Aber nicht nur in England, auch hier an der Universität in Graz, gab es einen frühen christlichen Anwalt der Tiere: den Vierfachdoktor, katholischen Priester und Professor für Spekulative Dogmatik, Johannes Ude. In seinem Werk Du sollst nicht töten! aus dem Jahre 1948 erklärte Ude: „Das Mitleid mit dem Tier und der damit verbundene Tierschutz ist demnach keine bloße Gefühlsduselei, sondern das Zeichen eines edlen Herzens, das an der wahren Liebe ausgerichtet ist, an jener ewigen Vaterliebe, die Gott zu den Tieren hat. […] Wer also aus Mitleid mit dem Tier und aus Ehrfurcht vor dem Leben, also aus sittlichen Gründen – ganz abgesehen von den großen gesundheitlichen und wirtschaftlichen Vorteilen einer richtigen vegetarischen Lebensweise – auf den Fleischgenuss verzichtet, bekundet entschieden eine höhere Auffassung vom Werte des Tierlebens, als [… jene, die] mitschuldig sind, dass Tiere eigens zum Schlachten gezüchtet werden, [die] mitschuldig sind an all den Qualen und Grausamkeiten, die diesen Tieren vor ihrem Tod und im Augenblick des Schlachtens zugefügt werden.“ 4
Das vorliegende Buch will an diese tierfreundlichen christlichen Traditionen anknüpfen und sie in die heutige Zeit übersetzen. Das ist u. a. deshalb möglich geworden, weil ich in meinem tierethischen Forschen und meinem tierrechtlichen Engagement von zahlreichen Menschen lernen durfte. Zwei von ihnen erwähne ich hier: Charlotte Probst, die unermüdliche Grazer Tierschutzlehrerin der ersten Stunde, und Andrew Linzey, der großartige Oxforder Pionier der christlichen Tierethik. Dank für ihre Unterstützung beim Schreiben dieses Buches schulde ich meiner Frau Cordula und meiner Tochter Sophie sowie Herrn Dr. Berthold Weckmann und Frau Dr. Christine Hober vom Verlag Butzon und Bercker.
Gewidmet sei dieses Buch meiner eigenen Familie in Graz und der Familie Linzey in Oxford.
Graz, im Januar 2016
Kurt Remele
I. Was läuft da in der Ethik?
„In den letzten dreißig, vierzig Jahren ist die öffentliche Diskussion darüber, wie wir Tiere behandeln, stark angewachsen, darüber, was wir ihnen schulden, welche Pflichten wir ihnen gegenüber haben, ob Tiere Rechte haben“, diagnostiziert Andrew Linzey, anglikanischer Geistlicher, Direktor des Oxford Centre for Animal Ethics und Wegbereiter der neueren christlichen Tierethik. „Manchmal wird sogar behauptet“, fährt Linzey fort, „dass es in den letzten dreißig Jahren mehr intellektuelle Debatten über Tiere gab als in den dreitausend Jahren zuvor.“ 5Nach Linzey findet gegenwärtig ein Paradigmenwechsel statt, der uns von der traditionellen Auffassung wegführt, Tiere seien Sachen, Mittel zum Zweck und reine Gebrauchsartikel für die Menschen. Es wachse die Überzeugung, als fühlende Wesen hätten Tiere auch ihre eigene Würde, ihren eigenen Wert und ihre eigenen Rechte.
Andrew Linzey ist zuzustimmen: Die Anzahl der Menschen, die keine Tiere oder weder Tiere noch Tierprodukte essen, ist in der sogenannten westlichen Welt in den letzten Jahren kontinuierlich gestiegen. Die Anzahl der Vegetarier und Veganerinnen 6liegt je nach Studie und Land zwischen zwei und neun Prozent der Gesamtbevölkerung. Auch wenn neben tierethischen Gründen ökologische und gesundheitliche Gründe eine wichtige Rolle für eine vegetarische oder vegane Ernährungsweise spielen, so nimmt doch insgesamt der Fleischhunger tendenziell ab, die Sorge um das Wohlergehen der sogenannten „Nutztiere“ zu. 7Es gibt in europäischen und nordamerikanischen Großstädten immer mehr vegetarische und vegane Restaurants und Lebensmittelangebote in Supermärkten. Verlage bringen eine Fülle entsprechender Kochbücher heraus, Beiträge über Tierschutz, gesunde Ernährung und die Schattenseiten des Fleischkonsums füllen die Tages- und Wochenzeitungen. Immer mehr Menschen lehnen auch die Verwendung von Tieren für menschliche Unterhaltung in Zirkussen, Stierkampfarenen und Delfinarien ab, kaufen keine Bekleidung aus Pelz, ja sogar keine Schuhe aus Leder, sind kritisch gegenüber der Jagd eingestellt, vor allem der Vergnügungs- oder Hobbyjagd, distanzieren sich von Tierversuchen in Forschung, Medizin und beim Militär, protestieren gegen das rapide fortschreitende Artensterben. Sie engagieren sich für eine artgerechte Haltung von Heimtieren (Haustieren, Kumpantieren), sie bemühen sich sogar, wie dies der bekannte österreichische Tierrechtler Martin Balluch in Bezug auf seinen Hund Kuksi 8versucht, um eine stärker egalitäre, die Autonomie der Tiere respektierende Beziehung zu ihnen. Tiere und die Frage, wie wir mit ihnen umgehen, spielen in den öffentlichen Diskursen der Medien- und Zivilgesellschaft und in den privaten Gesprächen innerhalb von Familien, vor allem jenen der akademisch gebildeten (oberen) Mittelschicht, eine unübersehbare Rolle.
