Helder wartete.
Bell kam zurück, in seiner Hand hielt er den Brief. Er sah weder nach rechts noch nach links und war gleich darauf im Straßengewühl verschwunden.
Die Entdeckung, die Helder gemacht hatte, verstärkte seinen Verdacht noch. Willetts, der Banknotenfälscher, nach dem die Polizei suchte, war also tatsächlich in London!
Nachdenklich machte sich Helder auf den Heimweg. In seiner Wohnung setzte er sich an den Schreibtisch und holte aus einer gutverschlossenen Schublade ein kleines Notizbuch heraus. Zwei Stunden lang war er eifrig damit beschäftigt, eine Nachricht in eine Geheimschrift zu verschlüsseln; am Nachmittag sandte er sie dann mit Eilboten an drei verschiedene Adressen.
Als Helder dies erledigt hatte, setzte er sich in einen Sessel und döste ein wenig, bis es fünf Uhr schlug. Er klingelte und bestellte Tee; in wenigen Minuten würde er Besuch bekommen.
Der Besucher, der gleich darauf hereingeführt wurde, war ein kräftiger, etwas unbeholfener Mann, der sich in der vornehmen Umgebung anscheinend nicht sehr wohl fühlte.
»Setzen Sie sich, Tiger«, sagte Helder freundlich und wies mit der Hand auf einen Stuhl.
Der Fremde setzte sich behutsam auf die äußerste Stuhlkante und legte seinen Hut neben sich auf den Boden.
»Mr. Helder – wir müssen einen neuen Weg suchen.«
Helder nickte.
»Ich weiß, unsere Leute beklagen sich darüber, daß es sehr schwierig wird, amerikanische Banknoten abzusetzen. Wir müssen etwas unternehmen.«
Tiger Brown nickte heftig.
»So ist es«, sagte er mit einem Seufzer der Erleichterung. »Ich befürchtete schon, Sie hätten eine andere Meinung. In den Vereinigten Staaten war die Sache so fein in Schuß – aber jetzt sind unsere Leute ängstlich geworden. Es geht das Gerücht, daß die Polente eine neue Prüfungsmethode gefunden hat. Unser Agent in Philadelphia, dem wir für gewöhnlich fünfhundert Scheine im Monat sandten, nimmt nur noch hundert. Ich glaube, wir sollten das amerikanische Geschäft langsam auslaufen lassen und uns mehr auf das französische konzentrieren.«
Helder ging im Zimmer auf und ab. Er war zur Tür gegangen und hatte sie verschlossen, nachdem Brown gekommen war. Geistesabwesend probierte er jetzt die Klinke noch einmal.
Tiger Brown beobachtete ihn aus zusammengekniffenen Augen.
»Sie sind selbst schon ein wenig unruhig, nicht wahr?« fragte er lauernd.
»Nein, nein«, entgegnete Helder rasch. »Ich bin nicht nervös, nur vorsichtig – das ist alles. Wie funktioniert es eigentlich mit den französischen Noten, die wir wegschickten?«
»Ich weiß nicht, ich habe nicht viel Vertrauen dazu. Es fehlt ihnen einfach die Qualität der amerikanischen Scheine. – Wie steht es denn mit diesem Maple?« fragte er dann.
Helder verzog ärgerlich den Mund.
»Ich glaube nicht, daß wir den kriegen – er arbeitet für Gold.«
»Hm, da haben Sie also kein Glück gehabt? Kann man da nicht ein wenig nachhelfen?«
Helder schüttelte den Kopf.
»In diesem Land ist das nicht so einfach«, entgegnete er grimmig. »Immerhin sollte man sich doch überlegen …«
Wieder ging er unruhig im Zimmer auf und ab.
»Maple«, murmelte er vor sich hin, »ich bin gespannt, ob –« unvermittelt brach er wieder ab.
»Überlegen Sie sich doch mal«, drängte Brown. »Es muß doch ein Mittel geben, ihn unter Druck zu setzen. Hat er nicht eine Tochter?«
»Eine Nichte«, verbesserte Helder. »Aber die lassen wir lieber aus dem Spiel.«
»Ganz egal, ob Tochter oder Nichte«, erwiderte Tiger ungeduldig. »Wir müssen etwas unternehmen, ganz gleich was!«
Helder entgegnete nichts.
»Was ist mit Gold?« fragte Tiger.
»Er ist eine große Gefahr«, antwortete Helder ernst, »weil ich nicht genau weiß, wie weit seine Macht reicht und was er vorhat. Schließlich ist er der Mann, der durch das Konsulat Washington über die Vorgänge in London informiert.«
Nachdenklich sah er Brown an.
