Der ehemalige Leiter des Deutschen Filmmuseums, Walter Schobert, hat mir mal erzählt, daß Michael Jackson, dessen Whiskeybibeln Schobert ins Deutsche übersetzt, unterdessen eine Garde von Assistenten brauche, um sein Pensum hinterher zerebral noch »auseinanderklappermüsentieren« (Michael Schumacher) zu können. Im mit opulenter Food-Photographie protzenden Band Bier , der durch die Berücksichtigung zahlreicher zum Wohle des Biertrinkers vergossener neuamerikanischer Micro-Brewery-Erzeugnisse durchaus überzeugt, liest man dann etwa in der hochmodischen Rubrik »Bier als Digestif« zum Irseer Abt’s Bier inklusive Ostapostroph zustimmend: »Der Abt dürfte von diesem sehr starken Lagerbier ordentlich betrunken worden sein.« Doch in welcher Verfassung war Michael Jackson, als er den »Zweck des Bieres« bestritt, »im Berauschen zu liegen«?
Jackson, der »mit dem Trinken in der Schule begann« (The Times) , ließ sich von Verlagsseite mal attestieren: »Es ist Donnerstagmorgen, halb zehn, und Michael Jackson trinkt wieder. ›Das erste Bier am Tag schmeckt immer phantastisch.‹« Andernorts versicherte er, »er habe auf einer einzigen fünfwöchigen Reise durch die USA 500 Biere probiert« (The Wall Street Journal) . In Bier , das uns sprachliche Pretiosen einschenkt wie einen Abgang »mit sackleinener Trockenheit« und eine Geschmacksnote à la »geklumpte Sahne«, mahnt der Meister hinsichtlich einer ernsthaften Degustation: »Schon fünf oder sechs Biere können den Gaumen überfordern, und zehn, zwölf sind sicher mehr als genug.« Was sagt man dazu?
Was übrigens wirklich ein Mythos ist und deshalb endlich zügig ins Reich der Lüge verdammt gehört: daß Bier dick macht. Einen Bierbauch, das haben in derlei Fragen unbestechliche, abgeklärte finnische Wissenschaftler vor Jahren derart unwiderlegbar unter Beweis gestellt, daß es sogar die Bild -Zeitung meldete, einen Bierbauch gibt es nicht. Es gibt einen Pizza- oder Schweinshaxen- oder Leberwurstbauch, der mitunter aus der appetitanregenden Zufuhr von Bier erwächst.
Und genausowenig gibt es einen Grund dafür, ein Pils unverdrossen sieben Minuten lang zu zapfen. In eineinhalb Minuten ist es nämlich fertig, wohlgeraten in holdester Frische.
Wir hätten das gern in Bier gelesen. So wird es mit der Aufklärung aber wieder nichts.
Wenn Michael Jackson der »Bierpapst« ist – welcher Titel aber presseoffiziell ebenfalls dem Kollegen Michael Rudolf sowie meiner Wenigkeit verliehen wurde –, dann darf man Conrad Seidl, den seit Jahren von Österreich aus etwa über Hopfen und Malz (Wien 1995) und Unser Bier (Wien 1996) skribierenden Standard -Journalisten, eventuell zum Bierkardinal küren, also zum erlauchten Assistenten des apostolischen Bierstuhlinhabers.
Allein, Seidl, dessen Nachname sich mitnichten der Anleihe bei einer bayerischen Bierglasgröße verdankt, strebt offenbar ein Schisma an. Er betreibt die Website www.bierpapst.cc, und in der überarbeiteten Neuausgabe seines dreihundert Seiten starken Bier-Katechismus (Wien 2005) legt er unumwunden fest: »›Bierpapst‹ ist auch eine geschützte Marke – es darf keine anderen Bierpäpste neben Conrad Seidl geben.« Doch völlig neben der Kappe ist auch Conrad Seidl, seines unheiligen Zeichens Experte für »personal branding« ( www.bierpapst.cc) und Autor des »Buches« Die Marke ICH , nicht immer, weshalb er zwei »andere Bier-Gurus und Bier-Jäger« toleriert, u. a. Herrn Jackson.
Fachlich, das sei zudem ohne Umschweife konzediert, können Seidl wenige das Bier reichen. Sein Bier-Katechismus handelt in 591 Texthappen souverän vielerlei gängige und im Volksbewußtsein dennoch nach wie vor nicht hinreichend präsente Fragen biergeschichtlicher und -typologischer, ökonomischer, brautechnischer und trinkpragmatischer Art ab, so daß sich das Vademekum den Untertitel Was Sie schon immer über Bier wissen wollten redlich verdient hat.
