1 ...6 7 8 10 11 12 ...41 Aber um die historischen Tatsachen ging es längst nicht mehr. Sondern darum, ob die Gegenkräfte der Kirche den »Skandal Galilei« wachhalten wollten. Auch noch in einer Zeit, die wissenschaftlich längst – spätestens seit der Relativitätstheorie von Albert Einstein (1879–1955) – über die Heliozentrik hinausgewachsen ist, weil überhaupt kein Zentrum des Universums mehr angenommen werden kann. Johannes Paul II. (1920, 1978–2005) entschloss sich (1979, zum 100. Geburtstag von Einstein!), noch einmal eine noch gründlichere Untersuchung anzuordnen und 1992, zum 350. Todestag Galileis, höchstamtlich eine förmliche Rehabilitierung Galileis auszusprechen.
Darin heißt es zusammenfassend: »Ausgehend vom Zeitalter der Aufklärung bis in unsere Tage, hat der Fall Galilei eine Art Mythos gebildet, in dem das dargelegte Bild der Ereignisse von der Wirklichkeit weit entfernt war. In dieser Perspektive war dann der Fall Galilei zum Symbol für die angebliche Ablehnung des wissenschaftlichen Fortschritts durch die Kirche oder des dogmatischen ›Obskurantentums‹ gegen die freie Erforschung der Wahrheit geworden. Dieser Mythos hat in der Kultur eine erhebliche Rolle gespielt und dazu beigetragen, zahlreiche Männer der Wissenschaft in gutem Glauben denken zu lassen, der Geist der Wissenschaft und ihre Ethik der Forschung auf der einen Seite sei mit dem christlichen Glauben auf der anderen Seite unvereinbar. Ein tragisches gegenseitiges Unverständnis wurde als Folge eines grundsätzlichen Gegensatzes von Wissen und Glauben hingestellt. Die durch die jüngeren historischen Forschungen erbrachten Klärungen gestatten uns nun die Feststellung, dass dieses schmerzliche Missverständnis inzwischen der Vergangenheit angehört.«
NEUER HUMANISMUS – MAHNUNG
Da kann man nicht so sicher sein. Gewiss, die Römische Kirche hat ihren Ur-Irrtum eingesehen, bereut und eingestanden. Wie schon Galilei 1613 in einem Brief (an Benedetto Castelli) schreibt: »Wenn schon die Schrift nicht irren kann, so können doch einige ihrer Erklärer und Deuter in verschiedener Form irren.« Da sind die christlichen Kirchen nun vorsichtig. Was der kundige Jesuiten-Kardinal Roberto Bellarmino (1542–1621) schon 1615 (Brief an R. A. Foscarini) wünschte. Was fundamentalistischen Religionsführern wohl noch bevorsteht. Was Kardinal Ratzinger, den Präfekten der vatikanischen Glaubenskongregation, im März 2000 zum feierlichen Schuldeingeständnis für seine Inquisitionsbehörde bewog, »dass auch Menschen der Kirche im Namen des Glaubens und der Moral in ihrem notwendigen Einsatz zum Schutz der Wahrheit mitunter auf Methoden zurückgegriffen haben, die dem Evangelium nicht entsprechen«.
Aber letztlich geht es im »Skandal Galilei« darum, wer die Erklärung der Welt und ihrer Daseinsgründe mit Autorität für sich beanspruchen darf. Das ging 1633 der Römischen Kirche daneben. Joseph Ratzinger versuchte verschiedentlich als Kardinalstheologe diesen Anspruch der Kirche sogar mit Berufung auf die Philosophen Ernst Bloch und Paul Feyerabend auch im »Fall Galilei« zu retten. Das wollten ihm als Papst jene nicht durchgehen lassen, die sich dem Anspruch der Kirche durch Skandalisierung widersetzen. So protestierten noch im Januar 2008 Professoren und Studenten der römischen Universität »Sapienza«, von Päpsten gegründet (1303), gegen eine geplante Vorlesung des Papstes.
Benedikt XVI. sagte seinen Besuch ab. Er schickte den Protestierern jedoch seine – nicht gehaltene – Rede. Darin erkennt er ein für allemal die Unabhängigkeit der Universität, von Wissenschaft und Forschung an, in jedem politischen Regime, von jedweder Obrigkeit: »In ihrer Freiheit von politischen und kirchlichen Autoritäten kommt der Universität ihre besondere Funktion gerade auch für die moderne Gesellschaft zu, die einer solchen Institution bedarf.« Er entschuldigt sich noch einmal, definitiv: »Manches, was von Theologen im Laufe der Geschichte gesagt oder auch von kirchlicher Autorität praktiziert wurde, ist von der Geschichte falsifiziert worden und beschämt uns heute.« Und er fordert einen »neuen Humanismus für das dritte Jahrtausend«, der jedoch »die Weisheit der großen religiösen Traditionen als Realität zur Geltung zu bringen« müsse; man dürfe sie nicht »im Namen einer säkularistisch verhärteten Rationalität« und werde sie »nicht ungestraft in den Papierkorb der Ideengeschichte werfen«.
