Meine Arbeit wurde hier gelobt, dort verleumdet; denn wer in der Öffentlichkeit steht, kann nun einmal nicht jeder Meinung nachgeben, jede Leidenschaft besänftigen, jedermanns Interesse fesseln. Er darf nur seinem Gewissen folgen und muß sich selbst genug sein. So habe ich es gehalten und hin dabei wohl gefahren!
Einige Monate vor der Eröffnung der Generalstaaten hatte die Akademie von Arras mich zu ihrem Präsidenten erwählt: ich würde dieser nichtigen Ehrenbezeigung nicht erwähnen, wenn sie mir nicht die Achtung bewiesen hätte, welche, trotz den widersprechenden Gerüchten, an deren Verbreitung man seither ein Vergnügen gefunden, trotz den Verleumdungen, mit denen man mich verfolgt hat, die ausgezeichnetsten und aufgeklärtesten Männer der Provinz für mich fühlten. Gewiß gab es unter ihnen mehr als einen, der mich nicht für seinen politischen Freund halten konnte, der, infolge meines Charakters, der mich nichts, was ich der Wohlfahrt des Vaterlandes ersprießlich hielt, zurückhalten ließ, sich sogar über mich beschweren zu können glaubte, und doch erhielt ich bei der freien Wahl für die Besetzung einer friedlichen Ehrenstelle unserer Akademie die Mehrheit der Stimmen.
Ich widmete damals den Wissenschaften nur sehr wenige Zeit und beschäftigte mich, einige kleine Gelegenheitsgedichte ausgenommen, die ich weil es die Mode verlangte, von Zeit zu Zeit meinen Freunden mitteilte, nur mit den großen Interessen, welche alle Gemüter in Bewegung setzten. — Das Gericht gab mir noch einen Prozeß in die Hand, welcher dem glücklichen Erfolge, der mir in diesem Fache zuteil geworden war, das Siegel aufdrücken und die allgemeine Aufmerksamkeit auf mich richten sollte. Ich muß diesen Handel näher beschreiben, da das Aufsehen, welches er in der ganzen Provinz erregte, mehr als mein früheres Leben dazu beitrug, meine Wahl zum Abgeordneten zu befördern. Die Sache war folgende: Ein Einwohner von Ilesdin, namens Dupont, war das Opfer der schmählichsten Beraubung geworden; Bruder, Schwager, Verwandte, Freunde, kleine Dorfrichter und große Herren, alles schien sich vereinigt zu haben, dem Unglücklichen Freiheit und Vermögen zu entziehen. Nach einer Abwesenheit von 26 Jahren wollte er bei seiner Rückkehr sich wieder in den Besitz seiner Güter setzen. Seine gerechten Anforderungen wurden zuerst mit Stillschweigen, Ausflüchten, endlich mit einer Eingabe um seine bürgerliche Totsprechung aufgenommen; aber da die Verwandten vor der heilsamen Langsamkeit, welche die Gesetze in die Einleitung eines solchen Prozesses legen, mehr aber noch vor der Unzulänglichkeit ihrer Hilfsmittel erschraken, so hielten sie es für zweckmäßiger, um eine Lettre de cachet 46) gegen den unglücklichen Ankömmling einzukommen. Von einem Gönner gelangten sie zu einem andern und endlich zum Minister, der, wie gewöhnlich, lieber den zudringlichen vornehmen Leuten in seiner Nähe glaubte, als daß er sich nach den wahren Verhältnissen der Verfolgten erkundigt hätte. Eine Lettre de cachet wurde gegen Dupont geschleudert, er selbst in eine Bastille der Provinz, in Armantires, gesperrt, in der er zwölf Jahre lang geschmachtet hat; durch ein Wunder war er dieser abscheulichen Höhle entkommen und flehte schon seit zehn Jahren vergebens um Gerechtigkeit. Darauf wendete er sich an mich. Ich sah in dieser Reihe von Unbilligkeiten, mit denen man ihn erdrückt hatte, nicht eine Sache, für die gewöhnliche Schadloshaltungen genügen würden. Ich behauptete, daß die ganze bürgerliche Gesellschaft gekränkt sei, und daß sie eine in die Augen fallende Rache begehre. Nachdem ich daher die Gerechtigkeit der Ansprüche meines Klienten, die unendlichen Beschwerden und Leiden auseinandergesetzt hatte, die er ertragen mußte, damit während der Zeit seine gierigen Verwandten ruhig in ihrem Raube schwelgen könnten, ging ich zur allgemeinen Untersuchung der Lettres de cachets über. Es war ein an wichtigen Folgerungen und Betrachtungen fruchtbarer Gegenstand. Ich bewies leicht, daß alles, was man zugunsten dieser schmachvollen Erfindung des Despotismus angeführt habe, nichts als elende Spitzfindigkeiten wären; ich ging weiter, ich begnügte mich nicht damit, das Ungesetzliche, Verbrecherische der Staatsgefängnisse festzustellen, ich zeigte, daß die königliche Macht selbst davon keinen Gewinn zöge, und daß sie nur für deren untergeordnete Geschäftsführer von Nutzen waren, die stets mit größerm Eifer als ihr Herr selbst durch kleinliche Rache oder auf gräßlichere Art ihre niedrigen Leidenschaften, ihre Begierden, ihre Ausschweifungen zu befriedigen suchten.
