Kieferorthopädische Zahnbewegungen
Insbesondere an Unterkieferschneidezähnen lässt sich im Zuge kieferorthopädischer Bewegungen häufig die Ausbildung fazialer Rezessionen beobachten ( Abb. 8). Dies kann zum einen daran liegen, dass Knochendehiszenzen entstehen können, wenn Zähne aus dem Alveolarfortsatz heraus bewegt werden.

Abb. 8 Faziale Rezessionen an den Zähnen 31 und 41 bei einer Patientin während einer kieferorthopädischen Therapie.
In zahlreichen Untersuchungen konnte gezeigt werden, dass unabhängig von der koronoapikalen (Höhe) oder vestibulooralen (Dicke) Ausdehnung der befestigten Gingiva körperliche Zahnbewegungen durchgeführt werden konnten, ohne dass es zu Rezessionen kam, wenn eine effektive Plaquekontrolle und dadurch Entzündungsfreiheit gewährleistet war. Bei bakterieller Exposition und Vorliegen von Entzündungszeichen besteht allerdings ein erhöhtes Risiko für gingivale Rezessionen infolge kieferorthopädischer Labialbewegungen, insbesondere bei Vorliegen einer dünnen Gingiva 1.
Früher war ein kausaler Zusammenhang zwischen dem Vorliegen einer schmalen keratinisierten bzw. befestigten Gingiva und der Entstehung gingivaler (insbesondere fazial gelegener) Rezessionen angenommen worden. Querschnittsstudien hatten ergeben, dass an Stellen, die faziale Rezessionen aufwiesen, zumeist auch nur ein schmales Band oder gar keine befestigte Gingiva zu finden war. Mittels Querschnittsstudien lässt sich allerdings keine Kausalität belegen. Eine ebenso schlüssige Interpretation solcher Befunde wäre, dass die geringe koronoapikale Ausdehnung der befestigten Gingiva Folge und nicht Ursache der Rezession ist ( Abb. 6). Longitudinale Studien bei Patienten mit Stellen mit schmaler befestigter Gingiva konnten kein erhöhtes Risiko für die Entstehung gingivaler Rezessionen an diesen Stellen zeigen 9.
Die Entstehung von gingivalen Rezessionen spielt sich in diesem Spannungsfeld aus prädisponierenden und auslösenden Faktoren ab ( Tab. 1). Eine traumatisierende Zahnbürsttechnik mit harten Borsten allein reicht möglicherweise nicht aus, um Rezessionen hervorzurufen. Bei Vorliegen eines oder mehrerer prädisponierender Faktoren, beispielsweise auch in Kombination mit weiteren auslösenden Faktoren (z. B. ineffektive Plaquekontrolle, subgingivale Restaurationsränder), besteht allerdings eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass eine traumatisierende Putztechnik zur Ausbildung von Rezessionen führt.
Tab. 1 Pathogenetische Faktoren für gingivale Rezessionen.
Prädisponierende Faktoren |
Auslösende Faktoren |
knöcherne Dehiszenzen |
Plaqueakkumulation |
Phänotypen der Gingiva |
traumatisierende Putztechnik |
marginal einstrahlende Bänder |
subgingivale Restaurationsränder |
|
kieferorthopädische Zahnbewegungen |
1. Jepsen S, Caton JG, Albandar JM et al. Periodontal manifestations of systemic diseases and developmental and acquired conditions: Consensus report of workgroup 3 of the 2017 World Workshop on the Classification of Periodontal and Peri-Implant Diseases and Conditions. J Clin Periodontol 2018;45(Suppl 20):S219–S229.
2. Yoneyama T, Okamoto H, Lindhe J et al. Probing depth, attachment loss and gingival recession. Findings from a clinical examination in Ushiku, Japan. J Clin Periodontol 1988;15:581–591.
3. Löe H, Anerud A, Boysen H. The natural history of periodontal disease in man: prevalence, severity, and extent of gingival recession. J Periodontol 1992;63:489–490.
4. Müller H-P, Heinecke A, Schaller N et al. Masticatory mucosa in subjects with different periodontal phenotypes. J Clin Periodontol 2000;27:621–626.
5. Khocht A, Simon G, Person P et al. Gingival recession in relation to history of hard toothbrush use. J Periodontol 1993;64:900–905.
6. Levin L, Zadik J. Oral percing: Complications and side effects. Am J Dent 2007;20:340–344.
7. Valderhaug J. Periodontal conditions and carious lesions following the insertion of fixed protheses: a 10-year follow-up study. Int Dent J 1980;30:209–213.
8. Stetler KJ, Bissada NB. Significance of the width of keratinized gingiva on the periodontal status of teeth with submarginal restorations. J Periodontol 1987;58:696–700.
9. Freedman AL, Green K, Salkin LM et al. An 18-year longitudinal study of untreated mucogingival defects. J Periodontol 1999;70:1174–1176.
Peter Eickholz, Katrin Nickles
Klassifikation der parodontalen und periimplantären Erkrankungen und Zustände |
9 |
18 Jahre nach dem letzten Klassifikationsworkshop fand vom 8. bis zum 11. November 2017 in Chicago, Illinois, USA, der von der American Academy of Periodontology (AAP) und der European Federation of Periodontology (EFP) organisierte „World Workshop on the Classification of Periodontal and Peri-Implant Diseases and Conditions“ statt 1. Auf dieser Konsensuskonferenz wurde von 110 Experten ( Abb. 1), die aus der ganzen Welt zusammengekommen waren, eine neue Klassifikation der parodontalen und periimplantären Erkrankungen und Zuständeerarbeitet ( Abb. 2) 2. Die Klassifikation differenziert auf einer ersten Ebene in die parodontalen und periimplantären Erkrankungen und Zustände. Bei den parodontalen Erkrankungen und Zuständen wird dann in:

Abb. 1 Auf der Konsensuskonferenz in Chicago wurde von 110 Experten aus der ganzen Welt eine neue Klassifikation der parodontalen und periimplantären Erkrankungen und Zustände erarbeitet: Prof. Tord Berglundh (Göteborg, Schweden) stellt dem Plenum die Klassifikation der periimplantären Erkrankungen und Zustände vor.

Abb. 2 Klassifikation der parodontalen und periimplantären Erkrankungen und Zustände 1,2.
parodontale Gesundheit, Gingivitis und gingivale Zustände,
Parodontitis sowie
andere das Parodont betreffende Zustände
unterschieden (s. Abb. 2).
Auch die aktuelle Internationale statistische Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme( International Statistical Classification of Diseases and Related Health Problems: ICD-10) umfasst parodontale Erkrankungen, deren Bezeichnungen zum Teil erheblich von der parodontologischen Nomenklatur abweichen. Die ICD-10 wurde von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) erstellt und im Auftrag des Bundesministeriums für Gesundheit vom Deutschen Institut für Medizinische Dokumentation und Information (DIMDI) ins Deutsche übertragen sowie herausgegeben. Die Ziffer 10 bezeichnet die 10. Revision der Klassifikation. Die ICD-10 wird seit dem 01.01.2000 zur Verschlüsselung von Diagnosen in der ambulanten und stationären Versorgung (§§ 295 und 301 Sozialgesetzbuch V) eingesetzt, insbesondere für die Zwecke des pauschalierenden Entgeltsystems G-DRG (German Diagnosis Related Groups). Für diese Zwecke wird die ICD-10-GMverwendet (GM: German Modification). Diese spezielle Ausgabe der ICD-10 beruht auf der deutschsprachigen ICD-10-WHO-Ausgabe, wurde jedoch für die Zwecke des Sozialgesetzbuches V deutlich verändert 3.
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