Schaubild a in Abb. 3 zeigt, dass in Spanien die Zahl erwerbsfähiger Personen („población activa“, dünne obere Linie) nach 2008 tendenziell leicht gestiegen ist, die Zahl tatsächlich erwerbstätiger Personen („población ocupada“, dicke untere Linie) jedoch stark gesunken. Die Arbeitslosenrate ist in Spanien nach 2008 von knapp über 8 % bis auf 20 % in den ersten Quartalen von 2010 drastisch gestiegen, wie aus Schaubild b in Abb. 3 hervorgeht. Aus den soeben beschriebenen Missständen im Südeuropa der Folgejahre der Rezession ergibt sich das Erkenntnisinteresse der vorliegenden Arbeit.
Abbildung 3:
Auswirkung der Krise auf die Beschäftigung. Spanien, 4. Quartal 2007–2. Quartal 2010 (in Prozent)8
1.2 Allgemeines Erkenntnisinteresse1
Die junge Bevölkerung Südeuropas sah sich von den Folgen der Rezession mehrfach betroffen: Auf der einen Seite schlitterte die Alterskohorte der unter 25-Jährigen mit außerordentlich hoher Wucht in die Arbeitslosigkeit2, zum anderen führte die drakonische Austeritätspolitik der Regierungen südeuropäischer Staaten insbesondere auch im Bildungssektor zu Kürzungen (s. Prikoszovits & Springer, 2018, S. 753), was an einigen Universitäten wiederum zur Folge hatte, dass ganze Studiengänge geschlossen wurden. Wesentlicher Lebensgrundlagen beraubt und einen (temporären) Ausweg aus der prekären Lage am Arbeitsmarkt und an den Hochschulen suchend, verließen zahlreiche junge Menschen Südeuropa. Dabei visierten sie überwiegend die von der Wirtschaftskrise in deutlich geringerem Ausmaß betroffenen amtlich deutschsprachigen Länder an, die in den Rezessionsjahren die Arbeitslosigkeit sogar geringfügig zu reduzieren vermochten und dabei dennoch mit einem Fachkräftemangel konfrontiert waren und sind (für Deutschland s. Prikoszovits & Springer, 2018, S. 767). Für eine Erwerbstätigkeit und/oder ein Studium in den Zielländern sind spezifische Sprachkenntnisse vonnöten. Immer mehr Lernende schrieben sich daher in den der Krise folgenden Jahren für Deutschkurse an den südeuropäischen Goethe Instituten ein3 und man griff dort durch die Implementierung des MobiPro-EU-Programms4 des deutschen Bundesministeriums für Arbeit und Soziales die Bedürfnisse und Wünsche der neuen Kundschaft auf, DaF berufsbezogen zu erwerben.
Das Erkenntnisinteresse in der vorliegenden Arbeit besteht somit auch darin, festzustellen, ob ebenso Hochschulen5 und nicht lediglich private Sprachinstitute diese Bedürfnisse der DaF-Lernenden erfasst und die entsprechenden Lehrpläne mit einem verstärkten Berufsbezug versehen haben. Leitende Vorannahme dabei ist, dass in diesen Lehrplänen die Berufsorientierung nach 2008 zugenommen hat. Hochschulen werden aus dem Grund fokussiert, da sie in hohem Maße auf die Berufsvorbereitung der Studierenden abzielen (s. Prikoszovits, 2017a, S. 162), und Berufsvorbereitung bzw. -orientierung ist der konkrete Forschungsschwerpunkt in diesem Band.
Innereuropäische Arbeitsmigration und ihre gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Auswirkungen stehen nur selten im Fokus der medialen Aufmerksamkeit. Als in den Folgejahren der 2008 ausgebrochenen Wirtschaftskrise zahlreiche Südeuropäer in die amtlich deutschsprachigen Länder emigrierten, wurde diese Arbeitsmigration von den empfangenden Gesellschaften in geringerem Ausmaß beachtet bzw. verfolgt als 2015 die große Migrationswelle und Flüchtlingskrise, wodurch die Dringlichkeit einer erfolgreichen Integration innereuropäischer Migrantengruppen im Bewusstsein der Bevölkerung bzw. der Politik der Zielländer auch weniger stark verankert ist. Es ist wenig darüber bekannt, welche Integrationsprozesse kultureller, sprachlicher bzw. verschränkt kulturell-sprachlich-beruflicher Art Menschen aus Südeuropa im amtlich deutschsprachigen Raum durchlaufen haben und immer noch durchlaufen.
