Mein Freund Cavalieri benachrichtigt mich, dass der Generalgouverneur mir die Erlaubnis verweigert, die Zeitsignale von Peschauer aufzunehmen. Niemand hat Zutritt zu dem Empfangsraum. Der Tyrann trägt den Schlüssel in seiner Tasche!
In der Missionsstation gibt es eine Abwechslung mit humoristischem Einschlag. Pater Veldman wird von Zahnweh geplagt; eine goldene Zahnbrücke ist gebrochen. Während der Nacht spielt der Missionshund mit dem künstlichen Gebiss seines Herrn und bricht noch einige Zähne aus!
Trost im Leid: Meine Passangelegenheit soll günstig stehen!
Ich verfüge jetzt ungefähr über 1000 Lan zur Reise nach Kansu. Meine bisherigen Auslagen von 600 Lan wollen mir die beiden gütigen Missionare Hilbrenner und Veldman stunden. Sie erklären sich sogar bereit, mir weitere Geldmittel vorzuschießen.
Der Geheimpolizist Joseph verriet mir des Gouverneurs Besorgnisse. Der Allmächtige glaubt nämlich, so orakelte Joseph, dass Deutschland und die Sowjetunion gemeinsame Sache machen. Da nun Sinkiang zwischen dem Gebiet der Sowjetunion und dem bolschewistisch eingestellten Kansu liege, sei es nicht unwahrscheinlich, dass Deutschland in Sinkiang in bolschewistenfreundlichem Sinne wirken wolle! – Ich war also nach der allerhöchsten Ansicht der Hund im Kegelschub!
Am 10. Juni gab ich Auftrag nach Tientsin, die fünf Kisten der für mich aus Deutschland eintreffenden Negativfilme ungeöffnet an die katholische Mission in Yen-tschou-fu in Schantung zu senden mit der Bitte, diese bei nächster Gelegenheit unter sicherem Geleit an die katholische Mission in Lantschou weiterzugeben.
Es war ein Kommen und Gehen in meinem Quartier. So erschien u.a. ein Geheimpolizist, der Angaben über die Anzahl meiner Wagen, Pferde, Apparate, Gepäckstücke und Waffen erbat. Sie müssten in meinem Pass aufgeführt werden, den ich ganz sicher am nächsten Tag erhalten würde.
12. Juni. Das Orakel versagte auch diesmal.
13. Juni. Zu meinem Schrecken erfahre ich nun, dass der Generalgouverneur den Pass wiederum abgelehnt hat. Ich schreibe sogleich drei Briefe: einen an das Auswärtige Amt in Berlin, den zweiten an den Deutschen Generalkonsul in Tientsin und den dritten an meinen Generalbevollmächtigten in Berlin.
Die neuerliche Passverweigerung soll, wie man mir sagt, darauf zurückzuführen sein, dass tags zuvor ein deutsches Unternehmen ohne ausdrückliche Genehmigung des Generalgouverneurs in Sowjethände übergegangen sei. Mit dieser Transaktion bringt man mich in Verbindung. Ich führe den Nachweis, dass ich diesen Dingen durchaus fernstehe!
Vorläufig lässt mir der Gouverneur die wenig erbauliche Mitteilung machen, dass ich auf acht bis zehn Tage ruhig verreisen könne. Dann sei es ja noch immer früh genug, in meiner Passangelegenheit weitere Schritte zu unternehmen. Das waren also wieder recht nette Aussichten!
Meine Geduld war nun wirklich zu Ende. Ich musste jetzt taktisch vorgehen. Statt einer Antwort lud ich die hohen Herren zu einem festlichen Diner ein. Sämtliche Minister sagten zu, auch der Höchstgebietende. Dieser entstieg im Gehrock unter starker militärischer Eskorte einer eleganten europäischen Kutsche. Die Minister erschienen sämtlich im Festgewand. So waren wir zu achtzehn Personen. Es wurden sehr freundliche Reden gehalten, und während des Diners überreichte mir der Außenminister feierlich den langersehnten Pass. Das war mein Lohn für alle Geduld und alle Kämpfe.
Nun ging alles wie am Schnürchen. Die nächsten Tage waren den Vorbereitungen zur Weiterreise gewidmet. Ich machte beim Generalgouverneur sowie bei allen Ministern einen Abschiedsbesuch und wurde schließlich noch zu einem äußerst prunkvollen und luxuriösen Festmahl im Sommerpalast des Generalgouverneurs eingeladen. Diesem Diner wohnten sämtliche Abgeordnete bei, insgesamt wohl 100 Gäste.
Der Generalgouverneur wollte mir absichtlich vor allem Volk ein ganz »großes Gesicht« geben.
