Ed Sanders
THE FAMILY
Die Geschichte von Charles Manson
und seiner Strand-Buggy-Bande
Deutsch von Edwin Ortmann,
Hella Knappertsbusch & Dirk Otten
Mit einem Nachwort von Frank Göhre
FUEGO
Über dieses Buch
Charles Manson und seine Family brachten es im Herbst 1969 fast über Nacht zu schrecklicher Berühmtheit. Mitglieder der Gruppe hatten die Schauspielerin Sharon Tate, hochschwangere Ehefrau des Regisseurs Roman Polanski und weitere Freunde aus dem Hollywood-Jetset in der Polanski-Villa am Cielo Drive auf bestialische Weise ermordet. Nach Mansons Verhaftung ging das Foto des irren Mörders »mit dem glasigen Blick« um die ganze Welt.
Doch die Anfänge der Family liegen in der Hippie- und Flower-Power-Bewegung des Jahres 1967. In diesem Sommer bevölkerten Aberhunderte von Jugendlichen San Francisco, auf der Suche nach einem neuen, freieren Leben. Freie Liebe, freier Sex – das suchten auch die Mädchen, die sich um Manson scharten. Der eben aus dem Gefängnis Entlassene hatte bald einen ganzen Harem von Anhängerinnen, die ihn als Guru verehrten. Nach und nach mischten sich Elemente satanischer Kulte in die Liebesorgien, bis schließlich Mansons Jünger als scheinbar willenlose Werkzeuge die Apokalypse-Visionen ihres Meisters in einen Blutrausch verwandelten.
Der Autor Ed Sanders hat in akribischen Recherchen über Jahre alles verfügbare Material zusammengetragen, Verhörprotokolle und Prozessakten gewälzt, mit Zeugen und Family -Mitgliedern gesprochen und versucht, das Rätsel zu ergründen. In diesem Buch erzählt er die Geschichte der Family – von Charlie Mansons Jugend über die bunten Eskapaden bis hin zu den mörderischen Gewaltorgien. Für die vorliegende Neuausgabe hat Sanders die spannende »Nachgeschichte« des Falles aufgespürt: die Reaktion der Family auf die Verurteilung Mansons, seine ungebrochene Macht, die auch aus dem Gefängnis heraus noch wirksam ist, das versuchte Attentat auf Präsident Ford und viele andere irritierende Begebenheiten.
Schon bei seinem ersten Erscheinen Anfang der Siebziger wurde dieses Buch zu einem Klassiker. Auch heute, in der erweiterten Neuausgabe, hat es nichts von seiner Faszination eingebüßt.
Meinem Freund Paul Fitzgerald
und zum Gedächtnis
an Phil Ochs,
der diese Zeiten kannte,
sie zu gut kannte.
Einleitung zur überarbeiteten und erweiterten Neuausgabe
Keine Akte ist jemals vollständig; kein Fall wird jemals wirklich abgeschlossen, auch nach hundert Jahren nicht, wenn alle Beteiligten tot sind.
Graham Greene, Der dritte Mann
Kurze Zeit nach der Erstveröffentlichung von The Family saß ich auf einen Drink im Lion's Head, einer von Schriftstellern und Journalisten gern besuchten Bar in der Christopher Street im New Yorker Stadtteil The Village. Mein Freund, der Dichter Joel Oppenheimer machte mich mit einem Detective des NYPD bekannt, dem mein Buch gefallen hatte. »Da gibt’s ohne Frage eine Menge loser Enden,« sagte er, während wir uns zur Begrüßung die Hand reichten. Würde ich heute, zweiunddreißig Jahre später, mit demselben Mann sprechen, wäre dieser Satz immer noch zutreffend.
Noch Jahre nach Erscheinen der Erstausgabe war ich – vor allem durch die ausgezeichnete Zusammenarbeit mit dem Privatermittler Larry Larsen – stets in Fühlung mit verschiedenen Polizei- und Ermittlungsbehörden geblieben, die sich in jenen Jahren mit verschiedenen Sekten und mindestens einem satanistischen Kult und ihren Verbindungen zum Manson-Fall befassten.
Der Manson-Fall hatte alles: Er zerriss die Schleier Hollywoods gerade weit genug, um das Interesse der Nation und der ganzen Welt hervorzukitzeln. Er hatte Rock 'n' Roll, er hatte den Reiz des Wilden Westens, er beinhaltete die Kernthemen der Sechziger Jahre mit ihrer sexueller Befreiung, ihrer Liebe des naturhaften Lebens, ihrer Wildheit und ihrer psychedelischen Drogen. Er beinhaltete den Hunger nach Ruhm und Erneuerung; Religionen aller Art kamen vor, Kleinkriege und hausgemachte Gemetzel, alles zusammengekocht in einer großen Story voller Sex, Drogen und gewalttätiger Verfehlungen.
