Lawlers augenblicklicher Nachteil war, dass er sich verliebt hatte, und was noch schlimmer war, dass diese Liebe sich zu einer fixen Idee auswuchs. Zu einer Art winselnden Besessenheit, also einer Art von adoratio , mit der Claudia spielend fertig wurde.
Sie hätte dem armen Lawler mit seinen traurigen Hundeaugen spöttisch grinsend die Tür vor der Nase zuschlagen können. Aber irgendwie schien sie sich was aus ihm zu machen. Es waren nicht bloß seine Schecks — es war trotz seiner Schecks. Obwohl sie sich weder zu einer leidenschaftlichen Nacht noch zu einer sonnenbeschienenen Carezza auf seiner Yacht hatte hinreißen lassen, schienen sie ganz gut miteinander klarzukommen. Er verlangte nichts von ihr und würde, so glaubte sie, trotz seiner Schwäche für sie nie auf die Schnapsidee verfallen, sein Familienleben aufs Spiel zu setzen — er hatte nämlich Frau und Kinder.
Zwei Fragen brannten Lawler während des Essens auf der Seele: Erstens, wie stehen die Chancen, dass Newsreel ’84 ein finanzieller Erfolg wird, und zweitens, wann sie sich einmal ungestört treffen könnten.
Es war zwar gefährlich, ein paar Minuten vor der Premiere von der Möglichkeit eines Riesenreinfalls zu sprechen, ganz besonders, wenn man einen misstrauischen Financier vor sich hatte, aber genau das tat Claudia. Sie setzte jetzt alles auf eine Karte und hoffte inständig, dass seine Gefühle für sie, gekoppelt mit ihrer Überredungskunst, seine Fantasie beflügeln würde. Sie schilderte ihm den strahlenden Erfolg, den eine Produktion mit ihr und Paolo haben müsste. »Mit wem?« hakte er nach. Sie tat ihr Bestes, um Paolos außergewöhnliches Talent zu beschreiben. Sie sprach von der Kraft in seinen Beinen, aber das hatte in etwa dieselbe Wirkung, als wenn sie in einer alten Groucho-Marx-Fernsehshow auf das richtige Codewort gekommen wäre. Genauso hektisch fuchtelte Lawler jetzt mit seinen Händen vor ihrer Nase herum, denn das war das einzige Mittel, sie über dem Tisch zu behalten.
»Er ist der beste Tänzer, mit dem ich je gearbeitet habe«, schloss sie ihren langen Monolog von Lobeshymnen. Und fragte plötzlich: »Haben Sie vielleicht schon mal vom Celestial Freakbeam Orchestra gehört?« Hatte er nicht, aber er versuchte mit einer vagen Kopfbewegung — selbstverständlich! — anzudeuten; glaubte sie etwa, er lebte hinterm Mond?
Sie redete in einem fort. »Sie haben ein wundervolles, äh, Moralstück geschrieben und uns angeboten. Sie nennen es Ghost Dance . Es wäre einfach himmlisch! Die Bühne ist ganz mit Gaze verkleidet und sieht aus wie ein Pilz. Und dann erscheinen die Schatten von Hiroshima und Nagasaki ...«
Lawler zuckte zusammen und fiel ihr ins Wort, um endlich das Thema zu wechseln. Seine Vorfahren hatten ihre Millionen im Lebertrangeschäft gemacht und ihn darauf trainiert, niemals sein Ziel aus den Augen zu verlieren. Die reinste Bazookarakete! Er versuchte, das Gespräch auf seine beiden Hauptanliegen zurückzubringen: den finanziellen Erfolg von Newsreel ’84 und eine Verabredung mit Claudia.
Sie spielte mit. »Ich bin sicher, dass Newsreel ’84 überaus erfolgreich sein kann. Aber es sieht ganz so aus, als wäre es seiner Zeit zu weit voraus. Die Kritiker sind sowieso viel zu beschränkt, um das zu kapieren. Und dann hat es ’ne ganze Menge von diesen langweiligen Chorpartien ... Natürlich steht bis jetzt noch gar nichts fest, und die Vorschauen sind ja nicht schlecht angekommen. Aber wenn es durchfällt ...«
Ron zuckte schon wieder zusammen. Aber Claudia scherte sich nicht die Bohne um solche Reaktionen und blieb ungerührt. Sie ließ ihr überzeugendstes Gerede vom Stapel, brachte den aufregendsten Augenaufschlag zustande und zeigte sich von ihrer sanftesten Seite. Sie ging sogar so weit, ihn mit einer sanften Berührung ihres Knies unter dem Tisch völlig aus der Fassung zu bringen.
