Die chinesische Regierung, die für die Anlage der Raststationen längs der Karawanenstraße Sorge trägt, hat die Karawansereien der Oasen an arme Leute verpachtet. Sie verkaufen Gras als Futter für die Kamele, die hier ausschließlich als Lastträger verwendet werden. Auch Brennmaterial ist dort erhältlich.
Fast jede Oase besitzt Quellen oder Tümpel mit süßem und salzigem Wasser. Das salzhaltige Wasser soll übrigens von Jahr zu Jahr an Salzgehalt verlieren und allmählich trinkbar werden; doch niemand weiß, worauf dieser Umschlag zurückzuführen ist. Die Eingeborenen trinken das Salzwasser mit dem gleichen Genuss wie das süße. Uns Europäern hingegen ist das Salzwasser schädlich, es verursacht stets schweren Durchfall.
Die Chinesen fürchten nicht mit Unrecht, dass die Oasen der Gobi, die an sich schon sehr eng umgrenzt sind, durch Sandwehen und Sandstürme allmählich verkleinert und schließlich vom Erdboden ganz verschwinden werden. Aber die chinesischen Behörden, denen die Straßen durch die Wüste überaus lebenswichtig sind, haben weitsichtig vorgesorgt, dass auch nach dem Verschwinden der kleineren Oasen noch hinreichend Wasserplätze vorhanden sind. Ab und zu stießen wir mitten in der Wüstenzone auf ganz merkwürdige Erdbauten, deren Zweck wir uns nicht vorstellen konnten, bis sich Beick eines Nachts trotz des strengen Verbots, die Karawanenstraße zu verlassen, an diese, manchmal durch Soldaten scharf bewachten, mit Reisig überdeckten Erdlöcher heranmachte. Er stellte fest, dass jede dieser Zisternen einen lichten Durchmesser von 1,70 Metern hatte und dass die ausgehobene Erde ringsum aufgeschüttet war. Durch Abwurf eines Steines konnte in der Tiefe Grundwasser nachgewiesen werden. Die ungefähr 20 Meter tiefen Zisternen folgen einander in einer Reihe mit Zwischenräumen von je 40 Metern. Die einzelnen Reihen haben Abstände von etwa einem Kilometer. Alle diese Zisternen scheinen in Höhe des Grundwassers durch Kanäle miteinander verbunden zu sein.
Diese ungeheure, unterirdische Arbeitsleistung kann sich nur der vorstellen, der selbst einmal versucht hat, im Wüstensand nach Wasser zu graben. Mithilfe dieser Wasserlöcher wird nicht nur der Wasserbedarf in den Oasen ergänzt; sie ermöglichen auch den Transport großer Menschenmassen durch die todbringende, wasserlose Gegend. Ich schätze, dass an dem größten dieser Zisternenlager gleichzeitig rund 800 Kamele und 10 000 Mann getränkt werden können.
In Hami erreichten wir den Hauptwaffenplatz des Generalgouverneurs von Sinkiang, dessen Politik sich damals mit der antibolschewistisch eingestellten des Chinesischen Auswärtigen Amtes in Peking deckte. Das 940 Meter hoch gelegene Hami ist der östlichste Eckpfeiler Sinkiangs, Chinesisch-Turkestans, in dem gegen 30 Mischstämme wohnen: Mongolen, Mandschus, Turkestanen und Chinesen, die Vertreter zweier wesensfremden Kulturen und Völkerfamilien. Den größten Prozentsatz stellen die Turkestanen. Sie sprechen Türkisch und sind Islambekenner. In den meisten größeren Städten Sinkiangs finden sich aber auch einzelne Russen, die der Bolschewismus aus ihrem Heimatland vertrieben hat.
Hier in Hami lässt sich der stumme Kampf zwischen den Chinesen, die nach Westen drängen, und den Turkestanen, die nach Osten streben, in seiner Auswirkung beobachten. Wie in Tihwa sind auch hier die höheren Beamtenstellen auf Turkestanen und Chinesen verteilt. Der Dienst wickelt sich im Allgemeinen reibungslos ab. Wer aber hinter die Kulissen sieht, vermag festzustellen, dass sich manchmal doch Dinge ereignen, die auf neue, bevorstehende Kämpfe zwischen Chinesen und Turkestanen schließen lassen.
Die Turkestanen überragen die Chinesen erheblich an Gestalt. Kraft ihrer zahlenmäßigen Überlegenheit treten sie im Verkehr mit den Söhnen des Reiches der Mitte bestimmt und fordernd auf. In China leben ungefähr 30 Millionen Mohammedaner, von denen einige Millionen auf Sinkiang und Kansu entfallen; rassenmäßig sind jedoch auch diese Mohammedaner Chinesen. Für ihre nationale Einstellung kommt ausschließlich das religiöse Bekenntnis in Betracht. In Westchina werden diese Mohammedaner Hui-Hui genannt; sie gelten als besonders fanatisch, und China hat im Lauf des letzten Jahrhunderts viele schwere Kämpfe mit diesen Glaubensstreitern zu bestehen gehabt. Die Hui-Hui haben sogar wiederholt den Bestand des chinesischen Reiches ernstlich bedroht.
