Bei den Schulen, die Kreutzer schon kennt, läuft es besser als im Vorjahr. An der, die sie schließlich aufnimmt, passen die Prüfung und die Leute am besten zu ihr. »Ich hab mich einfach so wohl gefühlt. Es waren auch ganz andere Umstände als bei den beiden Schulen vorher: Du hast zum Beispiel keine Nummer bekommen.« Es wird sehr viel in der Gruppe gearbeitet, viel improvisiert, und schließlich darf jeder ein dreiminütiges, vorbereitetes Solo zeigen. »Mein Vorteil war, dass ich mir bei meinem Solo total sicher war. Ich hatte es während unseres Afrika-Projektes entwickelt und dort schon auf der Bühne gezeigt. Das hatte einen Hintergrund, das machte Sinn.«
Auch wenn sie sich an dieser Schule, an der sie demnächst ihr Studium beginnt, voraussichtlich wohlfühlen wird und ihren Interessen nachgehen kann, überfallen sie hin und wieder Zweifel, ob es die richtige Wahl ist, weil der Schwerpunkt hier, im Gegensatz zu anderen Schulen, nicht auf den klassischen Tanztechniken liegt. »Vielleicht verbaue ich mir damit den Weg in bestimmte Kompanien und an bestimmte Theater. Aber andererseits: Das hat mir Spaß gemacht, das ist die Schule, die mich genommen hat. Mal sehen, was daraus wird. Ich werde mir aus der Schule das rausnehmen, was ich brauche. Und wenn mir das noch nicht reicht, suche ich mir außerhalb zusätzliche Trainingsmöglichkeiten.«
Ob sie später mit reinem Tanz arbeiten oder eher in den Performance-Bereich gehen wird, weiß sie jetzt noch nicht. Zunächst möchte sie mit verschiedenen Bewegungsstilen und Medien experimentieren. Dabei geht es ihr nicht darum, bestimmten Formen, Körperbildern und ästhetischen Idealen gerecht zu werden, sondern um das Spiel mit ihnen. Die Schule, die sie jetzt besuchen wird, unterstützt ihr Tanzverständnis: »Ich bin nicht daran interessiert, einfach nur zu tanzen, sondern ich glaube, dass es die Kunstart ist, in der du alles verbinden kannst. Ich habe auch viel mit Literatur gemacht, habe versucht, Text und Tanz zusammenzubringen; das finde ich zum Beispiel spannend.« Zwar will sie erst einmal primär als Tänzerin auf der Bühne stehen, doch trennt sie das Tanzen nicht vom Choreographieren, davon, eigene Ideen zu realisieren.
Kreutzer blickt auf zwei ziemlich stressige Jahre zurück: »Immer nur bewerben, immer ein Praktikum finden, um einen Status zu haben, viel Projektarbeit mit meiner alten Lehrerin, auch viel Arbeit mit Jugendlichen, außerdem die ganzen Nebenjobs. Ich hatte nicht das Gefühl, voranzukommen. Das hat unglaublich viel Kraft gefressen, alles war total unsicher. Jetzt habe ich endlich das Gefühl, dass es vorangeht.«
Ihre Nebenjobs wird sie vorerst weitermachen, und die sind ihren Tanzambitionen nicht nur finanziell förderlich: Wenn sie etwa abends bei Tanzveranstaltungen an der Bar steht, trifft sie häufig Leute aus der Szene. Viele Jobs werden ihr von Bekannten vermittelt – Networking. Auch die Profi-Laien-Projekte möchte sie, soweit es das Studium erlaubt, gerne nebenbei weiterverfolgen: Sie findet, dass beide Gruppen viel von den Ideen und Bewegungen der anderen profitieren können. Und sie mag es, aus der Blackbox des Theaters herauszukommen und in der realen Welt zu proben und zu spielen.
Ihre Vision für die Zukunft: »Ich möchte viele ganz unterschiedliche Leute treffen und mich mit ihnen austauschen, viel arbeiten, immer wieder neue Sachen entdecken und vor allem weit weg, raus aus der Stadt. Das ist auch einer der Gründe, warum ich mich für diesen Beruf entschieden habe: Du kannst das machen, was dir Spaß macht, kannst aber gleichzeitig ständig unterwegs sein. Ich will einfach die ganze Zeit in Bewegung sein und das Gefühl haben, voranzukommen. On the road. Weltweit.«
»Unbedingt selbstkritisch bleiben« – Ramon A. John
Erst jetzt, während seines ersten Engagements bei einer mittelgroßen, zeitgenössischen Stadttheater-Kompanie, bekommt Ramon A. John eine konkrete Idee von der Richtung, in die er gehen möchte. »Momentan, da ich jeden Tag trainiere und probe, finde ich langsam heraus, was mich wirklich interessiert. Ich glaube, man braucht dafür genau das: einen Job oder ein Praktikum, in dem man diesen Alltag austesten kann. Dann sieht man andere Choreographen, Stücke, Arten zu arbeiten, das Kompanie-Leben und merkt, ob das passt oder nicht.« Dann muss er vorher wohl instinktiv den richtigen Weg gegangen sein. Und ihm ist klar, dass der hier nicht endet und er weiterhin offen und beweglich bleiben muss, um beruflich zu überleben.