»Wenn es durchhält, fange ich jedenfalls sofort mit der Produktion von Ghost Dance an. Die Kosten werden enorm schrumpfen, weil Paolo und ich die einzigen Darsteller sind. Der größte Kostenfaktor wird wahrscheinlich das Celestial Freakbeam Orchestra sein. Das sind mindestens fünfzehn Mann, und manche müssten wahrscheinlich ihre anderen Jobs für die Dauer der Produktion sausen lassen. Erinnern Sie sich an sie, wir haben sie doch neulich bei diesem Dichterbenefiz in der Total Assault Cantina gesehen.«
Lawler nickte, klar erinnerte er sich.
»Und deshalb zähle ich auf Sie, Ron« — sie griff nach seiner Hand. »Außerdem sollten wir das Ganze vielleicht auch filmen, wenn es finanziell möglich ist. Das böte den Geldgebern wieder eine zusätzliche Einnahmequelle ...«
Ron versuchte wirklich hart zu bleiben und sich nicht festzulegen, aber vergeblich: plötzlich ertappte er sich dabei, wie er wieder mit beiden Händen in der Luft herumfuchtelte und dabei zustimmend mit dem Kopf nickte. Doch dann wandte er seine ganze Aufmerksamkeit Frage Nummer Zwei zu: »Sie scheinen wirklich nie Zeit für andere Dinge zu haben. Warum fliegen wir nicht zusammen irgendwohin ... wohin Sie wollen, jedes Wochenende, das Ihnen passt. Oder«, babbelte er weiter, »wir fahren mit dem Boot raus. Ich hab es unten in Florida liegen.«
Ja, sie schien wirklich nicht abgeneigt, er erkannte es an ihrem Lächeln! Der Börsenspekulant fühlte sich schon fast am Ziel seiner Träume. Kurz bevor sie aufbrachen, küsste sie ihn sogar! »Wir werden schon eine Gelegenheit finden, großes Ehrenwort! Vielleicht können wir sogar ein paar Wochenenden miteinander verbringen ... aber das hängt natürlich davon ab, wie lange Newsreel läuft.«

Arthur Mynah, seines Zeichens stellvertretender Staatsanwalt und früherer Klassenkamerad von John Mitchell, wartete derweil geduldig im Foyer des Theaters und rülpste nur ab und zu nervös vor sich hin. Mr. Mynahs Anzug spannte sich um seinen Bauch und hatte im Lauf der Zeit den schmierigen Farbton von verschimmelter Erbsensuppe angenommen. Seinen schwabbeligen Fettwanst verdankte er seinen täglichen Visiten in den rauchgeschwängerten Frittenbuden rings um das Verwaltungsgericht. Er war ein ideales Testobjekt für die Hemden der Arrow- Hemdenfabrikanten. Der stellvertretende Staatsanwalt versuchte gerade, sein Jackett zuzuknöpfen, eine krunkelige Missgeburt aus lauter Falten, deren Anblick ihn eigentlich schnellstens zu seinem Schneider auf der Delancey Street hätte jagen sollen. Aber das ging nicht, die fünf Jahre waren noch nicht um, und so war es noch zu früh, sich einen neuen Anzug zu leisten. Mynah hatte den Auftrag, sich auf mögliche Anklagepunkte vorzubereiten, die aus Newsreel ’84 erwachsen könnten. Da stand als Erstes die unverschämte Verspottung seiner Gnaden des Oberbürgermeisters. Außerdem konnte man diese Burschen mit ihrem verbrecherischen lasziven ( laschiven sagte Mynah) Verhalten in dem wollüstigen Tanz der weißen Nonne Claudia mit dem farbigen Priester zu Fall bringen. Das Gerücht von diesem Tanz hatte außer Mynah noch ganze Meuten von Staatsanwälten auf den Plan gebracht, die alle scharf darauf waren, mal aus nächster Nähe mitzuerleben, was da eigentlich abging. Und dann war ja da noch die Sache mit den angesteckten Flaggen. Sie gehörten zu einer Szene, in der die sich bekämpfenden Sekten in öffentlichen Zeremonien gegenseitig ihre Flaggen verbrannten. Bei denen auf der Bühne schien es sich doch tatsächlich um die der größten Weltmächte zu handeln, einschließlich England, Frankreich, der UdSSR und der USA. Eine russische Flagge verbrennen war eine Heldentat. Aber wehe, einer legte die Finger an eine amerikanische Fahne — dann war die Kacke am Dampfen.
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