Als ich dann mit meinen beiden Wagen Tihwa, das mich fast sechs Wochen in seinen Mauern festgehalten hatte, entrann, gab mir der Außenminister sogar persönlich das Geleit, und allerseits wurden mir Ehrerbietung und Achtung entgegengebracht.
4Dieser war ein Bruder des mohammedanischen Generals Ma in Sining, des chinesischen Amban von Tibet. Der Generalgouverneur von Sinkiang hatte stets Angst vor diesem General, und deshalb frohlockte er, als bald darauf die Tibeter den General Ma und dessen Truppen in die Flucht geschlagen hatten. Später ist es Ma übrigens gelungen, die Tibeter entscheidend aufs Haupt zu schlagen, und erst vor Kurzem stand er auf dem Gipfel seiner Macht.
6.
ZWISCHEN FEINDLICHEN BRÜDERN
Bis Ku-tschöng (Gu-tschen) ging die Fahrt flott, weil die Pferde durch die mehrwöchige Rast in Tihwa gekräftigt waren.
Das schwerste Stück der ganzen Reise stand uns nunmehr bevor: die Durchquerung der gefürchteten Gobi mit ihren zwei Millionen Quadratkilometern. Die armen Pferde! Was haben sie aushalten müssen, im tiefen Sand und in den felsigen Pässen des Bogdo-ola-Gebirges!
Aber die Tiere haben durchgehalten, vielleicht nur deshalb, weil wir sie immer gut behandelten, im Gegensatz zu den Eingeborenen, die mit diesem lebendigen und gerade hier besonders lebenswichtigen Material nicht umzugehen wissen. Wie dankbar blickten mich die Tiere an, wenn sie nach heißem, anstrengendem Marsch todmüde und durstgequält von mir gestreichelt wurden oder ich ihnen unter aufmunternden Worten die lästigen Mücken verscheuchte.
Unser erstes Ziel war Hami, eine wundervolle, weit ausgedehnte Gartenstadt, eine blühende Oase inmitten der Wüste. Herrliche Parks dehnen sich zwischen den aus Lehm und Erde gebauten kleinen Häusern der Muselmänner. Hunderte von Kamelen ziehen langsam durch die breiten Straßen. Täglich erreichen und verlassen Hunderte von Reisenden diese Stadt an der wichtigsten Karawanenstraße Innerasiens.
Noch ehe wir Hami erreichten, machten wir in einem kleinen Wüstendorf Rast. Hier passierte mir etwas ganz Seltsames. Wie aus dem Erdboden gewachsen, stand plötzlich ein Herr in europäischer Kleidung mit Tropenhelm vor mir und rief mich an:
»Are you Mr. Filchner?«
Dieser Mann mit schneeweißem Haar, kurzgestutztem Schnurrbart und scharfen Zügen, dessen Stimme ich nur zu gut kannte, war kein Fremder. Doch im ersten Augenblick wusste ich nicht, wo ich ihn hintun sollte. Plötzlich kam mir die Erleuchtung:
»Yes«, sagte ich, »and you are Mr. Ridley!«
Vor 22 Jahren hatten wir uns das letzte Mal im Herzen Asiens gesehen. 40 Jahre lang hatte Ridley mit seiner Familie in Sining-fu an der chinesisch-tibetischen Grenze eine Station der China-Inland-Mission geführt. Und nun trafen wir uns zufällig hier mitten in der Wüste. Wie klein ist doch die Welt!
Ridley, dessen Frau vor Kurzem gestorben war, befand sich auf dem Marsch nach Kaschgar, von wo aus er nach Persien weiterwandern wollte. Er hatte mir seinerzeit bei der Vorbereitung meiner ersten Tibetexpedition geholfen. Er war es auch, der damals als Erster die Nachricht erhielt, ich sei in Nordost-Tibet von den Ngoloken ermordet worden. Dieses Gerücht fand damals bald auch den Weg nach Europa.
Die Chinesen vergötterten ihn, denn Ridley war jener Mann, der mit den Seinen während der furchtbaren Belagerung der Grenzstadt Sining-fu durch die Mohammedaner die Pflege der Verwundeten übernommen hatte. In meinem Buch »Hui-Hui – Asiens Islamkämpfe« ist diese Belagerung mit ihrer Menschenschlächterei und ihren Schrecknissen eingehend geschildert.
Sobald wir die Wüste erreicht hatten, setzte ich bestimmte Tagesetappen fest, um an jedem Abend einen Wasserplatz zu gewinnen. Das lag im Bereich der Möglichkeit, wenn wir täglich 50 bis 60 Kilometer bewältigten. Nur einmal im südlichen Teil der Gobi musste zur Überwindung einer völlig wasserlosen Zone ein Doppelmarsch eingelegt werden.
Читать дальше