(21) In den nächsten drei Jahren war kein sicherer Friede, auch kein Krieg. Die Konsuln waren Quintus Cloelius und Titus Larcius; dann Aulus Sempronius und Marcus Minucius. 2 Unter ihrem Konsulat wurde der Tempel des Saturnus geweiht und die Saturnalien als Fest angeordnet. Darauf wurden Aulus Postumius und Titus Verginius Konsuln. 3 Bei einigen [Quellen] finde ich die Schlacht am See Regillus erst auf dieses Jahr angegeben. Aulus Postumius habe, weil der Nebenkonsul verdächtig gewesen sei, sein Konsulat niedergelegt und sei dann zum Diktator ernannt worden. 4 Man sieht sich hier hinsichtlich der Zeitfolge, weil man die Namen der Obrigkeiten bei dem einen so, bei dem andern anders geordnet findet, in solcher Ungewissheit, dass man bei dem hohen Alter der Begebenheiten und ihrer Berichterstatter unmöglich die Reihe angeben kann, in der die einen Konsuln auf die anderen folgten oder die Begebenheiten jedes Jahres eintraten.
5 Darauf wurden Appius Claudius und Publius Servilius Konsuln. Dieses Jahr ist durch die Nachricht vom Tod des Tarquinius denkwürdig. Er starb zu Cumae, wohin er sich, als durch die Niederlage die Macht der Latiner gebrochen war, zu dem Tyrannen Aristodemus begeben hatte. 6 Diese Nachricht belebte den Mut der Väter wie des Volkes. Allein bei den Vätern war diese Freude allzu ausgelassen. Allmählich fingen die Vornehmen an, den Bürgern, gegen die sie bis dahin so äußerst gefällig gewesen waren, Unrecht zu tun.
7 In demselben Jahr wurden nach Signia, einer vom König Tarquinius angelegten Kolonie, um die Zahl der Einwohner zu ergänzen, neue Siedler geführt. Zu Rom wurde die Zahl der Bezirke auf einundzwanzig erhöht und am fünfzehnten Mai der Merkurtempel eingeweiht.
(22) Mit den Volskern war während des Latiner-Krieges weder Friede noch Krieg gewesen; denn teils hatten die Volsker Hilfstruppen aufgebracht, welche zu den Latinern stoßen sollten, wäre ihnen nicht der römische Diktator zuvorgekommen, teils kam man ihnen von römischer Seite nur darum zuvor, um nicht in einer Schlacht Latiner und Volsker zugleich gegen sich zu haben. 2 Dies zu rächen, führten die Konsuln die Legionen ins volskische Gebiet. Die Volsker, die für ihr Vorhaben keine Strafe fürchteten, setzte die unerwartete Erscheinung in Schrecken. Ohne an Gegenwehr zu denken, stellten sie 300 Kinder aus den vornehmsten Häusern Coras und Pometias als Geiseln. So wurden die Legionen ohne Kampf wieder abgeführt. 3 Kaum aber war bei den Volskern die Furcht geschwunden, als ihre alte Neigung zurückkehrte; sie rüsteten sich abermals heimlich zum Krieg und machten die Herniker zu ihren Bundesgenossen; 4 auch schickten sie nach mehreren Orten Gesandtschaften, um Latium aufzuwiegeln. Allein die kürzlich am See Regillus erlittene Niederlage hatte den Latinern gegen jeden, der zum Krieg riet, einen so bitteren Hass eingeflößt, dass sie sich sogar Gewalt an den Gesandten erlaubten. Sie ergriffen diese Volsker und brachten sie nach Rom. Hier wurden sie den Konsuln überliefert und sie gestanden, dass sich die Volsker und Herniker gegen Rom zum Krieg rüsteten. 5 Als die Sache vor den Senat gebracht wurde, waren die Väter mit dem Benehmen der Latiner so zufrieden, dass sie ihnen sechstausend Gefangene zurückgaben und den Abschluss eines Bündnisses, das man ihnen fast auf immer verweigert hatte, nur bis auf die neuen Konsuln aussetzten. 6 Nun vollends waren die Latiner hocherfreut über ihre Tat, und die Freunde des Friedens ernteten großen Ruhm. Sie schickten dem Jupiter einen goldenen Kranz zum Geschenk aufs Kapitol. Mit den Gesandten und dem Geschenk kam als Begleitung eine große Menge jener Gefangenen, die zu den Ihrigen zurückgeschickt worden waren. 7 Von diesen suchte jeder das Haus auf, wo er gedient hatte; sie dankten für die gütige Behandlung und Pflege in ihrem Unglück und knüpften den Bund des Gastrechts. Noch nie hatten die Latiner, als Staat oder als Einzelne, an die Römer, ihre Oberherren, sich so eng angeschlossen wie damals.
