Auch die Geschwindigkeit, mit der eine Läsion voranschreitet, kann Hinweise auf die Genese geben: Parodontitis ist eine chronische Erkrankung mit zumeist langwierigem Verlauf. Entsteht isoliert an einer Stelle innerhalb von nur 2 Jahren ein Knocheneinbruch, der bis ins apikale Wurzeldrittel reicht, sind eine primär endodontale Genese oder eine vertikale Wurzelfraktur sehr wahrscheinlich ( Tab. 2). Ein weiteres Unterscheidungskriterium kann die Form der knöchernen Läsionen sein: Nach koronal weite und sich nach apikal v-förmig verengende Defekte weisen auf Läsionen primär parodontalen Ursprungs hin, während runde und halbrunde Querschnitte, bei denen sich der Knochen nach koronal wieder verengt, eher auf primär endodontale Läsionen hinweisen ( Tab. 2, Abb. 10). Die knöcherne Läsion hat dort ihren größten Durchmesser, wo sie ihren Ausgang nahm.

Abb. 10 Der endodontal verursachte Entzündungsprozess zerstört die Verbindung zwischen den im Knochen und im Wurzelzement verankerten Desmodontalfasern. Der proximale Anteil dieser Fasern bleibt aber anscheinend zumindest anfangs intakt ( Abb. 5), sodass sich nach Eliminierung der endodontalen Entzündungsursache durch Wurzelkanalbehandlung die Kontinuität der Desmodontalfasern wiederherstellen kann. Röntgenaufnahmen von Zahn 22, der bei Erstbefundung asensibel auf Kältetest reagierte: August 1997: Masterpoint-Röntgenaufnahme: Distal erstreckt sich eine knöcherne Läsion vom Limbus alveolaris bis zum Apex. Die knöcherne Läsion hat ihre größte Ausdehnung im apikalen Wurzeldrittel; September 2000: nahezu vollständige Auffüllung des Knochendefekts nach Desinfektion und Füllung des Wurzelkanals.
Tab. 2 Differenzialdiagnose zwischen primär parodontaler und primär endodontaler Ätiologie einer endodontal-parodontalen Läsion.
Kriterium |
Primär parodontal |
Primär endodontal |
Sensibilitätstest |
positiv |
negativ |
|
Cave: partielle Pulpanekrose bei mehrwurzeligen Zähnen |
Progression |
langsam |
rasch |
Gesamtbefund |
generalisierte Parodontitis |
generalisiert keine oder wenig Parodontitis, aber Karies oder große Restaurationen am betroffenen Zahn |
röntgenologische Knochentasche |
koronal weit, sich nach apikal v-förmig verengend |
runde und halbrunde Querschnitte, bei denen sich der Knochen nach koronal wieder verengt |
Vertikale Wurzelfrakturensind ebenfalls schwierig zu diagnostizieren. Häufig führen erst Beschwerden des Patienten zu ihrer Entdeckung. Typisch sind ein dumpfer Entlastungsschmerz nach Okklusionskontakt und isoliert stark erhöhte Sondierungstiefen an wurzelkanalgefüllten Zähnen, insbesondere bei Versorgung mit Stiftaufbauten 2. Mittels traditioneller Projektionsröntgentechnik ist der Frakturspalt nur darstellbar, wenn die Fragmente deutlich disloziert sind. Liegt er in orovestibulärer Richtung, also parallel zum Zentralstrahl, wird er vom Wurzelkanalfüllmaterial oder Wurzelstift überlappt; liegt er in mesiodistaler Richtung, also senkrecht zum Zentralstrahl, erzeugt er keinen Kontrast. Mit einer diagnostischen Sonde kann versucht werden, den Frakturspalt zu tasten. In manchen Fällen ist es erforderlich, die deckende Gingiva im Sinne einer Lappenoperation aus diagnostischen Gründen zu mobilisieren, um den Frakturspalt darzustellen 10. Bei der Darstellung des Frakturspaltes kann das Anfärben z. B. mit Jodlösung hilfreich sein. Die Darstellung des Frakturspaltes ist erforderlich, um die vertikale Wurzelfraktur differenzialdiagnostisch gegen einen endodontischen Misserfolg durch Exazerbation der periapikalen Läsion mit Fistelung nach marginal abzugrenzen. Während die Prognose der vertikalen Wurzelfraktur infaust ist 7, kann bei endodontischem Misserfolg die Revision der Wurzelkanalfüllung versucht werden.
