Im vorliegenden Buch bezeichnen wir diese Prozesse als unsere natürliche Problemlösungsfähigkeit und als Geist-Körper-Heilung . Um diese inneren Selbstheilungsfähigkeiten zu erschließen, müssen wir uns in einem therapeutischen Bewusstseinszustand befinden. Damit ist jene Geisteshaltung gemeint, die weiß, dass mit Ihnen nicht alles in Ordnung ist, die aber bereit und in der Lage ist, die Prozesse zu initiieren, die alles wieder in Ordnung bringen. »Nicht okay zu sein« ist ein anderer Bewusstseinszustand, in dem es schwierig ist, zu den eigenen Problemlösungs- und Heilungsfähigkeiten in Verbindung zu treten. In diesem Seinszustand geht es uns nicht gut, oder wir fühlen uns krank. Dies ist ein zerrüttender Bewusstseinszustand. Eine Therapie zielt darauf ab, uns durch Prozesse zu geleiten, die Veränderungen zum Positiven bewirken und uns in einen Zustand des Wohlbefindens versetzen. Dies tritt ein, wenn wir nicht nur zu unserem besseren Selbst in Verbindung treten, sondern auch in der Lage sind, diese Veränderungen in unser gesamtes System von den Neuronen bis hin zu den Genen zu integrieren. Dies ist ein integrierender Bewusstsein szustand. Mirroring Hands geleitet uns vom Zustand der Störung zum therapeutischen Bewusstseinszustand und von dort zur Integration, zur Auflösung von Blockaden und schließlich in einen Zustand des Wohlbefindens. Mirroring Hands versucht, die Verbindungen zu unseren inneren Problemlösungsfähigkeiten und unserer Geist-Körper-Heilung wiederherzustellen, um unsere besten Seiten zu erschließen.
Haben Sie schon einmal einen Klienten erlebt, der erklärte, es gehe ihm besser oder er habe ein Problem gelöst, habe eine erstaunliche Erkenntnis gehabt oder Genesung erlebt, und Ihnen ist absolut nicht klar, wodurch das Problem gelöst wurde – welcher Teil der Therapie oder was von dem, was Sie gesagt oder getan haben, bei ihm zum entscheidenden Durchbruch führte? Ein solches Erlebnis mag merkwürdig erscheinen, doch in einem anderen Licht betrachtet ist es zu erwarten. Und genau das wollen wir nun mit Ihnen zusammen erforschen. Wie kann es normal sein, dass eine unerwartete Reaktion eintritt, die auf keiner unmittelbaren Ursache zu beruhen scheint, die aber für den Klienten zu einem wichtigen Durchbruch führt? Die Antwort entstammt dem Bereich der Physik oder liegt in der Funktionsweise komplexer Systeme begründet.
Im weiteren Verlauf dieses Kapitels beschäftigen wir uns mit dem Wesen von Systemen und damit, was es mit nichtlinearen Dynamiken, sich selbst organisierender adaptiver Komplexität und der Chaos-Theorie auf sich hat und warum sie wichtig sind. Wir werden uns bemühen, uns kurz zu fassen und die Theorie wann immer möglich auf die therapeutische Praxis zu beziehen. Andererseits werden wir langsam und sorgfältig vorgehen, weil die im Folgenden beschriebenen Theorien und Konzepte viele vertraute Darstellungen der Funktionsweise von Dingen hinfällig machen. Dies ist beim Versuch, den Prozess der Psychotherapie zu verstehen, besonders relevant. Woher wissen wir, ob wir das Erforderliche tun, um Veränderung und Entwicklung zu fördern? Das Leben eines Menschen und das Problem, das ihn zur Therapie gebracht hat, umfassen so viele Aspekte. Woher sollen wir wissen, was wir tun können, um das Problem lösen und den Klienten mit Aussicht auf eine deutlich positivere zukünftige Situation nach Hause entlassen zu können? Wie finden wir die Ursache des Problems, und wie wenden wir die wirksamste Therapie an? Diese Fragen können wir erst beantworten, wenn wir erklärt haben, warum dies nicht die richtigen Fragen sind. Sie resultieren aus unserem Nachdenken über das System. Wir werden jedoch zeigen, inwiefern jedes menschliche System, über das wir nachdenken können, ein System ist, in dem wir uns befinden. In einer Therapie befindet sich der Therapeut fraglos im System, und diese Sicht verändert unseren Umgang mit einer Therapie und mit dem Leben im Allgemeinen völlig. Wir beginnen die Erforschung dieser Zusammenhänge mit einer Reise.
