Bei ihm saß der Teufel im Detail. Als ich ihn fragte, ob er einen gemeinsamen Vorleseabend im Roten Salon der Volksbühne nicht wiederholen wollen würde, schrieb er mir von seiner Rückfahrt von Berlin nach Hamburg:
»Dann kam als Höhepunkt der tschechische Speisewagen, wo es 50 g Schinken mit Setzeiern und Gurke gab. Ohne die tschechischen Speisewagen wäre das Wort ›Setzei‹ längst ausgestorben. Es gab kleine Plastikschläuche mit Senf und kečup , ich sagte zur Wirtin: ›Meine Frau ist aus Tschechien; kann ich der die mitnehmen, als kleinen Gruß aus der Heimat?‹ Da hat sie mir einen ganzen Beutel vollgepackt und gefragt: ›Vielleicht winschen noch Brot fir die Frau?‹ Das kann man also jederzeit wieder machen.«
Und so machten wir es dann auch.
Vor Welterklärungen anderer verwahrte er sich, denn eine zusätzliche brauchte er nicht. »Ich bin Kommunist: da ist die mit eingebaut.« Als solcher war er allerdings nicht verbissen, nachtragend oder ideologisch. Höchstens als er mal gefragt wurde, ob er die Grünen im Wahlkampf 2005 unterstützen würde. Er schrieb knapp und lakonisch zurück:
»Lieber hänge ich tot über einem Zaun im Kosovo, als dass ich auch nur eine Sekunde lang die Grünen unterstütze.«
Vielleicht war er ungehalten wegen der Zumutung, dass er als »Promi« funktionalisiert werden sollte, der ein »persönliches Statement« abgeben und einen »kreativen Vorschlag« einbringen sollte, lauter Dinge, die ihm ein Graus waren. Jedenfalls schrieb, wie seine Freundin und Herausgeberin seiner Briefe Anna Mikula bemerkt hat, »Harry Rowohlt unbekümmert um die öffentliche Meinung, radikal in Zu- und Abneigung, in klassischer Weise démodé. Es ist der flamboyante Rowohlt-Sound, der eben gerade nicht auf Konsens erpicht ist.«
Und so viele Leute, die sich um Konsens nicht scheren, gibt es ja auch nicht. Kurz nach seinem siebzigesten Geburtstag im April 2015 ist Harry Rowohlt gestorben. Für einen Moment wünscht man sich, es gäbe einen Himmel. Er würde dort einigen Leuten gehörig auf die Nerven gehen und man könnte sich schon mal auf jede Menge Anekdoten freuen.
2015
Der große Bär erzählt
»Pooh's Corner« von Harry Rowohlt
Es ist ein großes Glück für die deutschsprachige Literatur, dass Harry Rowohlt nach einer Pause von ein paar Jahren seine »Pooh's Corner«-Kolumne in der Zeit wieder aufgenommen hat. Wenn nicht sogar für die internationale Literatur. Aber bis sich in Frankreich oder England mal herumgesprochen hat, was denen entgeht, das dauert. Wenn man bedenkt, was alles aus dem Englischen ins Deutsche übersetzt wird, nur weil da mal jemand einen Kurs in Creative Writing besucht hat, ist das eigentlich ein Skandal. Aber so müssen die eben weiter ihre Creative Writers lesen, oder Günter Grass. Und das für Humor halten, weil Günter Grass mal an seiner Pfeife suckelnd behauptet hat, auch er hätte selbstverständlich Humor. Womit er zumindest in diesem Fall sogar mal recht hatte.
Harry Rowohlt hingegen hat zwar keinen Roman geschrieben, sondern »nur« welche übersetzt, aber er hat mit seinen Kolumnen die beiläufige Plauderei zu einer Kunstform gemacht, die einzigartig ist, denn seine »Pooh's Corner« sind funkelnde Kleinode, geschmiedet (falls Kleinode geschmiedet werden) mit scharfem Verstand, grimmigem Humor, mit schrägem Witz und wenn es sein muss auch mit satter Beleidigung.
Rowohlts neuer Kolumnen-Band »Pooh's Corner. Meinungen eines Bären von sehr geringem Verstand. Kolumnen, Gespräche, Aufsätze und Berichte. 1997-2009« ist große Klasse! Denn obwohl ich die Kolumnen selbstverständlich schon in der Zeit gelesen habe, und deshalb, um nicht in dem Papierberg zu ersticken, beim Zeitungshändler wegen des unhandlichen Formats mit Mühe und unter missbilligender Beobachtung im Feuilleton nach »Pooh's Corner« gefahndet habe, ob es sich lohnt, diese Papiermengen nach Hause zu schleppen, wo ich die Kolumne herausgerissen und gelagert habe, um sie bei Bedarf wieder hervorziehen und vorlesen zu können, obwohl die also für mich eigentlich alte Kamellen waren, war die Vorfreude auf das Buch groß und noch größer dann das Lesevergnügen, denn in diesem Fall lese ich gerne noch mal nach, denn man vergisst ja auch mal was.