Auch Kansu, dem wir auf unserer Fahrt zustreben, beherbergt einen großen Prozentsatz von Mohammedanern. Diese sind entweder eingewanderte Nachkommen der Türken oder Flüchtlinge, die sich nach den letzten großen Mohammedaneraufständen hier angesiedelt hatten. Kraft ihrer glänzenden Organisation und ihrer Einigkeit haben sie es verstanden, sich des fruchtbarsten Bodens zu bemächtigen, den größten Teil des Handels an sich zu reißen, besonders in Pelzen und Wolle, und die ganzen Karawansereien längs der Hauptwege ihren Glaubensgenossen in die Hände zu spielen. Sogar der Nachrichtendienst, der in Zentralasien eine nicht geringere Rolle spielt als in Europa, ruht als Monopol in den Händen der Muselmänner.
Die Chinesen, die sich in Kansu hauptsächlich innerhalb der großen Chinesischen Mauer angesiedelt haben, bilden den Hauptteil der Bevölkerung. Die chinesische Regierung hat von jeher den allergrößten Wert darauf gelegt, Kansu fest in der Hand zu behalten.
Kansu wird von ihr nicht nur als die Wiege des chinesischen Reiches betrachtet, sondern auch als wichtige Ausfallspforte nach dem Westen, entlang der uralten Seidenstraße. Ein Verlust Kansus wäre für die chinesische Regierung gleichbedeutend mit dem Aufgeben aller westlich des alten eigentlichen Reichs gelegenen Riesengebiete, die noch heute geographisch zu China gehören.
Kansu war seinerzeit die Operationsbasis des sowjetfreundlichen chinesischen Marschalls Feng-Yu-Hsiang, der während der Hochblüte des Bolschewismus eine Verbindung mit den Sowjetrepubliken via Sinkiang anstrebte. Der Generalgouverneur von Sinkiang vereitelte jedoch dieses Programm, und so gerieten Kansu und Sinkiang in heftige Fehde.
Ungefähr auf halbem Weg zwischen Hami und An-hsi, im Herzen der Wüste Gobi, liegt, 1980 Meter ü. d. M. Schin-schin-schja, die Grenzfeste Sinkiangs, die den ersten Ansturm der Kansu-Truppen aufhalten sollte. Die niedrigen Kasernenbauten sind in einem engen Pass untergebracht, und schon von ferne hört der Fremde die Trompetensignale der einige Hundert Mann starken Garnison.
Ein eigenes Telegraphenamt verband Schin-schin-schja und Sinkiang. Telegramme nach Sinkiang waren der Zensur unterworfen. Auf den Höhen ringsum waren Befestigungen angelegt. Die Soldaten schienen an diesem »Wüstenkrieg« wenig Freude zu haben. Täglich desertierten viele aus der Grenzgarnison und versuchten, nach Hami zu entkommen. Ich war selbst Zeuge, als ein paar Dutzend Soldaten von einer Höhe aus einigen Kameraden, die sich gerade hamiwärts empfehlen wollten, gute Wünsche nachriefen. Die Desertion selbst scheint sich sehr friedlich abzuspielen. Ein Unteroffizier trieb die Fahnenflüchtigen sogar zu Umsicht und Eile an, da man sie sonst wieder einfangen werde!
Viele dieser Flüchtlinge erreichen ihr Ziel überhaupt nicht. Der Marsch durch die Wüste bedeutet für jeden Unkundigen den sicheren Tod. Der Wanderer bricht meist auf den großen Etappen von einem Wasserplatz zum anderen zusammen und findet sein Grab im ewigen Sand! Auf unseren Wüstenmärschen trafen wir manchen Flüchtling am Weg, der infolge Ermüdung, Hunger und Durst mit dem Tod rang.
Es begegneten uns hier aber auch Auswanderer aus Kansu, die nach dem billigeren Sinkiang übersiedeln wollten. Sie erzählten uns, dass sie der Armut entfliehen wollten. Meist handelte es sich um Ackerbauern, die derart mit Steuern belastet waren, dass sie nur zu gern den heimischen Herd mit einer ungewissen Zukunft vertauschten. Vieh, Pferde und Mobiliar hatten sie verkauft; einige hatten sogar ihre Töchter verschachert, um Zehrpfennige für die große Reise zu haben. Ihre Armut war dennoch trostlos. Manche von ihnen schleppten kleine Kinder auf dem Rücken mit, während die »Reichen« unter diesen Armen wenigstens noch über einen Esel verfügten, der zuweilen zu beiden Seiten kleine Kästen trug, aus denen harmlose Kindergesichter herausschauten. Die Kleinen wussten noch nichts von dem Lebenskampf, in den sie hineinwuchsen.
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