Für die Einwohner dieser Gegenden soll kein besonders guter Vorrat an russischen Frauen vorhanden sein, wenigstens beklagte sich der Kosak Theodor, welcher in den Jahren 1875 und 1876 einige verunglückte Versuche machte, mir als Lotse zu dienen, und welcher selbst ein schon ältlicher, runzelig gewordener Junggeselle war, dass das schöne oder schwächere Geschlecht unter den Russen sehr wenig vertreten wäre. Er lenkte das Gespräch sehr oft auf die Vorteile gemischter Ehen, indem er – ich weiß nicht, ob von Erinnerungen oder Hoffnung inspiriert – meinte, dass ein Dolganenweib die wünschenswerteste Partie für einen heiratslustigen Mann in jener Gegend wäre.
Etwas weiter nach Süden, aber noch weit nördlich von der Waldgrenze, gibt es jedoch ganz wohlhabende Bauern, welche große, aus vielen Häusern bestehende Simovien bewohnen, in denen ein gewisser Luxus herrscht, wo man auf Teppichen von Pelzwerk geht, wo die Fenster ganz sind, die Heiligenbilder mit Gold- und Silberplatten bedeckt, die Wände mit Spiegeln versehen und mit zierlich gemalten Kupferstichporträts russischer Kaiser und Generale bekleidet sind. Diesen Wohlstand erwarben sie sich durch ihren Handel mit den Eingeborenen, welche mit ihren Rentierherden auf der Tundra nomadisieren.
Treibholz, teils kleinere Zweige und Wurzelstücke, teils ganze Bäume mit noch daran sitzenden Teilen von Zweigen und Wurzeln, kam im innersten Teil einiger geschützter Buchten des Dicksonshafens in solcher Menge vor, dass sich der Seefahrer dort ohne Schwierigkeit mit dem erforderlichen Brennmaterial versehen kann. Die Hauptmasse des Treibholzes, welches der Fluss herabführt, bleibt jedoch nicht an dessen eigenen Ufern liegen, sondern schwimmt in die See hinaus und treibt dort mit den Meeresströmungen umher, bis das Holz so viel Wasser eingesaugt hat, dass es sinkt, oder bis es an die Ufer von Nowaja Semlja, der Nordküste Asiens, Spitzbergens oder vielleicht Grönlands geworfen wird. Ein Teil des Treibholzes sinkt, ehe es das Meer erreicht, oft so, dass die Stämme aufrecht auf dem Boden des Flusses mit dem einen Ende gleichsam wie mit Wurzeln im Sand festgehalten stehen. Sie können in dieser Weise für die Schifffahrt, wenigstens an den flacheren Stellen des Stromes, sehr unbequem werden. Eine Bucht gleich außerhalb Dicksonshafen war sogar beinahe abgeschlossen durch ein natürliches Palisadenwerk von Treibholzstämmen.
7. August . Die Vega nahm Kohlen von der Express ein. Am Abend kam die Lena , sechsunddreißig Stunden, nachdem die Vega in diesem Hafen Anker geworfen hatte, d. h. genau zu der bestimmten Zeit.
Als die Fraser und die Express am Morgen des 9. August nach der höher den Fluss hinauf gelegenen Stelle abfuhren, wo ihre Ladung aufgestapelt war, waren auch die Vega und die Lena , segelfertig. Ich ließ jedoch die Fahrzeuge noch einen Tag länger in Dicksonshafen verweilen, teils, um Leutnant Bove Gelegenheit zu geben, seine kartographische Aufnahme desselben abzuschließen, teils, um womöglich eine Ortsbestimmung dieser wichtigen Stelle zu erhalten. Infolge des beständig mit Wolken bedeckten Himmels bekam ich jedoch diesmal ebenso wenig wie während der Reise von 1875 Gelegenheit dazu, was als Beleg dafür dienen kann, welcher Art das Wetter zur Sommerzeit an diesem Platz ist, wo sich das warme Wasser des Jenissej in das Meer ergießt. Die Vega und die Lena lichteten also am Morgen des 10. August die Anker, um ihre Fahrt fortzusetzen. Der Kurs wurde nach der westlichsten der Inseln gestellt, welche alte Karten außerhalb des Mündungsgebietes der Pjäsina verlegen und Kammenni-Ostrow [Stein-Insel] benennen, ein Name, welcher anzudeuten scheint, dass die ihrer Naturbeschaffenheit nach mit den steinigen Inseln um Dicksonshafen herum übereinstimmen. Der Himmel war bedeckt, die Lufttemperatur bis + 10,4°C und das Wasser anfangs bis + 10°, später bis + 8° erwärmt sowie der Salzgehalt der Meeresoberfläche unbedeutend. Während des Tages war kein Eis sichtbar. Von einem frischen Südostwind begünstigt, konnte die Vega ihre Fahrt mit voll gespannten Segeln antreten. Kleinere Felseninseln, die auf der Seekarte nicht verzeichnet sind, erinnerten uns jedoch bald an die Unzuverlässigkeit der Karten. Dies sowie eine dicke Luft zwangen Kapitän Palander, mit großer Vorsicht sowie unter scharfer Ausschau und beständigen Untersuchungen mit dem Senkblei vorwärtszusegeln. Warmes Wetter und ein eisfreies Meer begünstigten auch am folgenden Tag unsere Fahrt; dann wurde aber der Nebel so dicht, dass die Vega schon am Morgen bei einer der vielen kleinen Inseln, welche wir auf unserem Weg antrafen, beilegen musste.