Mit dem Tanzen fängt John in der örtlichen Schautanzgruppe an, zu der ihn seine Mutter mit acht Jahren mitnimmt. Er fährt zu Turnieren, geht mit auf Titeljagd. Schnell möchte er auch aus eigenem Antrieb weitermachen. Mit der Gruppe vertanzt er Filme, Geschichten und Musicals in modernem Showtanzstil und Jazz, sehr darstellerisch, sehr effektgeladen. Mit 13 startet er in der Solosparte und spezialisiert sich auf Nummern zu Musical-Themen.
Schon bald interessiert John die darstellende Kunst auch als Beruf. Nachdem er mit einer Showtanzkollegin in eine Ballettstunde hineingeschnuppert und ihm diese Art zu tanzen auf Anhieb zugesagt hat, trainiert er zusätzlich ein Jahr lang Ballett, bis er sich mit 17, kurz vor Abschluss der allgemeinbildenden Schule, an verschiedenen staatlichen Tanzhochschulen bewirbt.
Zwei Ballettakademien bieten ihm einen Platz an. Doch gefällt es ihm dort nicht; er spürt, dass das nicht das Richtige ist, auch wenn er den Grund zu diesem Zeitpunkt noch nicht bewusst fassen kann. Bei einer weiteren, sehr technisch, aber stark zeitgenössisch ausgerichteten Hochschule mag er die dort vertretene Ästhetik auf Anhieb: Er hat sich Videos der Choreographen, die mit der Schule in Verbindung stehen, angeschaut, ist begeistert und will so etwas unbedingt auch ausprobieren. Glücklicherweise wird er angenommen.
Ramon A. John hat starken Konkurrenzdruck unter den Studierenden erwartet – und ist positiv überrascht. Die Gruppe ist klein, man arbeitet viel zusammen und es herrscht eine familiäre Atmosphäre, die auch die Dozenten einschließt. »Ich habe von Schulen gehört, die viel mehr auf Konkurrenz setzen, indem die Schüler in verschiedene Levels eingeteilt werden oder die Klassen zunächst relativ groß sind und dann nach dem ersten Jahr noch einmal um die Hälfte verkleinert werden. Ich glaube, das wäre nichts für mich gewesen, ich glaube, ich habe die sehr persönliche Förderung hier gebraucht.« Außerdem gefällt ihm die Vielfalt des Angebots. Zwar hat er mit tanzpraktischem Unterricht in den verschiedensten Techniken – vom klassischen und neoklassischen Ballett über modernen Tanz bis hin zu Release, Kontaktimprovisation und Improvisation – gerechnet, nicht aber mit dem umfangreichen theoretischen Angebot. »Das war eine sehr kreative Ausbildung, auch für den Kopf, was wichtig ist für einen Tänzer.«
Zu den Highlights der Ausbildung zählt er auch das Repertoire, das die Studierenden bei den drei Aufführungen pro Jahr tanzen dürfen und das sie zum Teil mit den Choreographen oder ihren Assistenten persönlich einstudieren. »Diese tollen Stücke, die zur Tanzgeschichte dazugehören. Weil wir nicht so viele waren, bekam jeder mal die Chance, solistisch zu performen, sodass er wirklich zum Künstler ausgebildet wurde. Man macht auf der Bühne mit diesen herausfordernden Stücken die Erfahrung, dass man sich durchkämpfen muss. So ist es ja später im Job auch. Und darauf war ich schon vorbereitet.«
Generell war diese Ausbildung für ihn genau das Richtige, meint John heute. Das hätte auch viel mit Glück und den passenden Lehrern zu tun gehabt. »Die ersten zwei Jahre waren schwierig für mich wegen einer bestimmten Lehrerin, deren Unterricht mich nicht immer so weit gebracht hat, weil ihre Lehrmethoden mich mit meinen 17 Jahren nicht motiviert haben. Im dritten Jahr bekamen wir eine neue Lehrerin, die war komplett anders. Ihre Art zu arbeiten und zu korrigieren war sehr gut für mich. Und wenn ich das drei Jahre lang gehabt hätte, wäre ich jetzt wahrscheinlich ein anderer Tänzer.«
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