Die Hand stellt im Zusammenwirken von Muskeln, Sehnen und Bändern die biomechanisch komplizierteste Struktur des Menschen dar. 4
Die Sehnen müssen teilweise lange Strecken – von den Muskeln am Unterarm bis zu den Fingern – überwinden. Diese langen Sehnenverläufe in den Sehnenscheiden stellen anfällige Stellen für Überlastung dar. An der Oberseite des Handgelenks laufen die Strecksehnen durch die Sehnenfächer. Hier kann durch Überlastung eine Sehnenscheidenentzündung auftreten. An der Beugeseite befindet sich ein Kanal, der Karpaltunnel, dessen untere und seitliche Begrenzung von den Handwurzelknochen gebildet wird. Zur Beugeseite des Handgelenks hin spannt sich ein breites Band – das sog. Retinaculum flexorum – zwischen den Handwurzelknochen aus. Durch den Karpaltunnel verlaufen die Beugesehnen der Finger sowie der mittlere Nerv ( Nervus medianus ) und Gefäße (Abb.I.46). Wird er durch die umgebenden Strukturen gedrückt, kann es zum sog. Karpaltunnelsyndrom kommen. Bei den Beugesehnen v. a. des Ring- und Kleinfingers existieren anatomische Varianten, die für die Spieltechnik beachtet werden müssen (Kap. II.3.2, S. 138).
Spielbewegungen
Koordination innerhalb der Funktionskette
Prinzipiell ist jede Fingerbewegung beim Instrumentalspiel Teil der Funktionseinheit Schultergürtel, Schultergelenk, Arm und Hand und kann nie isoliert gesehen werden. Die differenzierte Koordination der einzelnen Teile innerhalb der Funktionseinheit stellt deshalb eine Grundvoraussetzung dar, um die hohen Präzisionsleistungen beim Musizieren erbringen zu können (Meinel und Schnabel 2015, S. 129).
Abb. I.47 zeigt die Funktionskette bei einer Pianistin seitlich von hinten. Aus dieser Perspektive kann der Instrumentallehrer den Schüler im Unterricht beim Spielen beobachten. Der vordere Teil des Schultergürtels, der ihm aus diesem Blickwinkel entgeht, sollte – wie in Abb.I.41 dargestellt – immer mitbeachtet werden.
Abb. I.47: Funktionskette Hand-Arm-Schulter-Schulterblatt
Abb. I.48a und b: Rechte Hand beim Klavierspiel: a) angespannt und b) entspannt
Betrachtet man die Gelenke entlang dieser Funktionskette, so gilt prinzipiell, dass eine Bewegung dann optimal ausgeführt wird, wenn alle Gelenke so bewegt werden, dass sie in ihrem optimalen Bewegungsumfang an der Gesamtbewegung beteiligt sind. Dies sorgt dafür, dass das Gelenk am Ende der Funktionskette nicht in eine belastende Gelenkendstellung gebracht wird. Kommt ein Gelenk nämlich an die Grenzen seiner Beweglichkeit, so können die Bewegungen in dieser Position nicht mehr schnell genug und nur unter höchster Belastung ausgeführt werden. Jedes Gelenk besitzt einen Bereich, in dem Bewegungen schnell und mit geringem Gelenkwiderstand möglich sind. Bei größeren Auslenkungen im Gelenk außerhalb dieses Bereichs beträgt der Gelenkwiderstand bis zu einem Vierfachen des ursprünglichen Widerstands. Beim Instrumentalspiel ergeben sich aus der Grundposition mit dem Instrument und aus spezifischen spieltechnischen Anforderungen nicht selten Situationen, in denen Gelenke in eine Endstellung geraten können.
Gelenke sollten beim Musizieren nur im mittleren Bereich ihrer Beweglichkeit genutzt werden, da hier der Gelenkwiderstand niedrig ist (Wagner 2005, S. 82).
Ein häufiges Beispiel hierfür sind die Hände von Pianisten beim Spiel entsprechender Literatur. Insbesondere Akkordgriffe mit weit und ungünstig auseinanderliegenden Tastenabständen führen zu einer Spannung in der gesamten Hand und stellen einen Risikofaktor für Überlastungsbeschwerden dar (Abb. I.48a und b). Bei der Auswahl der Spielliteratur sollte deshalb berücksichtigt werden, welchen Anforderungen die Hand des jeweiligen Pianisten genügen kann.