Das Erkenntnisinteresse setzt jedoch bereits vor diesen Integrationsprozessen in den Zielländern an. Es soll ermittelt werden, wie junge, gut gebildete und hoch qualifizierte Menschen aus Italien und Spanien bereits in ihren Heimatländern auf ein Berufsleben mit der Fremdsprache Deutsch vorbereitet werden. Es soll also festgestellt werden, ob an südeuropäischen Hochschulen die Notwendigkeit erkannt und umgesetzt worden ist, den DaF-Unterricht für die Studierenden, die sich aufgrund der Folgen der Krise in vielen Fällen zu einer Bildungs- und Arbeitsmigration vor allem in die amtlich deutschsprachigen Länder bewogen sahen bzw. generell auch Berufe mit Bezug zum amtlich deutschsprachigen Raum ergriffen haben, gezielt berufsbezogen anzulegen, um diese Studierenden auf speziell in beruflichen Kontexten auftretende Anforderungen sprachlich-kommunikativer und sozial-kooperativer Art vorbereiten zu können. Das spezifische Erkenntnisinteresse sowie die konkrete Forschungsfrage, welche den vorliegenden Band leiten, werden ausführlich in Abschnitt 4.1 dargestellt.
1.3 Aktualität und Relevanz des Themas
Die Curriculumforschung ist vor allem seit Einführung des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens für Sprachen (GER) (Europarat, 2001) und der BA/MA-Studiengänge gefordert, Erkenntnisse zu gewinnen, welche eine fundierte Curriculumentwicklung einleiten, die Studierenden eine gute Vorbereitung auf das künftige Berufsleben verspricht. Seit der Jahrtausendwende ist das Thema Curriculumentwicklung also besonders an Universitäten von hoher Relevanz, jedoch entstehen konkret im DaF-Bereich kaum Forschungsarbeiten, die sich der Entwicklung von Curricula widmen (s. Schramm & Seyfarth, 2015, S. 38). In den späten 2000er Jahren wurden die curricularen Herausforderungen und Schwierigkeiten unerwartet um die in Abschnitt 1.1 thematisierte Wirtschaftskrise erweitert.
Die in den 1990er Jahren begonnene Forschung zum berufsbezogenen DaF-Unterricht (Abschnitt 3.3) hat also in den 2000er und 2010er Jahren durch das Desiderat, universitäre Curricula verstärkt berufsbezogen anzulegen, neue Impulse erhalten. Die beiden Forschungsgebiete dieser Arbeit sind demnach eng miteinander verknüpft und für den Fortbestand universitärer Germanistiklehrgänge, vor allem jener in Südeuropa, hoch relevant.
Der Autor des Bandes hat von 2008 bis 2012 an der Germanistik der Università degli Studi di Napoli in Italien lektoriert und war von 2014 bis 2017 an der Germanistik der Universitat Autònoma de Barcelona im Bereich DaF beschäftigt. Die mehrjährigen Arbeitstätigkeiten in den beiden Ländern haben zum einen zu einer Vertrautheit mit den dortigen Hochschullandschaften und zum anderen auch zu einem Verständnis dortiger Lehr-/Lernkulturen und -traditionen geführt, was einen kultursensiblen Zugang zu den Forschungsfeldern ermöglicht. Vor allem ab 2008 hat es in beiden südeuropäischen Staaten einschneidende Budgetkürzungen im Bereich der Fremdsprachenphilologien gegeben, auch germanistische Studiengänge bilden hier keine Ausnahme. Als Bediensteter an öffentlichen Universitäten in Südeuropa weiß man um die Herausforderungen und Schwierigkeiten, germanistische Studiengänge unter budgetären Einschränkungen einerseits und steigenden Anforderungen von Seiten des Arbeitsmarkts andererseits aufrecht zu erhalten. Diesen Herausforderungen und Schwierigkeiten kann man mit einer verstärkt berufsorientierten Ausrichtung universitärer DaF-Curricula begegnen.
Generell ist das Feld des berufsbezogenen Deutschunterrichts jedoch nicht nur durch die Professionalisierung von Studiengängen, also BA/MA-Lehrgängen, bzw. die Wirtschaftskrise und die daraus resultierende Arbeitsmigration aktuell und relevant, sondern auch durch den Fachkräftemangel, der in den amtlich deutschsprachigen Ländern in den 2010er Jahren herrscht. Efing (2015a) sieht diesen Mangel als aktuelle Herausforderung an, bringt ihn in die Nähe der andauernden Werbung um ausländische Auszubildende sowie auch in Zusammenhang mit der Auslagerung von Arbeits- und Ausbildungsstellen in den (außer)europäischen Raum, wenn er schreibt:
Читать дальше