Heinrich Thies
Ronny Rieken
Portrait eines Kindermörders
Zweite Auflage 2005
© zu Klampen Verlag · Röse 21 · D-31832 Springe
Dieses Werk wurde vermittelt durch die
Literarische Agentur Thomas Schlück GmbH, 30827 Garbsen
e-mail: info@zuklampen.de
www.zuklampen.de
Satz: thielenVERLAGSBÜRO, Hannover
Umschlag: Matthias Vogel (paramikron), Hannover
Umschlagfoto: Udo Heuer, Hannover
1. digitale Auflage: Zeilenwert GmbH 2014
ISBN 9783866743489
Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek
Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der
Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische
Daten sind im Internet über ‹ http://dnb.ddb.de› abrufbar.
Cover
Titel Heinrich Thies Ronny Rieken Portrait eines Kindermörders
Impressum Zweite Auflage 2005 © zu Klampen Verlag · Röse 21 · D-31832 Springe Dieses Werk wurde vermittelt durch die Literarische Agentur Thomas Schlück GmbH, 30827 Garbsen e-mail: info@zuklampen.de www.zuklampen.de Satz: thielenVERLAGSBÜRO, Hannover Umschlag: Matthias Vogel (paramikron), Hannover Umschlagfoto: Udo Heuer, Hannover 1. digitale Auflage: Zeilenwert GmbH 2014 ISBN 9783866743489 Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über ‹ http://dnb.ddb.de › abrufbar.
Prolog
1. Ein Mädchen verschwindet
2. Die Begegnung
3. Ulrike wird vermisst
4. Erinnerungen an den Vater
5. Der Prügelknabe
6. Unterwegs als Schiffsjunge
7. Die Traumfrau
8. Auf Abwegen
9. »Es war das perfekte Leben«
10. Christina
11. Über Nacht zum Soko-Chef
12. Die Trauerfeier
13. Der Speicheltest
14. Die letzten Wochen der Freiheit
15. Wie ein Fahndungserfolg zur Panne wird
16. Die Schwester: »So abgebrüht war er nun auch wieder nicht«
17. Das Geständnis
18. Die Ehefrau: »Man kann ihn doch nicht einfach fallen lassen«
19. Erkundung der Abgründe
20. »Ich habe es wirklich nicht gewollt« – Briefe aus der Untersuchungshaft
21. Der Prozess
22. »Es fehlt an einer emotionalen Bremse« – Gespräch mit Norbert Leygraf
23. Die Schwester: »Mitleid hatte ich die ganze Zeit mit ihm«
24. Befreiung aus mütterlicher Umklammerung
25. Unter Schicksalsgenossen
26. Der Gefängnispsychologe: »Wir wissen einfach zu wenig«
27. Die verwaisten Eltern: Lebenslang im Schatten der Erinnerungen
28. Wieder ist ein Mädchen verschwunden
29. Nachwort: Die Banalität des Bösen
»Ein Schelm, der Böses dabei denkt.« Der Spruch des Hosenbandordens steht in ehrwürdigem Französisch über dem historischen Eingangsportal der Justizvollzugsanstalt (JVA) Celle. Eine Inschrift mit Hintersinn. Denn tatsächlich dürfte der flüchtige Besucher der niedersächsischen Herzogstadt Celle hinter der schönen Fassade mit den Türmen und stuckverzierten Giebeln eher ein Schloss vermuten als ein Gefängnis. Ursprünglich sollte eine Universität daraus werden, doch dann wurde ein Zucht- und Tollhaus in Celle dringender gebraucht. Und wenn das Folterwerkzeug auch nur noch im Gefängnismuseum zu besichtigen ist, so hat sich am allgemeinen Bestimmungszweck von der Gründung im Jahre 1716 bis in die Gegenwart hinein kaum etwas verändert. Heute verbirgt sich hinter den denkmalgeschützten Mauern eine der am besten gesicherten Justizvollzugsanstalten Deutschlands. Die JVA Celle I ist die Dauerherberge von Schwerverbrechern und Mördern, von denen viele lebenslange Freiheitsstrafen zu verbüßen haben.
