Sophie Dorothea, die bald auf den Bruder der begeisterten Opernbesucherin treffen sollte, fand auf diese Weise etwas mehr Zerstreuung in Hannover. Wie alle Gäste der Operneröffnung zeigte sich die Prinzessin begeistert von dem historischen Musikwerk »Enrico Leone«, das Hofkapellmeister Agostino Steffani zur Eröffnung komponiert hatte. Sophie Dorothea gefiel indessen weniger die Geschichte um Heinrich den Löwen als die ausgefeilte Bühnentechnik, die bei der Aufführung zum Einsatz kam.
Auch die Herrenhäuser Gärten wurden um eine Attraktion reicher. Fürstin Sophie ließ ein aus Hecken bestehendes Gartentheater errichten. Dazu wurden Tausende von jungen Hainbuchen und Lindenbäumen in den benachbarten Ämtern ausgegraben und von den Bauern nach Herrenhausen verfrachtet. Sophie Dorothea wusste es sehr zu schätzen, dass die Spaziergänge mit ihrer Schwiegermutter nun gelegentlich unterbrochen wurden durch den Besuch einer italienischen Komödie unter freiem Himmel. Hier in diesem Heckentheater fühlte sie sich zurückversetzt an den Hof ihrer Kindheit. Wenn sie dann mit ihrer Schwiegermutter in heiterer Stimmung zurückschlenderte, erschienen ihr auch die übrigen Attraktionen des Gartens in schönerem Licht: die Buchsbaumarabesken mit den verschiedenfarbigen Kiesflächen, die große Fontäne und die wasserspeienden Meergötter.
Aber leider waren solche Glücksmomente schnell verflogen, wenn sie auf ihr Zimmer zurückkehrte. Dann beschlich sie wieder dieses lähmende Gefühl der Wertlosigkeit – missachtet und gedemütigt von einem Mann, der sich ungeniert in aller Öffentlichkeit mit einer anderen Frau amüsierte.
Doch das sollte sich bald ändern. Denn nun trat ein Mann in ihr Leben, der ihr half, die Seitensprünge des Angetrauten mit Gleichmut zu betrachten.
18. Februar 1690. Der Schnee, der in der Nacht gefallen war, verwandelte sich in Matsch und überzog die Wege der hannoverschen Altstadt mit einer Schlammschicht. Das Tauwasser mischte sich mit dem Kot der Schweine und Schafe, die durch die Gassen getrieben wurden. Gedämpft vollzog sich das Leben zwischen Aegidientor und Marktkirche, zwischen Leineschloss und Klickmühle. Ein grauer Himmel lastete über der Stadt. Tief und trübe. So wurde es schon früh dunkel.
Wenige Stunden später aber wurde es im Rathaus hell. Die Säle und Prunksalons strahlten im Kerzenschein von Kandelabern und Kronleuchtern, bengalisches Licht floss aus Schalen auf glänzenden Marmorsäulen, Gläser voll Champagner und Rotwein funkelten auf Silbertabletts, Geigen, Gamben, Krummhorn, Flöten und Schalmeien ließen den grauen Tag vergessen. Und der Duft parfümierten Wassers überlagerte den Qualm der Tabakspfeifen und die fauligen Ausdünstungen, die durch die Fenster hereinkrochen. Inmitten dieses festlichen Funkelns plauderte, prostete, trank und tanzte eine märchenhaft aufgeputzte Schar in bunten Kostümen: Harlekine, griechische Gottheiten, Bauern, Schäferinnen und Amazonen mit edelsteinbesetzten Roben aus raschelnder Seide.
Karneval in Hannover. Ernst August scheute keine Kosten, um zu demonstrieren, dass sich das Spiel der Verkleidung und des Rollentauschs nicht nur in Venedig, sondern auch an der Leine in Szene setzen ließ. Er selbst gefiel sich als »Hans Wurst« – in der derb-komischen Gestalt des universalen Schauspielers, der sich durch Komik, maßlose Gefräßigkeit und sexuelle Grenzenlosigkeit auszeichnete. Für den diesjährigen Straßenumzug hatte der Herzog angeordnet, dass sich sämtliche seiner männlichen Gäste als »Hanswürste« zu verkleiden und in vier »Banden« durch die Stadt zu ziehen hatten. Das hatte etwas Befreiendes, das auch die älteren Vertreter des Hochadels schätzten. Denn während der übrigen Zeit des Jahres beherrschte ja das minutiös festgelegte Protokoll das Leben der Fürstenhöfe.