Abb. I.49 zeigt eine Violinistin mit Position der Greifhand beim Spiel in der hohen Lage auf der G-Saite. Diese Bewegung erfordert eine Beugung im Handgelenk und in den Fingergelenken, eine Supination, Beugung und Innenrotation im linken Unterarm sowie zusätzlich eine Innenrotation im Schultergelenk und entsprechende Mitbewegungen von Schulterblatt und Schlüsselbein. Wären beispielsweise Schultergürtel, Schulter- und Ellenbogengelenk an der Bewegung zu wenig beteiligt, würde das Handgelenk unter große Spannung und in eine ungünstige Gelenkendstellung geraten. Dieses Beispiel veranschaulicht, dass bei spieltechnischen oder gesundheitlichen Fragen hinsichtlich der Finger und des Handgelenks die anderen Gelenkabschnitte miteinbezogen werden müssen.
Unter kinematischen Gesichtspunkten bilden Bewegungen beim Musizieren einen sog. closed loop, da ihr Endpunkt durch Berührung des Instruments fixiert und die Bewegungskette damit geschlossen ist. Probleme, die sich in einem Funktionsabschnitt der Bewegungskette äußern, können ihren Ursprung deshalb in der nicht optimalen Position und Mitgestaltung eines anderen Funktionsabschnitts haben.
Abb. I.49: Greifhand und -arm beim Spiel auf der G-Saite der Violine
Beim Musizieren – als einer geschlossenen Bewegungskette – hat die Bewegungsveränderung eines Funktionsabschnitts unweigerlich Folgen für jeden anderen Abschnitt der Bewegungskette.
Ein anschauliches Beispiel hierfür sind Handprobleme, die ihren Ursprung in einem ungünstig positionierten Schultergürtel oder einem nach vorn fallenden, dezentrierten Schultergelenk haben. Wenn die Finger am Instrument die Klappen, Tasten oder Saiten drücken, muss dieser Druck bis hinauf in den Schultergürtel aufgefangen werden. Ist dort nicht genügend Stabilität vorhanden, müssen andere Muskeln, die hierfür eigentlich nicht vorgesehen sind, diesen Mangel kompensieren. Oft sind dies die oberflächlichen Schultergürtelmuskeln wie der absteigende Teil des Trapezmuskels oder die langen Strecker und Beuger der Finger und des Handgelenks. Gerade bei Pianisten zeigen diese Muskeln oft zuerst Zeichen der Überlastung – nicht nur wegen der repetitiven Beuge- und Strecktätigkeit der Finger beim Spielen, sondern möglicherweise auch wegen der kompensatorischen Arbeit für einen schwachen und nicht optimal koordinierten Schultergürtel.
Flexibilität in der Bewegungsgestaltung
Ein zusätzliches und wichtiges Kriterium der Bewegungsgestaltung beim Musizieren ist die aufgaben- und situationsspezifische Flexibilität in der Koordination der verschiedenen Funktionsabschnitte. Zu starre Vorstellungen eines gleichförmigen Bewegungsablaufs beim Musizieren können ein Risiko für Fehlkoordination darstellen.
Spielbewegungen sind dynamische Vorgänge, die ständige Anpassungsprozesse erfordern. Die Qualität einer Bewegung hinsichtlich klanglicher und gesundheitlicher Kriterien ist dabei jedoch keineswegs beliebig, sondern sie folgt bewegungsökonomischen Prinzipien.
Die flexible Koordination der Anteile von Schulter-, Ellenbogen- und Handgelenk in Abhängigkeit von Tempo und Rhythmus soll am Beispiel der Spicca-to-Technik auf dem Cello veranschaulicht werden. Während des Spiels des vorgegebenen Notenbeispiels (Abb. I.50) wurde die Bewegung des Bogenarms in den drei Gelenken gemessen (Winold et al. 1994). Alle Gelenke sind während der gesamten Spielphase an der Bewegung des Bogenarms beteiligt (Abb. I.51). Es lässt sich jedoch deutlich erkennen, dass die größte Bewegungsauslenkung mit zunehmendem Tempo wechselt – vom Schulterzum Ellenbogen- und schließlich zum Handgelenk.
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