18.Da er nun so sprach und auch so handelte, so erhielt er von der Pythia das Zeugnis, das sie dem Chärefon in dem allgemein bekannten Orakel erteilt hat:
Von allen Menschen ist Sokrat der weiseste.
(38)Hieraus entstand hauptsächlich der hass gegen ihn, so wie auch dadurch, dass er diejenigen, die sich selbst soviel einbildeten, als unverständige Leute tadelte, wie er unter anderen auch den Anyt, wie Platon im Memon schreibt, getadelt hat. Dieser konnte nämlich die Spöttereien Sokrats nicht ertragen und hetzte zuerst den Aristophanes gegen ihn an und beredete nachher auch den Melit zur Eingebung der Klage gegen ihn, dass er die Götterehrfurcht aus den Augen setze und die Jugend verführe. Melit ward also sein Ankläger. Polyneukt aber trug die Klage im Gericht vor, wie Favorin in seinen vermischten Geschichten erzählt. Der Verfertiger der Rede war, wie Hermipp sagt, der Sophist Polykrat, oder, wie andere wollen, Anyt. Der Volkslenker Lykon hat alles vorbereitet. (39)Antisthenes aber in der Philosophenfolge und Platon in der Schlussschrift sagen, dass er drei zu Anklägern gehabt habe, den Anyt, Lykon und Melit. Anyt habe sich wegen der Volksführer und Staatsleute, Lyon wegen der Redekünstler und Melit wegen der Dichter zu rächen gesucht, die von Sokrates alle bespöttelt worden wären. Favorin aber sagt im ersten Buch der Denkwürdigkeiten, es sei unwahr, dass Polykrat gegen Sokrates eine Rede gehalten habe, denn es komme in derselben die Wiederaufbauung der Mauern durch Konon vor, die erst sechs Jahre nach Sokrats Tod geschehen sei. Und dies verhält sich auch also.
19. (40)Die Beschwörung des Prozesses aber ist diese; denn, wie Favorin sagt, wird sie noch jetzt im Metroon aufbewahrt: Dies ist die Anklage und Übereinkunft Melits, Melits Sohns, des Pitthers, gegen Sokrates, Sophroniskus Sohn den Alopeken: Sokrates handelt unrecht, da er die vom Staat anerkannten Götter nicht anerkennt, sondern andere, und neue Götter einführt, er handelt unrecht, da er die Jugend verdirbt. Er verdient den Tod.
20.Als Lysias eine Verteidigungsrede für ihn aufgesetzt hatte, las sie der Philosoph durch und sagte: die Rede ist zwar schön, Lysias, aber sie ist für mich nicht passend, denn sie war sichtbar mehr juristisch als philosophisch geschrieben. (41)Da nun Lysias sagte: Wie? Wenn die Rede schön ist, kann sie da wohl unpassend für dich sein? Erwiderte er: gibt’s nicht auch schöne Kleider und Schuhe, die doch für mich nicht passen? – Justus der Tiberier hat auch in seinem Stemma geschrieben, dass Platon, da er vor Gericht gezogen worden, die Rednerbühne betreten und gesagt habe: Ich bin der jüngste Athener, von denen, welche die Rednerbühne betreten haben – worauf ihm die Richter zugerufen: steig herab.
21.Da nun 281 Stimmen mehr für seine Verurteilung als für seine Lossprechung waren, und die Richter über die Schätzung des Prozesses sich besprachen, was für eine Strafe er wohl leiden oder was er bezahlen müsse, so schätzte er die Geldbuße auf 25 Drachmen. Eubulides aber sagt, er habe 100 eingestanden. (42)Wie aber die Richter darüber gelärmt hätten, habe er gesagt: Richter, wegen meiner Handlungen verdiente ich die Speisung im Prytaneum. Nun verurteilten sie ihn zum Tode, indem sie noch 80 Stimmen hinzutaten. Er wurde hierauf gefesselt und trank wenige Tage nachher den Schierling, nachdem er noch viele vortreffliche Unterredungen gehalten, die Platon im Phädon verzeichnet hat.
22.Nach einigen hat er auch einen Lobgesang verfertigt, der so anfängt:
Seid gegrüßet Apollo und Artemis, Delier, beide
Hochberühmte Kinder –
Dionysodor sagt, dass der Lobgesang nicht von ihm sei. Er hat auch eine äsopische Fabel gemacht, die aber nicht sehr glücklich ausgefallen, und sich anfängt:
Zu den Bewohnern des hohen Korinth sagt’ einst Äsopus:
Richtet die Tugenden nie nach der Einsicht des Volkes.