Je mehr ich mich in den Fall hineinarbeitete, desto mehr verunsicherte mich das, was diese Leute und die Gruppierungen in ihrem Umfeld getan hatten und weiterhin tun. Vieles, was ich bei der Recherche über dieses Buch erfuhr, erfüllte mich mit Abscheu. Mir war klar, dass ich mich in den Jahren, die ich in der Gegenkultur verbracht habe, oft unvollkommen verhalten habe und mich zum Teil sehr weit von der Jüdisch-Christlichen Tradition entfernt hatte, in der ich großgezogen worden war. Was ich aber hier kennenlernte, schien das Böse selbst zu sein und man muss kein perfekter Mensch sein, um Abscheu gegenüber jenen zu empfinden, die in voller Absicht Böses tun.
Die erste Ausgabe dieses Buchs erzählte die Geschichte der Family von ihren Anfängen 1967, nachdem Manson aus dem Bundesgefängnis entlassen worden war, und endete mit den Verhaftungen wegen der Tate-LaBianca-Morde im Dezember 1969. Die Neuausgabe von 1989 ist um einen ausführlichen Teil erweitert worden, der die Mordprozesse der Jahre 1970 und 1971 beschreibt und den Fall über zwei seltsame und turbulente Jahrzehnte weiterverfolgt. In diesen Zeitraum fällt auch Squeaky Frommes Attentatsversuch auf Präsident Ford.
Für die nun vorliegende Ausgabe konnte ich viele Details nachtragen, die sich in der Zwischenzeit ergeben haben und erzählen, was in den vergangenen Jahrzehnten aus einigen Schlüsselfiguren dieses dramatischen Krimis geworden ist.
Obwohl sich mein Schreibstil geändert hat, habe ich mich entschieden, nur wenige Eingriffe in den nervösen, faktenüberladenen Ton der Ausgabe von 1972 vorzunehmen. Was mich bewogen hat, die Chronologie mit Informationen vollzupacken, war mein starkes Gefühl, die ganze Geschichte dieser Morde sei noch nicht ans Licht gekommen – noch andere Mörder würden frei herumlaufen, die der Gerechtigkeit bisher entgangen waren. Ich wollte bei den Ermittlungen helfen und hoffte, dass neue Informationen ans Licht kämen und das Geheimnis teilweise gelöst werden würde.
Und obwohl in dieser Ausgabe viele Enthüllungen vorgestellt werden, bleibt das Mysterium nach wie vor bestehen, hat das Bild immer noch weiße Flecken, wird man die Akten vielleicht niemals ganz schließen können. Ich bin nach Los Angeles zurückgekehrt und habe für diese Neuausgabe viele Leute befragt, die mit dem Fall direkt zu tun hatten, so auch die damaligen Ankläger Vince Bugliosi, Stephen Kay und Aaron Stovitz. Ich sprach mit Polizeibeamten und anderen, die mit den Untersuchungen zur Family befasst waren. Ich fuhr noch einmal nach Goler-Wash, dreihundert Meilen nordwestlich von Los Angeles, wo die meisten Mitglieder der Manson Family ein endgültiges Rendezvous mit Handschellen hatten. Ich habe die Verteidiger interviewt, mit Manson korrespondiert und einen Nachmittag mit Sharon Tates Mutter, Doris Tate, verbracht, die eine treibende Kraft der Opferrechtsbewegung geworden ist. Während der Überarbeitung bin ich erneut von meinem Freund, dem großartigen Privatdetektiv Larry Larsen, unterstützt worden, der mir schon bei der Erstausgabe geholfen hatte, Informationen zusammenzutragen.
Oft fragte ich mich, warum ich mich vor Jahrzehnten mit einem Fall beschäftigte, der mehr lose Fäden hatte als ein Fransenteppich. Ich denke, ich habe mich darauf eingelassen, weil ich davon überzeugt bin, dass diese Gruppe mitgeholfen hatte, den Traum der Sechziger Jahre zu zerstören. In dieser Zeit war ich viel unterwegs als Dichter, Musiker und politischer Aktivist. Meine Band, The Fugs, trat regelmäßig in Kalifornien auf. In jenem Frühling, als wir draußen im Golden Gate Park für die Blumenkinder spielten, schlich Manson in Haight-Ashbury herum. Überall in Amerika gingen wir zu Love-ins und Friedensdemonstrationen und waren damit beschäftigt, eine ganze Generation aufzurütteln. Wir wollten dauerhafte Veränderungen. In diesen Jahren fuhr ich in einer Reihe psychedelischer Busse durch die Gegend und hatte Freunde, die in Kommunen lebten. Niemand hatte je Charles Manson erwähnt.
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