Gedankenversunken schreckte er auf, als das Telefon klingelte.
»Mensch, ein tolles Foto.«
Der Patrone hatte heute Morgen offensichtlich schon die Zeitung studiert.
»Guten Morgen! Sieht fast ein wenig gestellt aus.«
»Aber klasse, wirklich super! Ich würde Ihnen das Bild gerne abkaufen.«
Es war das erste Mal, dass Bauer das Wort Geld in ihrer Zusammenarbeit erwähnte.
»Sorry, ich habe es ja bereits verkauft.«
»Nein, ich will keinen Abzug. Ich würde gerne das Original kaufen.«
So hatte Schranz wieder einen Kubikmeter Brennholz verdient.
»Und noch etwas, ich würde Sie gerne in Zukunft als unseren ›Haus- und Hofberichterstatter‹ engagieren. Wenn etwas ansteht, würde ich mich bei Ihnen melden. So wie jetzt zum Beispiel. Am 1. Februar wollen wir zu einer Vorbesprechung zur Gründung einer bundesweiten Züchtervereinigung für das Schwäbisch-Hällische Schwein einladen. Um 13 Uhr im Gasthof Krone in Hessental. Für Sie wären Essen und Getränke frei.«
Das war der erste Großkunde für Schranz und nach knapp einem Jahr in Hohenlohe freute er sich sehr darüber. Es war schwer gewesen und deutlich langsamer gegangen als im Großraum Stuttgart üblich.
Das bedeutete, dass er weiterhin sein Geld von der HV bekommen würde. Aber die ersten Informationen über Projekte des SHL gingen ab jetzt gleichzeitig als Pressemitteilung an die HV und an Schranz. Ein sehr wertvoller Wissensvorsprung für ihn gegenüber anderen freien Journalisten.
*
1. Februar 1985
Über die Fahrtkosten hatten sie nicht gesprochen, und es waren über 40 Kilometer von Bernau bis nach Hessental. Schranz würde einen geeigneten Moment abwarten, um Bauer danach zu fragen.
Der Abend verlief enttäuschend. Keine Neuigkeiten, viele Sätze von Bauer kannte er nun fast schon auswendig. Nur eine Sache war ihm bisher entgangen. Es gab seit letztem Jahr eine ›Schweine-Körkommission‹. Am 11. 1. 84 hatte es Bauer geschafft, mit den Tierzuchtbehörden und der Vorstandschaft des Schweinezuchtverbandes ein Vorbuch für das spätere Zuchtbuch des SHL einzurichten. Damit hatte die Zucht für das SHL sozusagen wieder offiziell begonnen. Mit fünf Sauen von Manfred Gerlacher, der Sau ›Berta‹ vom Patrone und einem Eber mit Namen ›Felsen‹ von einem Züchter Gerner.
Inzwischen war ja auch noch der Eber ›Helm‹ dazugekommen.
Bauer war noch immer mächtig stolz darauf, dass er dies erreicht hatte. Auch für die anderen Schweinezüchter war es offenbar von großer Bedeutung, denn es war der Moment des Abends gewesen, der eine Reaktion hervorgerufen hatte.
Das war die einzige Neuigkeit, die Schranz an die HV verkaufen konnte. Sonst nichts. Vielleicht 40 Zeilen und ein Archivbild mit einer Muttersau inklusive Ferkel. Er musste mit Bauer ein Gespräch wegen der künftigen Zusammenarbeit führen. Der Ertrag dieser 40 Zeilen hatte gerade einmal die Spritkosten des heutigen Abends gedeckt.
Und er hatte Gerlacher kennengelernt. Als Erstes waren ihm die abstehenden, kleinen Ohren an ihm aufgefallen. In Kindertagen hatte die Oma von Schranz dazu immer Schweinsöhrchen gesagt, das passte! Ein kantiges Kinn und schmale, deutlich strukturierende Augenbrauen umrahmten das braungebrannte Gesicht. Dazu diese starke Falte rechts und links parallel von der Nase den Mund umschließend bis an das Kinn. Ein wahrlich markanter Kopf.
Reden war nicht Gerlachers Sache, das schien hier so üblich zu sein. Aber er war geachtet, schien fast einer der Anführer zu sein. Ob es daran lag, dass er der Schwager von Bauer war? Oder eher daran, dass fünf von sechs Zuchtsauen der Gründergeneration von ihm stammten? Schranz hatte bei diesem Mann ein eigenartiges Gefühl, nichts Bestimmtes, einfach so. Komisch fand er auch, dass Heinrich Bauer so wenig über Gerlacher erzählt hatte.