Am Himmel über Newquay in Cornwall (England), über Olevoortseweg in Nijkerk (Niederlande) oder über Sacramento in Kalifornien (USA) sieht man Zehntausende von Staren in die Luft aufsteigen, ein Schauspiel, das sich jedem logischen Verständnis entzieht. Die Vögel bewegen sich in einem riesigen Schwarm in einer Art Ebbe und Flut über den Himmel. 11Es gibt dabei keinen Dirigenten, keinen »Führer« und keinen Organisator; nur eine ganz bestimmte Kombination von Voraussetzungen und Faktoren, die diesen außergewöhnlichen, sich ständig verändernden Anblick erzeugen. Es ist unmöglich, etwas anderes über Form und Fluss des Starenschwarms in jedem konkreten Augenblick vorauszusagen, als dass es immer eine Form und einen Fluss geben wird.
Die Vogelschar ist ein sich selbst organisierendes Phänomen. Ebbe und Flut der Vögel ergeben sich aus bestimmten Parametern, die untrennbar mit der Existenz der Stare verbunden sind. Die Formation entsteht fast »von selbst« – was uns als abwegig erscheinen mag, weil Menschen in der Regel meinen, dass komplexe Prozesse nur stattfinden können, wenn sie gesteuert, organisiert und geleitet werden. In unserer modernen Welt mag es ein wenig verrückt erscheinen zu denken, dass ein Prozess sich selbst organisieren kann, dass Kinder in einem nicht gesteuerten Erziehungssystem lernen können, dass eine Gemeinschaft ohne Regeln funktionieren kann und ohne dass eine Polizei für Recht und Ordnung sorgt. Ein ebenso »logischer« Denkschritt ist die Annahme, dass Psychotherapie nur auf der Grundlage strukturierter Techniken möglich ist, die zu vorhersehbaren Resultaten führen. Solche strukturierten Ansätze entsprechen dem Prinzip der linearen Verursachung, womit eine Beziehung zwischen einer Ursache und einer Wirkung gemeint ist, die schrittweise in einem Prozess mit vorhersagbaren Resultaten zutage tritt (Hardesty 2010). Noch wichtiger ist, dass dies darauf verweist, dass wir – und das bedeutet hier Menschen im Allgemeinen – eine direkte Ursache-Wirkungs-Kontrolle auf die uns umgebende Welt ausüben können. Die lineare Kausalität ist zum zentralen Fokus wissenschaftlicher Untersuchungen und analytischer Prozesse geworden. Sie war im vorigen Jahrhundert das dominierende Paradigma auf den Gebieten der Erziehung (Koopmans 2014, S. 20–39), der wissenschaftlichen Forschung (Galea, Riddle a. Kaplan 2010, S. 97–106) und der Wirtschaft (de Langhe, Puntoni, a. Larrick 2017). Das Prinzip der linearen Kausalität lässt sich bis ins alte Griechenland zurückverfolgen, es wurde von Isaac Newton im Jahre 1687 in seinen Principia formalisiert (Cohen, Whitman a. Budenz 1999).
Doch eine Starenwolke, ein Fischschwarm, die fließende Formation der Menschen, die einander auf einem belebten Fußgängerübergang passieren, die DNS, die Planeten, Sonnensysteme und Galaxien und die Funktionsweise des menschlichen Gehirns resultieren alle aus einer Gruppierung von im Einklang mit Prinzipien und Intentionen sich selbst organisierenden Teilen, die bestrebt sind, Gesundheit und Wohlbefinden zu fördern und etwas zu schaffen, das mehr ist als die Teile selbst, und denen dies ohne jede Anleitung, Anweisung oder Instruktion von wem auch immer gelingt. Wie ist das möglich? Die Antwortet lautet, dass Selbstorganisation und nichtlineare Dynamiken der natürliche Stoff sind, aus dem das Leben besteht. Wir haben unsere Aufmerksamkeit auf die lineare Verursachung gerichtet und dabei das Gesamtbild aus dem Blick verloren. Damit soll keineswegs der Eindruck erweckt werden, dass lineare Kausalität nicht existiert oder nicht wichtig ist. Lineare Prozesse finden zwischen Elementen innerhalb nichtlinearer Systeme statt. Beide heben einander nicht auf. Es handelt sich vielmehr um komplementäre Aspekte der Natur und natürlichen Erlebens. Entscheidend ist, wie wir über beide denken. Es ist sehr schwierig, aus linearer Perspektive über nichtlineare Systeme nachzudenken, aber es ist ganz und gar nicht schwierig, lineare Prozesse innerhalb von nichtlinearen Systemen stattfinden zu sehen. Vielleicht dominieren lineare Systeme deshalb in unserem Denken, weil viele der Dinge, mit denen wir uns Tag für Tag beschäftigen, auf der newtonschen linearen Physik basieren. Wenn Sie die komplexe nichtlineare Welt würdigen wollen, wird es Sie wahrscheinlich erfreuen zu hören, dass das nicht so kompliziert ist, wie es auf den ersten Blick erscheinen mag.
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