Bei endoparodontalen Läsionen sollte immer mit der Wurzelkanalbehandlung begonnen werden. Bei einer primär endodontisch verursachten Läsion ist dies die kausale Therapie. Bei einer primär parodontalen Läsion mit retrograder Pulpitis ist es sekundär zu einer endodontalen Problematik gekommen, die durch Wurzelkanalbehandlung angegangen werden muss. Die Auflösung der Kontinuität der desmodontalen Fasern als Folge eines periapikalen Prozesses kann sich im Sinne eines Reattachments nach endodontischer Therapie zurückbilden. Der endodontal verursachte Entzündungsprozess zerstört die Verbindung zwischen den im Knochen und im Wurzelzement verankerten Desmodontalfasern. Der proximale Anteil dieser Fasern bleibt aber anscheinend zumindest anfangs intakt, sodass sich nach Eliminierung der endodontalen Entzündungsursache durch Wurzelkanalbehandlung die Kontinuität der Desmodontalfasern wiederherstellen kann ( Abb. 10). Hat man allerdings in diesem Bereich zuvor schon eine subgingivale Instrumentierung durchgeführt, so ist der an der Wurzeloberfläche haftende Faseranteil entfernt und ein Reattachment nicht mehr möglich. Bei kombinierten Endo-Paro-Läsionen kann durch Wurzelkanalbehandlung nur der endodontale Anteil beeinflusst werden. 2 bis 6 Monate nach Wurzelkanalfüllung sollte hier die Läsion neu beurteilt und über den Umfang parodontaltherapeutischer Maßnahmen entschieden werden.
1. Caton JG, Armitage G, Berglundh T et al. A new classification scheme for periodontal and peri-implant diseases and conditions - Introduction and key changes from the 1999 classification. J Clin Periodontol 2018;45 Suppl 20:S1–S8.
2. Herrera D, Retamal-Valdes B, Alonso B, Feres M. Acute periodontal lesions (periodontal abscesses and necrotizing periodontal diseases) and endo-periodontal lesions. J Clin Periodontol 2018;45 Suppl 20:S78–S94.
3. Eickholz P, Nickles K. Glossar der Grundbegriffe für die Praxis: Klassifikation der parodontalen und periimplantären Erkrankungen und Zustände. Parodontologie 2019;30:65–77 (s. Beitrag 9 in diesem Buch).
4. Baumgartner JC, Falkler WA Jr. Bacteria in the apical 5 mm of infected root canals. J Endod 1991;17:380–383.
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11. Nickles K. Therapie einer generalisiert aggressiven Parodontitis. Was ist ein hoffnungsloser Zahn? Parodontologie 2011;22:31–47.
Bei parodontal normalen Verhältnissen liegt der Gingivarand etwa 0,5 bis 1 mm koronal der Schmelz-Zement-Grenze. Der Zahnhalteapparat bedeckt die Zahnwurzeln vollständig ( Abb. 1). Wenn es infolge von Parodontitis zu erheblichen Attachmentverlusten und Knochenabbau gekommen ist, zieht sich zumeist auch die Gingiva zurück, und die Zahnhälse werden freigelegt. Es entstehen Rezessionen. Nach Parodontitistherapie und daraus resultierendem Abschwellen des Gewebes tritt dieser Effekt häufig noch deutlicher zutage ( Abb. 2).
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