Wie auch immer, es war schon eine skurrile Truppe gewesen, die sich an diesem Abend zusammengefunden hatte. Dabei war Bauer wie üblich der Boss, ihr Patrone im wahrsten Sinne des Wortes gewesen. Und so hatten ihn auch einige andere bereits angesprochen.
*
2. Februar 1985
Dinge auf die lange Bank zu schieben, das lag Schranz nicht. Also rief er über die Mittagszeit beim Patrone an.
»Mahlzeit Herr Bauer!«
»Gut, dass Sie sich melden. Haben Sie mit der Berichterstattung von gestern Abend alles im Griff?«
»Danke, das passt alles. Ich muss mal schauen, wie viele Zeilen das werden. War nicht besonders ergiebig. Es war eine ähnliche Besprechung wie die Male zuvor. Nur waren mehr Leute da. Und es gibt das eindeutige Ziel, in absehbarer Zeit die Gründungsversammlung einer Züchtervereinigung abzuhalten.«
»Jede Menge Punkte.«
»Aber wir hatten das schon so ähnlich drin in der HV. Ich muss mit Martens reden, mal sehen, was sich machen lässt.«
Schranz war klar, dass da nichts möglich war.
»Ich wollte Sie noch fragen, wie wir es finanziell regeln? Sie meinten das letzte Mal, ich sei von nun an Ihr Haus- und Hofberichterstatter.«
Keine Antwort von Bauer. Dann:
»Ich will einmal anders herum anfangen. Wir alle, Sie, ich, die anderen Bauern, wir arbeiten alle an einer richtig großen, sicheren Zukunft. Jeder von uns zahlt das Porto, die Telefonkosten, das Spritgeld aus seiner eigenen Tasche. Gar nicht zu reden von den Arbeitsstunden, sowohl für die Vorbereitung unserer Aktivitäten, wie auch die Zusammenkünfte. Und ich würde Sie, lieber Herr Schranz, gerne in die Zukunft mitnehmen. Gemeinsam packen wir das!«
Bauer hatte es geschafft, ihn in diese Sache zu involvieren. Nur davon ließ sich aktuell kein Holz für den Kachelofen kaufen, der Winter war streng und die Vorräte neigten sich dem Ende zu. Er würde ein zusätzliches Buch im Lektorat des Wissenschaftsverlags annehmen müssen, alles andere war zu riskant, zumal er aufgrund der hohen Umzugskosten nach Bernau noch kein finanzielles Polster angelegt hatte.
»Und noch was.«
Wieder machte er eine seiner Kunstpausen.
»Auf dem Nachbarhof von Kollege Neumann, Sie kennen ihn ja, unseren Fritz, gibt es Probleme. Da sind vorgestern zwei Schweine gestorben, gestern fünf, alle einfach umgekippt. Wenn ich dort nachhake, ist das zu auffällig. Machen Sie das doch.«
Daraus konnte sich eventuell eine neue Geschichte entwickeln. Und diese könnte Schranz vielleicht den benötigten finanziellen Umsatz bringen. Es widerstrebte ihm, so profitorientiert zu denken, aber er musste schließlich für weitere kalte Wochen Vorsorge treffen.
»Hallo Herr Neumann. Entschuldigen Sie den späten Anruf!«
Schranz hatte erst nach dem Essen bei Neumann angerufen. Ab 20 Uhr waren die Landwirte im Winter normalerweise nicht mehr im Stall.
»Kein Problem. Sind Sie nicht dieser Schreiberling?«
Schranz hatte keine allzu freundliche Begrüßung erwartet.
»Von der HV. Darf ich Sie etwas fragen?«
»Ja.«
»Was passiert gerade bei Ihrem Nachbarn?«
Ein langes Schweigen folgte.
»Ich weiß nicht!«
Wieder sekundenlanges Schweigen.
»Wissen Sie, ich will morgen nicht in der Zeitung stehen.«
»Das tun Sie auch nicht.«
»Wer weiß!«
»Sie kennen mich jetzt schon von ein paar Bauernversammlungen. Ich habe mich immer an die Vereinbarungen gehalten. Auch zum Patrone habe ich, wie Sie wissen, ein sehr offenes, vertrauensvolles Verhältnis.«
Hoffentlich zog das auch in diesem Fall.
»Ja, ich weiß.«
Er schien seine Gedanken zu ordnen.
»Dort ist etwas Komisches passiert. Ich kann es aber noch nicht genau einschätzen. Wenn Sie mich fragen, dann könnte es die Aujetzki-Krankheit sein. So sah das vor über 10 Jahren auch schon einmal bei uns im Stall aus. Ich war gestern noch drüben, da war nichts. Alles sieht gut aus. Und am nächsten Tag sind die Schweine tot.«
Diese Krankheit kannte Schranz nur dem Namen nach, etwas Genaues wusste er nicht.
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