Zum Beispiel, dass Harry Rowohlt einer von fünf Autoren war, der für den Heinrich-Heine-Preis vorgesehen war, jedenfalls erkundigten sich die Preisvergeber beim Schweizer Verlag Kein & Aber nach seiner Telefonnummer »für falls«. »Andere Leute hätten die Inlandsauskunft angerufen, aber so geht es natürlich auch. Ich stehe dick und fett im Telefonbuch, weil ich Geheimnummern für unterschicht halte, unterschicht mit kleinem u. Mit kleinem u wie Adjektiv.« Harry Rowohlt wurde dann doch nicht gefragt, aber hätte man, dann hätte man erfahren, dass er am Tag der Preisverleihung sowieso nicht gekonnt hätte, weil er da bereits eine Lesung in Halle hatte. Ich weiß ja nicht, wie es Ihnen geht, aber ich mag solche schönen Gemeinheiten, denn die sind viel gemeiner als irgendein hohles, anprangerndes Statement, aus dem man nur erfährt, wie gemein die Welt im allgemeinen und in diesem Fall aber besonders ist.
Am lustigsten finde ich die Kolumne »Freiheit für Mumia Abu-Jamal!« Harry Rowohlt hält eine Rede auf einer Demo in Hamburg für ... aber das sagt ja bereits der Titel der Kolumne. Und jetzt muss ich ein bisschen ausführlicher zitieren, weil der hintergründige Witz so viel deutlicher wird als ich das nacherzählen könnte: »Wir sind etwa neunzig Menschen, und die CIA hat ein kleines Mädchen geschickt, welches jeden einzelnen Redebeitrag mühelos mit seinem Geplärr übertönt.« Dann wird Harry Rowohlt angekündigt, und er sagt,
»vielleicht einen Tick zu subjektiv: ›Am meisten bewundere ich an Mumia Abu-Jamal, dass er jede Woche eine Kolumne raushaut. Ich kann immer nur eine Kolumne schreiben, wenn ich vorher was erlebt habe, und auch dann nur selten. Aber Mumia Abu-Jamal kommt ja so gut wie nie vor die Tür.‹ Rückkopplung, eisige Blicke, Rückkopplung. ›Ich würde empfehlen, ihn eiligst freizusprechen, denn wenn das so weitergeht, wird seine Haftentschädigung unerschwinglich, und wenn er dann freigelassen ist, kann er auf Lesereisen gehen, was erleben und darüber seine Kolumnen schreiben.‹ Eisige Blicke, Rückkopplung, eisige Blicke. ›Wenn er aber beschließen sollte, mit dem Geld von seiner Haftentschädigung einen Zeitungs-und-Tabakwaren-Laden mit Lotto-und-Toto-Annahme aufzumachen, so gönne ich ihm auch das von Herzen.‹ Eisige Rückkopplungen.«
Es gibt noch jede Menge solcher schönen Stellen. Aber ich kann die ja nicht alle zitieren, und deshalb rate ich Ihnen dringend: Besorgen Sie sich das Buch. Eine gute Investition, und gar nicht teuer. Und man hat was fürs Leben, denn in Zeiten von Alzheimer kann man das Buch immer wieder neu lesen. In jedem Fall gehört es in das Regal, in dem die große Weltliteratur steht. Aber nicht bei Grass und Walser.
2009
Wie guter irischer Whiskey
Harry Rowohlts nicht weggeschmissene Briefe Bd. III
Die Briefe von Harry Rowohlt gehören zum Lustigsten, das die literarische Welt in Deutschland zu bieten hat. Zwei Bände sind bereits zu Rowohlts Lebzeiten erschienen, nun ist »Und tschüs. Nicht weggeschmissene Briefe Bd. III« auf den Markt gekommen.
Das Brief-Genre ist eigentlich nicht besonders hoch angesehen. Jedenfalls nicht beim großen Publikum. Und in der Regel ist es ja auch so, dass die nachgelassenen Briefe von Schriftstellern eher das Interesse von Literaturhistorikern bedienen und das leider zu recht, denn häufig verströmen solche Briefbände alles andere als Charme und Witz. Es gibt wenige Autoren, die im Bewusstsein ihres Nachruhms das Schreiben von Briefen – heute sowieso eine ausgestorbene Form der Kommunikation – als eigenständige Kunstform betrachtet haben.
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