»Tatsächlich, wir müßten Maple auf unsere Seite bringen«, sagte er dann. »Er ist der beste Fachmann in ganz Europa! Man könnte es jedenfalls noch einmal versuchen. Als ich das letztemal mit ihm sprach, schien er sich allerdings nicht bluffen lassen zu wollen.«
»Na, vielleicht ist es jetzt möglich«, meinte Brown lächelnd. »Ich erinnere mich an Leute – es war, als ich für Harragon arbeitete –, die sich weder beim ersten noch beim zweiten Versuch kaufen ließen. Aber wenn man sie richtig angefaßt hatte, fraßen sie einem beim drittenmal aus der Hand.«
Sie machten einen Treffpunkt für eine neue Besprechung miteinander aus und verließen dann Curzon Street. Zuerst ging Brown, fünf Minuten später folgte ihm Helder.
Am Picadilly Circus trafen sie sich wieder. Helder wollte zum Ostend, und Brown begleitete ihn. In der Station der Untergrundbahn lösten sie Fahrkarten und stiegen dann in den Lift, der zu den Bahnsteigen führte. Es befanden sich ungefähr ein Dutzend Menschen in dem Aufzug. Der Fahrstuhlführer schloß die Tür, als plötzlich eine Dame aufschrie.
»Ich bin bestohlen worden!« rief sie hysterisch und zeigte auf ihre offene Handtasche.
Zwei kräftige, gutgekleidete Männer standen neben dem Aufzugführer. Einer von ihnen trat zu der Dame und sprach mit ihr, dann wandte er sich an die anderen Fahrgäste.
»Diese Dame ist bestohlen worden«, sagte er im Amtston. »Ich bin Sergeant Halstead von Scotland Yard. Der Dame fehlen ihr Geldbeutel und ihr Scheckbuch – ich muß die Anwesenden bitten, sich entweder gleich hier durchsuchen zu lassen oder aber mich zur nächsten Polizeiwache zu begleiten.«
Helder war zuerst nur ärgerlich, aber bald mischte sich in seinen Ärger Bestürzung. Die anderen unterzogen sich willig einer raschen Durchsuchung, bis nur noch Helder und Brown übrig waren. »Ich weigere mich ganz entschieden, Sie in meinen Taschen herumkramen zu lassen«, erklärte Helder energisch.
Der Beamte wandte sich achselzuckend an Tiger.
»Rühren Sie mich nicht an!« rief Brown.
»Schön, dann bleibt mir nichts anderes übrig, als Sie festzunehmen.«
Fünf Minuten später befanden sich die beiden in Begleitung der Kriminalbeamten in einem Taxi, das sie zur nächsten Polizeiwache brachte. Unterwegs fluchte und schimpfte Helder fürchterlich.
Die Durchsuchung der anderen Leute in dem Aufzug war nur oberflächlich gewesen, aber diese beiden Männer wurden gründlich vorgenommen. Man prüfte ihre Brieftaschen, und Helder bemerkte mit Schrecken, daß die Fünfzigdollarnoten eingehend betrachtet wurden.
»Es tut mir leid, meine Herren«, sagte der Beamte, als er seine Arbeit getan hatte und ihnen ihre Sachen zurückgab.
Helder äußerte sich sehr unfreundlich über die Fähigkeiten der Londoner Polizei.
»Sie werden noch von mir hören«, sagte er.
»Es ist Ihre eigene Schuld«, erwiderte der Beamte unbeirrt. »Jemand wurde bestohlen, und Sie weigerten sich, eine Durchsuchung vornehmen zu lassen. Was hätten wir denn sonst tun sollen?«
Helder gab keine Antwort. Er ging mit Brown schnell aus dem Büro und eilte die Treppen hinunter. Plötzlich hielt er aber an, denn unten promenierte, eine Zigarre im Mund, Wenthwort Gold auf und ab.
Er grüßte seinen grimmig dreinschauenden Landsmann mit einem unschuldigen Lächeln.
»Hallo, Helder«, sagte er gemütlich, »ich bin anscheinend zu spät gekommen. Man telefonierte mir, daß Sie verhaftet seien, und ich kam hierher, um die Sache richtigzustellen.«
»So!« knurrte Helder. »Ich habe die Angelegenheit schon ohne Ihre Hilfe richtiggestellt. Es wird Sie vielleicht interessieren, daß man bei mir nichts fand.«
Gold zog die Augenbrauen in die Höhe.
»Was sollte man denn finden?« fragte er kühl.
Helder sagte nichts. Er drehte sich um und ging rasch mit seinem Begleiter fort.
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