Quasi-Selbstständige mit eigenen Produktionsmitteln, wie z. B. einem Spinnrad oder Webstuhl und weiteren Familienmitgliedern als Hilfskräften, arbeiteten zeitlich begrenzt für überörtlich tätige sog. Verleger. Diese Verleger waren die Auftraggebenden, die Geld und Material »vorlegten«.
Im damaligen »Dienstleistungssektor« waren z. B. Schiffer oder Fuhrleute tätig, die ihre Dienste unregelmäßig anboten, oder es waren Dienstboten beschäftigt, die als Diener, Köchinnen oder Kindermädchen ebenfalls Kost und Logis erhielten und keinen Barlohn.
So finden sich Lohnarbeiter/innen zu Beginn des 19 Jhd. lediglich in den ersten entstehenden Eisenhütten und den frühen Textilfabriken (Kocka 1990b; Pierenkemper, 2009).
Die gedanklichen Grundlagen der Massenproduktion
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