Daß in den USA daran gearbeitet wird, aus Rückständen, die bei der Bierproduktion anfallen, Papier herzustellen, wußten noch nicht mal wir. Und daß »unter den bedeutenden Biermarken der Welt« mittlerweile »keine einzige deutsche« mehr ist, muß keineswegs ausschließlich am grassierenden Raubrittertum der globalen Biermultis liegen, sondern könnte gleichfalls der vielbeschworenen Qualität hiesiger Premiumbräus geschuldet sein.
»Qualität«, stellt Seidl im Kapitel »Bierqualität kritisch hinterfragt« klar, bedeute »zunächst eigentlich nur ›Beschaffenheit‹«. Um einen nahezu Hegelschen Satz von Uli Stielike, dem ehemaligen Brauknecht des Ex-Fußballnationaltrainers Erich Ribbeck, geringfügig zu variieren: »Das Problem des deutschen Biers ist der Mangel an Quantität der Qualität.«
Die schönste Ausführung in Seidls lebensertüchtigendem Lehrbuch entnehmen wir derweil der Abteilung »Zum Wohle!«: »Wenn man das erstemal in einer Runde das Glas oder den Bierkrug hebt, so winkelt man den rechten Arm so an, daß der Oberarm in Schulterhöhe waagrecht gehalten wird und der Unterarm das Trinkgefäß etwa vor dem zweiten Hemdknopf hält. Nun wartet man, bis alle ihr Glas gehoben haben, dann wird, wenn die Runde nicht zu groß dafür ist, gemeinsam angestoßen und gleichzeitig [sic!] zum Trinken angesetzt. Nach dem Trinken wird das Biergefäß wieder in Höhe des zweiten Hemdknopfes vor der Brust gehalten und gewartet, bis alle mit dem ersten Schluck fertig sind. Erst dann darf das Glas oder der Krug abgestellt werden.«
Auswendig lernen und beim nächsten Kneipenbesuch ausdruckstänzerisch umsetzen, Linkshänder und Pulloverträger inklusive!
Selbst mich, der ich mich in den Geisteswissenschaften recht ordentlich umgesehen habe (und weiterhin umsehe), kann man noch überraschen. Denn daß die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) ein »Forschungsprojekt zur Terminologie der Weincharakterisierung« fördert – und das wohl seit Jahren oder gar Jahrzehnten –, damit hatte ich nicht gerechnet.
Ist aber so, ist wahr. Was ich, es sei mir gestattet, mit einem tiefen Schluck aus einer kalten Flasche Jever quittieren muß. Und noch einem. – So, jetzt glaube ich es wirklich.
Laut dem Literaturverzeichnis in Hans Peter Althaus’ Kleinem Wörterbuch der Weinsprache (München 2006) hat der Trierer Germanist bereits 1973 erste Überlegungen »zur Strukturierung einer Terminologie der Weinsprache« präsentiert. In der Folge »wurden die weinsprachlichen Beschreibungen von knapp zehntausend Weinen untersucht, die auf Weinpreislisten deutscher Weingüter und Kellereien sowie auf Weinkarten der Gastronomie geführt worden sind«, und nachdem Althaus und seine Mitarbeiter das Material sortiert und kategorisiert haben, liegen nun Begriffserklärungen zu »mehr als tausend deutschen Weinwörtern« vor, »sprachwissenschaftlich überprüft und verständlich dargeboten«.
Althaus will Ungereimtheiten und Polyvalenzen, die aus der Vermischung der Sphären der Alltags- und der Fachsprache resultieren, beseitigen und einen einigermaßen verbindlichen Korpus präziser vinologischer Termini unterbreiten, einen »Kern- und Aufbauwortschatz der Weinsprache«, aus dem historische Irrtümer und mäandernde Bildlichkeiten getilgt sind. Sein Plädoyer für einen exakten, konzisen Stil und eine entschieden deskriptive Haltung, die sich den cartesianischen Idealen der Klarheit und Distinktheit verpflichtet, geht einerseits mit der Ablehnung des geläufigen Weinkennerjargons und des damit verbundenen Standesdünkels einher, andererseits mit der Zurückweisung allzu ungestümer Poetereien.
Das leuchtet nur bedingt ein, hat sich doch etwa der gargantueske Weinverschlinger (und Bierumdrescher) E. T. A. Hoffmann als gewaltiger Ausdruckserneuerer und Wortverwirbler erwiesen, der »auserlesenen« und »vortrefflichen« Wein ebenso zu belobhudeln verstand, wie er einen »Würzwein« als »Absud von höllischen Kräutern« verdammte. Dem unergründlichen Saufaus einen bisweilen sachunangemessenen Gebrauch von Weinwörtern zur Last zu legen, das mutet schon ein wenig kauzig-penibel an, zumal weil, einer Einsicht Nietzsches gemäß, die menschliche Sprache aus nichts anderem als einem »beweglichen Heer von Metaphern« besteht und somit bloß scheinbar exakt die Eigenschaften der Dinge (und unsere Vorstellungen und Eindrücke) wiedergibt.
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