Am Nachmittag hatte sich das Wetter wieder so weit aufgeklärt, dass wir weitersegeln konnten. Hin und wieder zeigten sich Eisstücke, und während der Nacht nahm das Eis in beunruhigender Weise zu; doch kam es auch jetzt noch nicht in so großer Masse vor, dass es bei klarem Wetter oder in bekannten Fahrwassern der Seefahrt hätte hinderlich werden können.
Am 12. August segelten wir fortwährend zwischen umfangreichen Feldern zerstreuten Treibeises, das teils aus grobem, altem Eis, teils aus stark zerfressenem Jahreseis bestand. Es bildete jedoch kein ernstliches Hindernis gegen das Vorwärtskommen, und wahrscheinlich würden wir in größerer Nähe des Strands sogar völlig eisfreies Wasser gehabt haben; natürlich war es aber, außer im wirklichen Notfall, nicht ratsam, in dem Nebel und dem unbekannten Fahrwasser uns allzu sehr dem Land zu nähern. Am Fuß eines großen Grundeisblocks, an dem wir für einige Stunden beigelegt hatten, waren viele Fische sichtbar; und während des folgenden Tages sahen wir an einer der Inseln, wo das Wasser sehr klar war, den Meeresboden mit unzähligen toten Fischen derselben Art bedeckt. Vermutlich waren sie aus gleicher Ursache umgekommen, wie so oft Fische im Ob in solch großer Menge getötet werden, dass die Luft dadurch verpestet wird, wenn nämlich ein größerer Zug Fische vom Eis in einem engen Loch eingeschlossen worden ist, wo das Wasser nach dem Zufrieren seiner Oberfläche nicht mehr durch Absorption aus der Luft den verbrauchten Sauerstoff hat ersetzen können und wo die Fische selbst in dieser Weise erstickt oder buchstäblich ertrunken sind.
Am 13. August segelten wir wieder an einer Menge kleiner Klippen und Inseln vorbei. Das Meer war anfangs ziemlich eisfrei, bedeckte sich aber später mit gleichmäßigen dünnen Eisstücken, welche nicht aufeinander »geschraubt« und also während des Winters keinem Eisdruck ausgesetzt gewesen waren. Dieses Eis hatte keine besonderen Übelstände für die Seefahrt zur Folge, gleichzeitig aber wurde alles von einem äußerst dichten Nebel eingehüllt, welcher uns bald nötigte, in einer kleinen Bucht an der Küste Anker zu werfen. Ich versuchte vergebens, irgendeine Ortsbestimmung der Stelle zu erhalten. Am Ufer lag beinahe überall noch ein ziemlich hoher Schnee- und Eisrand, welcher im Nebel das Aussehen mächtiger Gletscher hatte; im Übrigen war das Land frei von Schnee.
Während der ganzen Zeit unseres Aufenthalts hier herrschte ein äußerst anhaltender Nebel, welcher jedoch am 18. September sich endlich etwas aufklärte. Wir lichteten sogleich die Anker und dampften den westlichen Strand der Taimur-Insel entlang weiter; dieselbe ist von einer Menge Inseln umgeben, welche auf den Karten nicht bezeichnet sind [sie tragen heute den Namen Nordenskiöld-Archipel], und möglicherweise ist die Taimur-Insel selbst durch Sunde in mehrere Teile geteilt. Auf unserer weiteren Fahrt hinderte uns jedoch der noch immer dichte Nebel, die Inseln, zwischen denen hindurch die Vega ihren Weg suchte, anders als nur ganz oberflächlich aufzunehmen. Soviel konnten wir aber doch sehen, dass die Nordspitze der Taimur-Insel nicht so weit nach Norden hinaufreicht, wie die Karten gewöhnlich angeben.
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