So ist es wohl. Damit könnte auch der »Skandal Galilei« zu den Akten gelegt werden. Denn der »Fall« ist es längst. Doch Galileo Galilei bleibt auch 450 Jahre nach seiner Geburt die unverdrängbare Freiheitsstatue der Menschheit, als Mahnung an jede politische und religiöse Obrigkeit, dass die Wahrheit sich nie unterdrücken lässt.
Heinz-Joachim Fischer
Der Dialog Galileis über die beiden hauptsächlichsten Weltsysteme darf als eines der merkwürdigsten Bücher bezeichnet werden, die je geschrieben worden: einerseits um der tragischen Schicksale willen, die es über seinen Verfasser heraufbeschwor, andererseits und vornehmlich aber wegen seines in anziehendster Form gebotenen Inhalts. Das hauptsächliche, aber keineswegs einzige Interesse des Buches liegt darin, dass es in greifbarer Anschaulichkeit die Berührung moderner Wissenschaft mit scholastischer Naturphilosophie und die daraus sich ergebenden Reaktionen dem Leser enthüllt. Wie dem Geologen die Kontaktstellen verschiedenartiger Gesteine und die dort eintretenden Umwandlungen der Gesteinsnatur das Verständnis der Erdgeschichte ermöglichen, so ist Galileis Buch für den Kulturhistoriker ein Schlüssel zur Erfassung des Umschwungs in der Weltanschauung. Aus ihm kann er ermessen, was es heißt, eine neue Idee wie die kopernikanische für weite Kreise fasslich und mundgerecht zu machen. Es kommt aber in dem Buche keineswegs bloß die Frage der beiden Weltsysteme zur Sprache, es handelt sich mehr noch um die ganze Methode wissenschaftlicher Forschung. Diese sollte von nun ab anscheinend bescheidener, in Wahrheit aber mühevoller und fruchtbarer sein; sie glaubt nicht mehr, alles a priori wissen zu können oder gar schon zu wissen, sie übernimmt vielmehr die schwere Aufgabe, in scheinbar geringfügigen Indizien, in alltäglichen und dennoch unbeachteten Erscheinungen die Spuren folgenschwerer Gesetze zu finden. Das Buch Galileis belehrte seine Zeitgenossen – und diese Belehrung dürfte auch heute für weite und einflussreiche Kreise noch nicht überflüssig geworden sein –, dass nicht in logisch geschultem Denken und in einer Anzahl von fertigen Formeln das Wesen der Wissenschaft und der wissenschaftlichen Erziehung sich erschöpft, dass vielmehr die unendlich viel schwierigere Kunst, durch Beobachtung und Versuche den Tatsachen Rechnung zu tragen, das Hauptmittel der Erkenntnis ist.
Bei dem großen Interesse, welches das Buch beansprucht, ist der bisherige Mangel einer deutschen Ausgabe im Grunde verwunderlich. Allerdings erwähnt die im Jahre 1654 vonV i v i a n iniedergeschriebene Biographie Galileis eine deutsche Übertragung des Dialogs; wenn diese Angabe gegen alle Wahrscheinlichkeit ihre Richtigkeit haben sollte, so ist die Übersetzung heute gänzlich verschollen. Der Versuch eine deutsche Ausgabe zu veranstalten bedarf sonach wohl keiner weiteren Rechtfertigung. Die Schwierigkeiten des Unternehmens sind freilich nicht gering: Einmal ist es ohne Willkürlichkeiten der Übersetzung fast unmöglich, jener Formschönheit des Originals gerecht zu werden, die den Dialog zu einem klassischen Werke der italienischen Literatur stempelt; sodann aber sollte eine für weitere Kreise bestimmte Ausgabe – und eine solche zu veranstalten, war der Zweck, den ich mir setzte – von Rechtswegen diejenigen Hinweise enthalten, die das Verständnis und die Würdigung des Buches erleichtern, die es aus seiner Zeit heraus nach seinen Vorzügen und Schwächen begreiflich machen, und die dem Leser die Möglichkeit bieten, den Erkenntnisfortschritt zu verstehen, der sich in ihm vollzieht. Nach beiden Richtungen hin lässt die vorliegende Ausgabe, wie mir wohl bewusst ist, manches zu wünschen übrig. Es rührt dies teils und vorwiegend daher, dass meine Kräfte zu einer tadellosen Erfüllung der Aufgabe nicht ausreichten, teils auch daher, dass ein unerwünschtes Missverhältnis zwischen dem Umfange der erforderlichen Auseinandersetzungen und dem Texte des Dialogs vermieden werden sollte. Ob es mir gelungen ist, wenigstens einigermaßen dem mir vorschwebenden Ziele mich genähert zu haben, stelle ich dem Urteile des Lesers anheim.
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