Auch die an Universitäten betriebene philosophische und theologische Ethik beschäftigt sich seit Mitte der 1970-er Jahre mit Tieren, mit deren moralischem Status und mit den Pflichten, die Menschen gegenüber Tieren haben. Das ist nicht selbstverständlich, ja es ist im Grunde revolutionär. Albert Schweitzer, der weltberühmte deutsch-französische Theologe und Philosoph, Kirchenmusiker und Urwaldarzt, Friedensnobelpreisträger und Tierschützer, hat in seinem 1923 erschienenen Werk Kultur und Ethik noch festgestellt: „Wie die Hausfrau, die die Stube gescheuert hat, Sorge trägt, dass die Türe zu ist, damit ja der Hund nicht hereinkomme und das getane Werk durch die Spuren seiner Pfoten entstelle, also wachen die europäischen Denker darüber, dass ihnen keine Tiere in der Ethik herumlaufen.“ 9
Schweitzers bildhafter Vergleich des von der Hausfrau ausgesperrten Hundes mit den aus der traditionellen Ethik ausgeschlossenen Tieren ist zutreffend: Auch wenn es in der Geschichte immer wieder Ausnahmen gab, so wurden die Tiere in der philosophischen und theologischen Ethik westlich-abendländischer Prägung im Allgemeinen nicht berücksichtigt. Sie galten nicht, wie es in der ethischen Fachsprache heißt, als moralische Objekte . Tiere als solche hatten und haben auch heute in der klassischen anthropozentrischen, also ausschließlich auf den Menschen und sein Wohl bezogenen Ethik keinen moralischen Status , keinen Wert und keine Würde. Sie sind lediglich dazu da, damit Menschen sie für ihre Zwecke benutzen. Dieses Denken folgt, um noch einmal Albert Schweitzer zu zitieren, dem „Dogma, dass die Ethik es eigentlich nur mit dem Verhalten des Menschen zum Menschen und zur Gesellschaft zu tun habe.“ 10
Trotz des geschilderten Bewusstseinswandel der letzen Jahrzehnte sind auch in der Gegenwart viele Menschen nach wie vor von dieser instrumentellen Mentalität geprägt, nach der die Tiere, aber auch die übrige belebte (Pflanzen) und unbelebte (Mineralien, Gesteine, Gase, Flüssigkeiten) Natur einzig und allein dazu existierten, um von den Menschen für ihre eigenen Zwecke verwendet und verwertet zu werden. Der 1968 verstorbene US-amerikanische Trappistenmönch und Schriftsteller Thomas Merton hat diese Haltung mit folgenden Worten exakt charakterisiert: „Es gibt Menschen, für die ein Baum nur dann wirklich ist, wenn sie daran denken, ihn umzusägen, für die ein Tier erst dann einen Wert bekommt, wenn man es in einen Schlachthof gebracht hat, Menschen, die nur jene Dinge anschauen, die sie zu missbrauchen gedenken und etwas, das sie nicht zerstören wollen, gar nicht wahrnehmen.“ 11
Ich erinnere mich noch gut an das Lied Weil der Mensch zählt , mit dem der Kabarettist Alf Poier im Jahre 2003 beim Eurovision Song Contest für Österreich antrat und einen passablen sechsten Platz erreichte. In seinem das Popgeschäft parodierenden und im steirischen Dialekt vorgetragenen Song beschwört Poier zunächst seine Liebe zu allen Tieren: „Die Tiere dieser Erde / die mog i[ch] ziemlich gern / Doch am allerliebsten mog i[ch] die Haserln und die Bär[e]n.“ Gleich darauf jedoch spricht er die Zerstörung tierischer Lebensräume und den fortschreitenden Verlust von Tieren und Tierarten an, die durch das menschliche Bevölkerungswachstum (mit)verursacht werden: „Es sterb[e]n bald alle Vögel / es sterb[e]n bald alle Käfer / Nur im Bett da liegt der Adam und vermehrt sich mit der Eva.“ 12Aus Sicht einer rein anthropozentrischen Ethik, in der nur der Mensch zählt und die Poier hier offensichtlich anprangert, ist ein von der wachsenden Zahl der Menschen herbeigeführtes Vögel- und Käfersterben an sich kein Problem, jedenfalls solange es keine negativen Auswirkungen auf die Menschen selbst hat.
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