(23) Jetzt aber drohte einmal der Volskische Krieg, anderseits wütete gleich einem inneren Feuer in dem mit sich selbst uneinigen Staat Erbitterung zwischen den Vätern und Bürgern, hauptsächlich wegen der sich in Schuldhaft Befindenden. 2 Diese murrten laut, während sie im Ausland für Freiheit und Herrschaft ihr Leben gewagt hätten, würden sie zu Hause von ihren Mitbürgern gefangen und zugrunde gerichtet. Die Freiheit des Bürgerstandes sei im Krieg sicherer als im Frieden, unter Feinden sicherer als unter Mitbürgern. Und dieser Groll, der ohnehin schon glühte, kam durch das auffallende Elend eines Einzigen zum Ausbruche. 3 Ein hochbetagter Mann stürzte mit allen Merkmalen seines Elends auf den Markt; bedeckt war sein Kleid mit Schmutz, und noch kläglicher der Anblick seines in Blässe und Abzehrung verfallenen Körpers. 4 Außerdem gaben Bart und langgewachsene Haare seinem Gesicht ein verwildertes Aussehen. In dieser Entstellung kannten ihn gleichwohl mehrere und sagten, er sei lange Hauptmann gewesen, und unter allgemeinem Bedauern erzählte man sich verschiedene seiner Ehrentaten im Krieg. Er selbst enthüllte die Zeugen manches ehrenvollen Gefechts, seine Narben vorn auf der Brust. 5 Auf die Frage, wie er zu diesem Aufzug, zu dieser Entstellung komme, erzählte er der Menge, die ihn nach Art einer Versammlung umgab, Folgendes: Während er im Sabinerkrieg gedient habe, habe er bei den Verheerungen seine Ernte eingebüßt, sein Hof sei abgebrannt, alles geplündert, die Herden weggetrieben, für ihn sehr zur Unzeit Tribut eingefordert, da habe er Schulden machen müssen. 6 Diese, unter den Zinsen angewachsen, hätten ihn zuerst um sein väterliches und großväterliches Grundstück gebracht, dann um sein übriges Vermögen, und zuletzt habe dies wie eine pestartige Krankheit ihn selbst ergriffen. Er sei dem Gläubiger als Leibeigener hingegeben, nicht in die Sklaverei, nein, in ein Zuchthaus und auf die Marterkammer. 7 Dann zeigte er ihnen seinen Rücken, von den frischen Spuren der Schläge scheußlich entstellt.
Auf diesen Anblick und auf diese Erzählung erhob sich ein allgemeines Geschrei. Der Lärm beschränkte sich nicht auf den Markt, sondern durchlief allenthalben die ganze Stadt 8 Verhaftete und verhaftet Gewesene stürzten von allen Seiten auf die Straße und schrieen laut um Hilfe, und nirgends fehlte es an freiwilligen Begleitern des Auflaufs. Durch alle Straßen sah man hier und dort schreiende Züge zum Markte eilen. 9 Mit großer Gefahr für ihre eigene Person trafen diejenigen von den Vätern, die eben auf dem Marktplatz waren, auf diesen Schwarm, 10 und man würde sich an ihnen vergriffen haben, wären nicht die Konsuln Publius Servilius und Appius Claudius zur Unterdrückung des Aufruhrs herbeigeeilt. An sie wandte sich die Menge, zeigte ihnen ihre Fesseln und die sonstige Verunstaltung ihres Leibes. 11 Darum also hätten sie sich’s so sauer werden lassen, sagten sie, und vorwerfend erzählte jeder, wo er sich brav gehalten hatte, der eine hier, der andere dort. Mehr drohend als bittend drangen sie darauf, sie sollten den Senat berufen, und umstellten das Rathaus, um die Verhandlungen im Senat selbst prüfen und leiten zu können. 12 Nur sehr wenige Väter, die der Zufall herbeiführte, wurden zu den Konsuln hingezogen; die übrigen hielt die Furcht nicht bloß vom Rathaus, sondern auch vom Markt fern, und im Senate erlaubte der schwache Besuch keine Verhandlung. 13 Nun vollends glaubte die Menge, man suche ihr nur auszuweichen und sie hinzuhalten, und die fehlenden Väter wären nicht durch Zufall, nicht aus Furcht weggeblieben, sondern damit nichts aus der Sache werden sollte. Die Konsuln selbst suchten Ausflüchte, und ganz gewiss treibe man mit ihrem Elend nur Hohn. 14 Schon war es nahe daran, dass selbst die Würde der Konsuln die Erbitterung der Menschen nicht länger in Schranken hielt, als die Väter, ungewiss, ob sie sich durch Ausbleiben oder Kommen größerer Gefahr aussetzten, im Senat erschienen. Allein, als nun endlich die Versammlung zahlreich genug war, da waren weder die Väter noch die Konsuln untereinander einig. 15 Appius, ein Mann von heftiger Sinnesart, riet zu konsularischer Strenge. Nähme man einen oder den andern beim Kopf, so würden die Übrigen ruhig werden. Servilius, mehr für mildere Maßregeln gestimmt, meinte, es würde sicherer und leichter sein, den Zorn des Volkes zu beugen statt ihn zu brechen.
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