Von diesem besonderen Satze ging ich zu einem noch allgemeineren über. Die Abschaffung jener geheimen Verhaftsbefehle, die bei der nunmehrigen Gestaltung der Dinge nahe bevorstand, sollte nicht die einzige Wohltat der Verwaltung sein, welche jetzt vorbereitet wurde; das ganze alte Gebäude der Mißbräuche sollte zusammenstürzen, um einem jungem, großartigeren Denkmale Platz zu machen. Ich hielt mich also nicht an den besondern Angriff, in den der Rahmen meiner Sache mich einzuspannen schien; freimütig behandelte ich die großen politischen Fragen und stellte in der heftigen Schlußrede ein Gemälde von dem künftigen Glücke Frankreichs auf, wenn es von nun an nach weisen, volkstümlichen Gesetzen regiert würde; ich stellte es über alle andern Staaten Europas, mit denen ich es einzeln verglich, und bezeichnete die Zusammenberufung der Volksdeputierten als die Morgenröte eines neuen Tages.
Ich ließ mich von meinem Gegenstande hinreißen und zollte, mit dem aufrichtigen Wunsche, daß das Oberhaupt des Staates sich ernstlich an das Werk unserer Wiedergeburt anschlösse, auch ihm sein Lob, das eher eine Lehre war, da ich weniger von der Vergangenheit als von den Pflichten sprach, die Frankreichs Zukunft ihm auferlege. Ich hielt, um einer Sitte der frühern Regierung nachzukommen, ihm die Namen seiner Ahnen vor, die noch einige Spuren in dem Andenken des Volkes zurückgelassen hatten; ich bat ihn, das Werk Karls des Großen und Heinrichs IV. zu betrachten und das Glück und die Freiheit Frankreichs zu verwirklichen. Allen, die sich durch Bewährung ihrer Unabhängigkeit oder Liebe zur Freiheit der Erkenntlichkeit des Volkes würdig gemacht hatten, spendete ich den Dank, den ihre Kühnheit verdiente, und ermutigte sie, in der gefährlichen Bahn, die sie eingeschlagen hatten, zu beharren. So wurden; Monsieur, der Bruder des Königs, der Minister Necker, Desprémenil höchlich gepriesen. Seit der Zeit glaubte ich, daß in meiner Meinung einige Übereinstimmung mit den Wünschen des Volkes liege, und daß ich sein natürlichster Wortführer sei.
Die Männer, die ich soeben erwähnt, haben seitdem das Vertrauen, das die Nation in sie gesetzt hatte, zuschanden gemacht; aber man mußte ihnen zu jener Zeit das Beispiel, welches sie gaben, anrechnen und ihren kühneren Nachahmern, denen man mit der Hoffnung auf die Belohnungen des Volkes schmeichelte, Kraft und Geduld einflößen.
Ich habe mich bei diesem Werke aufgehalten, weil es Epoche in meinem Leben gemacht hat und mir noch eine der süßesten Erinnerungen ist; es bezeichnet den Punkt, an dem meine beiden Laufbahnen zusammenlaufen; ich hänge daran, weil es meine letzte gerichtliche Arbeit und die beste unter meinen früheren politischen Versuchen ist.
Ich habe noch mehr Ursachen, mich dessen mit Vergnügen zu erinnern. Sein Erscheinen in Arras fiel auf wie ein großes Ereignis. Niemals hatte man vor den Gerichtsschranken so frei sprechen hören. Niemals hatte man bei einem besonderen Falle eine solche Masse von wichtigen Allgemeinheiten berührt. Das Publikum war anfangs betroffen, später über meinen Mut entzückt; denn die Mißbräuche, welche ich angriff, waren so schreiend, die Sache, die zu meinem Ausfall Gelegenheit gegeben, von so überzeugender Gerechtigkeit, daß selbst die Zaghaftesten zu meiner Meinung hingerissen wurden. Von allen Seiten sagte man mir Schmeichelhaftes; die selbst, welche meine Klageschrift am meisten aufgebracht hatte, wagten es nicht, mir ihr Mißfallen zu bezeigen.
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