Aus Sicherheitsgründen erhalten die Besucher seit Mitte 2003 Einlass nicht mehr durch das historische Portal mit dem hintersinnigen Spruch, sondern durch einen angebauten Eingangstrakt mit vielen verborgenden Kameraaugen und gespenstischen Sprechanlagen. Und wer einen der Gefangenen besuchen will, muss zuerst eine lange Sicherheitsschleuse passieren und sich gründlich durchleuchten und abtasten lassen. Im Besuchszimmer selbst darf man sich dann wie im Erfrischungsraum eines Freizeitheims fühlen. Gemütlich brummt der Kaffeeautomat, gleich daneben hält ein anderes Selbstbedienungsgerät die übliche Auswahl an Chips, Schokoriegeln und Weingummis bereit. Sogar an eine Spielecke ist gedacht. Schließlich sind unter den Häftlingen nicht wenige Familienväter mit Kindern, wie die Zeichnungen zeigen, die an einer Wand hängen.
Auch Ronny Rieken ist Vater von drei Kindern. Weil er zwei Mädchen ermordet hat, ist er in Haft. Wie fühlt sich einer, der eine solch erdrückende Schuld auf sich geladen hat und womöglich den Rest seines Lebens hinter Gittern verbringen muss?
Der dunkelblonde Mann mit dem blassen Gesicht, der geradewegs aus der Tischlerwerkstatt kommt, schmunzelt, als er hereingeführt wird. Betont locker streckt er die Hand zum Gruß aus.
»Hallo.«
»Guten Tag. Wie geht’s Ihnen?«
»Na ja, kann nicht klagen …«
»Kaffee?«
»Immer.«
Dankbar nimmt Ronny Rieken einen Plastikbecher mit Automaten-Kaffee entgegen. Weitere Gastgeschenke sind nicht gestattet, größere Geldbeträge müssen am Eingang hinterlegt werden. Aber der verurteilte Kindermörder hat seine Gesprächsbereitschaft auch nicht an Geldforderungen geknüpft.
Seit seiner Verurteilung im November 1998 habe ich immer wieder den Versuch unternommen, mit Ronny Rieken ins Gespräch zu kommen. Anfang 2003 schließlich hat er seine Bereitschaft signalisiert.
Da unser Gespräch außerhalb der offiziellen Besuchszeiten stattfindet, ist das Besuchszimmer leer. Nicht einmal ein Justizbediensteter hält Wache.
Drei Totenköpfe zieren den linken Unterarm des Gefangenen, ein Drachenkopf und Flammenball den rechten – Tätowierungen aus der Jugendzeit, eingeätzte Knasterinnerungen. Am linken Ohr trägt Ronny Rieken einen goldglitzernden Ohrring. An der rechten Hand seinen Ehering – das sichtbare Zeichen dafür, dass noch nicht alle Verbindungen zur Außenwelt gerissen sind. Dass da noch etwas ist, das ihm Halt gibt.
Der Mann mit dem Dreitagebart zündet sich eine seiner Selbstgedrehten an und zieht den Rauch durch die Lunge. Daraufhin berichtet er im Plauderton über den Knastalltag, lässt sich bereitwillig nach den verschiedenen Etappen seines Lebens und seinen Straftaten befragen. Es sind grausame Dinge, über die er spricht. In den Worten, die er dafür wählt, kommt die Dramatik bisweilen auch zum Ausdruck. »Schlimm« nennt er, was ihm als Kind angetan wurde, »schlimm« was er später anderen Kindern angetan hat. Doch er verliert keine Träne dabei, lehnt sich zurück, verschränkt die Arme vor der Brust, runzelt die Stirn, schmunzelt, raucht.
Ein Schelm, der Böses dabei denkt.
Drei Stunden steht der Mann in der graublauen Arbeitskluft Rede und Antwort, verzichtet auf das Mittagessen und erklärt sich sofort bereit, das Gespräch an einem anderen Tag fortzusetzen, als ein Justizbediensteter auf das Ende der Besuchszeit hinweist. »Vor einem halben Jahr hätte ich noch keinen Mucks gesagt«, gibt er dem Interviewer mit auf den Weg. »Aber jetzt ist es anders. Ich will reden, ich will mit mir ins Reine kommen. Wird ja auch langsam Zeit.«
Insgesamt zehnmal habe ich Ronny Rieken in seinem Celler Gefängnis aufgesucht, um besser zu verstehen, was mir so unerklärlich schien. Immer wieder habe ich nachgefragt, wenn sich Widersprüche auftaten und die Schilderungen von dem abwichen, was Rieken gegenüber den Kriminalbeamten, Gutachtern oder im Prozess ausgesagt hatte. Gleichwohl wäre es verfehlt zu hoffen, dass am Ende so etwas wie die Wahrheit stehen könnte. Jede Lebensgeschichte bleibt immer subjektiv – dies gilt insbesondere für die Biografie eines Mannes, dessen bisheriges Leben auf Lüge und Täuschung gründete.
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