23. (43)Er verließ also die Gesellschaft der Menschen. Bald aber bereuten’s die Athener so sehr, dass sie die Kampf- und Ringplätze verschlossen, einige des Vaterlandes verwiesen, den Melit zum Tode verurteilten, den Sokrates aber mit einer kupfernen Bildsäule ehrten, die sie durch Lysipp verfertigen und an dem Platz, wo die Prachtaufzüge gehalten wurden, aufstellen ließen. Den Anyt, der sich auf Reisen befand, verjagten die Herakleoten an demselben Tag aus ihrer Stadt. Die Athener hatten aber nicht allein den Sokrates so übel behandelt, sondern noch sehr viele andere. Denn wie Heraklides sagt, haben sie auch Homer als einen Verrückten um 50 Drachmen gestraft und von Tyrtäus gesagt, er sei wahnsinnig und Astydamas den ersten, nach Äschylus, mit einer kupfernen Bildsäule beehrt. Euripides aber macht ihnen im Palamedes den Vorwurf:
(44) Erwürgt, erwürgt habt ihr den Weisesten, Die Nachtigallenmuse, die nie kränkte.
Dies von dieser Sache. Philochor aber sagt, Euripides sei noch vor Sokrates gestorben, der, wie Apollodor in den Zeitbüchern schreibt, unter Anepsion im 4. Jahr der 77. Olympiade, am 6. Tage des Targelions geboren war, an welchem die Athener ihre Stadt reinigen und an dem auch, nach der Sage der Delier, Artemis geboren sein soll. Er starb im 1. Jahr der 95. Olympiade, 70 Jahre alt, wie Demetrius der Phalerier erzählt. (45)Einige sagen, er sei im 60. Jahr gestorben.
24.Beide haben Anaxagoras gehört, er und Euripides, der auch im 1. Jahr der 75. Olympiade unter Kalliades geboren worden. Es scheint mir aber, dass Sokrates sich auch über die Natur der Dinge unterredet habe, denn er unterredete sich auch über die Fürsehung, wie Xenophon sagt, der doch versichern will, er habe nur allein über das sittliche Betragen der Menschen Vorträge gehalten. Auch Platon in seiner Schutzschrift erwähnt des Anaxagoras und anderer die Natur betreffenden Sätze, die Sokrates verneint und wovon er selbst spricht, doch so, dass er Sokrates alles beilegt. Aristotel schreibt, es sei ein Magier aus Syrien nach Athen gekommen und habe nicht alleine vieles andere an Sokrates getadelt, sondern auch gesagt, dass er eines gewaltsamen Todes sterben werde. (46)Unser Epigramm auf ihn lautet so:
Trinke, mit Zeus nun vereinet, o Sokrates, denn dich erklärte
Gott für weise, der selbst ewige Weisheit ist.
Einmal reichten Athener dir nur den tötenden Schierling,
Selber tranken sie ihn aus dem Munde dir aus.
25.Wie Aristotel im 2. Buch seiner Dichtkunst hat, waren seine Gegner der Lemnier Antiloch und der Zeichenschauer Antphon, so wie von Pythagoras, Kydon und Onatas und vom Homer bei dessen Leben und der vorher genannte Xenophanes nach dem Tode; wie der Koer Amiphimenes von Pindarn, Pherekydes von Thales, der Priener Salar vom Bias; Antimenides und Alkäus vom Pittakus, Sosibius vom Anaxagoras und Timokreon vom Simonides.
26. (47)Von seinen Anhängern aber, die Sokratiker genannt wurden, sind Platon, Xenophon und Antisthenes die vornehmsten. Von den sogenannten Zehn sind die vier ausgezeichnetsten, Äschines, Phaedon, Euklides, Aristipp. Von Xenophon müssen wir zuerst reden, hernach von Antisthenes unter den Kynikern, hierauf von den Sokratikern und dann von Platon, denn von diesem gehen zehn Sekten aus, und er selbst stiftete die erste Akademie. So wird also ihre Folge sein.
27.Es ist noch ein anderer Sokrates gewesen, ein Geschichtsschreiber, der die Fahrt des Argo beschrieben hat; und noch ein anderer, ein Bithyner, war ein Peripatetiker; noch ein dritter dichtete Epigramme und ein vierter war ein Koer, der über die Beinamen der Götter geschrieben hat.
Sechstes Kapitel
Xenophon
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