Herzogin Sophie war in das Kostüm einer Zigeunerin geschlüpft, um mit ihrem Gemahl den Maskenball zu eröffnen – zu Ehren des Celler Herzogspaares, das zu einem Besuch in Hannover weilte. Um die neue Verbundenheit zu demonstrieren, hatte sie sich ihren früheren Verlobten zum »Partner der Nacht« gewählt. Gemeinhin wurden die Paare durch das Los bestimmt, die Herren zogen eckige, die Damen runde Holzplättchen, deren Farbe dann über die Paarung entschied. Aber natürlich konnte man ein wenig nachhelfen. Und Sophie war sich mit ihrem Mann einig, dass aller Welt vor Augen geführt werden musste, wie die Welfenfamilie jetzt zusammenstand.
Die Beziehung der herzoglichen Brüder war gut wie nie. Die Große Allianz gegen den Franzosenkönig Ludwig XIV. schweißte auch die Herzöge von Celle und Hannover zusammen. Gemeinsam mit den Soldaten des Kaisers, der Schweden und der Spanischen Niederlande boten die Truppen der Welfenherzöge in Flandern und der Pfalz dem Sonnenkönig Paroli. Wer wusste denn, wer als nächster von den Rollkommandos dieses Größenwahnsinnigen aus Versailles überfallen wurde? Da galt es zusammenzuhalten.
Hinter der Einladung stand aber auch das Bemühen, die desolate Ehe des Prinzenpaars zu retten. Doch sehr erfolgversprechend ließ sich der Abend in dieser Hinsicht nicht an. Sophie Dorothea richtete ihre Blicke nicht auf Georg Ludwig, sondern auf einen anderen Mann. Durch das Los war ihr ein Partner zugefallen, der sich wie ein Märchenprinz aus Tausendundeiner Nacht herausgeputzt hatte – mit Rosa- und Silberbrokat, Krummsäbel und Turban: Graf Philipp Christoph von Königsmarck. Der Soldat und Kavalier mit dem dunklen Oberlippenbart und den grau-grünen Augen war im Mai 1689 als Gardeoberst in den Dienst Ernst Augusts getreten. Man kannte sich. Sophie Dorothea war dem ein Jahr älteren Grafen schon in Celle begegnet, wo er seinerzeit mit seiner Mutter zu Besuch gewesen war.
Im Februar 1688 hatten sie sich das erste Mal bei einem Ball in Hannover wiedergesehen. Philipp Christoph hatte sogar am Tisch des Prinzenpaares gesessen. »Erinnert sich Eure Herzogliche Durchlaucht noch an meinen Besuch in Celle?«, hatte er zu fragen gewagt. Die Röte war Sophie Dorothea in die Wangen geschossen, flüsternd hatte sie geantwortet: »O Gewiss, wie sollte ich das vergessen.«
Königsmarck hatte sich im Jahr zuvor von seiner Verlobten Charlotte Dorothea Rantzau, der Tochter des dänischen Statthalters in den Herzogtümern Schleswig und Holstein, getrennt und war offen für eine neue Eroberung.
Seine »Partnerin der Nacht« war ganz nach seinem Geschmack. Ähnlich wie beim Karneval in Venedig gefiel sich die Prinzessin in einem Florakostüm – in einer weißen mit Blümchen besetzten Robe, das Haar und das weit ausgeschnittene Dekolleté geschmückt mit gelben und roten Seidenrosen. Und sie sahen sich nicht nur in die Augen, sondern tanzten auch miteinander. Zum Beispiel Menuett.
In kleinen gemessenen Schritten bewegte sich das hübsche Paar übers Parkett und vollführte die verlangten Figuren mit einer Anmut, die unter den Gästen höchste Bewunderung hervorrief.
Sophie Dorothea kannte diesen vornehmen Tanz ja schon, bevor Ludwigs XIV. ihn hoffähig gemacht hatte. Ihre Mutter hatte ihr in Celle die Schritte beigebracht, als sie noch ein kleines Mädchen gewesen war. Denn der Tanz kam ja aus der Heimat von Eleonore d’Olbreuse, war einst ein Volkstanz im Poitou gewesen. So war die Herzogin von Celle jetzt ganz besonders entzückt, dass ihre Tochter hier in Hannover mit dem Menuett so hübsch zu glänzen verstand. Dass es nicht der Gatte war, mit dem sie tanzte, sah sie gelassen. Sie wusste ja um den prekären Zustand der Ehe. Da war es doch gut, dass Sophie Dorothea sich endlich einmal ein bisschen amüsierte. Augenzwinkernd nickte sie ihr zu.
Auch die Augen einer anderen Dame in fortgeschrittenem Alter ruhten auf dem jungen Paar: die von einer Lorgnette vergrößerten Augen der Gräfin Platen, die im goldglitzernden Gewand aus grüner Seide als Fruchtbarkeitsgöttin erschienen war.
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