Mit 66 Jahren entdeckte Marie einen Tropfen Blut an ihrem weißen BH. Obwohl niemand in ihrer Familie jemals an Brustkrebs erkrankt war, rief sie ihren Gynäkologen an, der sie zum Ultraschall schickte. Es dauerte ewig, aber der Radiologe fand ein winziges Knötchen. Sie beschlossen, das Knötchen zu entfernen, und die Biopsie ergab eine atypische Hyperplasie der Brust. Mit anderen Worten, Marie hatte eine Anhäufung abnormer Zellen in der Brust. Diese war zwar nicht bösartig, bedeutete aber, dass sich ihr Brustkrebsrisiko vervierfacht hatte – das genügt, um jede Frau zu Tode zu erschrecken.
Ihre Brustchirurgin sagte, die Einnahme des Anti-Östrogen-Medikaments Tamoxifen werde ihr helfen, dem Brustkrebs vorzubeugen; daraufhin wog sie Risiken und Nutzen des Medikaments ab. Es erhöht unter anderem das Risiko für Gebärmutterschleimhautkrebs, was kaum wie ein guter Tausch erscheint. Dann kam Marie zu mir, um sich eine zweite Meinung einzuholen. Mein Vorschlag? „Beginnen Sie damit, mehr Gemüse zu essen – ungefähr ein Kilo oder zehn Tassen pro Tag –, fangen Sie an, täglich pulverisierte Gräser, Grüngemüse und Algen zu sich zu nehmen, beschränken Sie den Weinkonsum auf zwei Gläser Wein pro Woche, nehmen Sie zehn Kilo ab und essen Sie weniger herkömmliches rotes Fleisch. Meiden Sie entzündungsfördernde Lebensmittel wie Milchprodukte, Zucker und Gluten. In der Zwischenzeit müssen wir untersuchen, wie Ihr Körper Östrogen produziert und ausscheidet, um festzustellen, wie wir das Ganze in eine bessere Richtung lenken können.“
Sechs Monate später und zwölf Kilo leichter suchte Marie wieder ihre Brustchirurgin auf. Diese war beeindruckt: „Keine meiner Patientinnen hat geschafft, was Sie geschafft haben. Wie haben Sie das gemacht?“ Die Chirurgin berichtete ihr von anderen Patientinnen, die adipös waren und bei denen erneut Brustkrebs auftrat, und sagte ihr, wie herzzerreißend es sei, ihnen die schlimme Nachricht mitteilen zu müssen. Sie erwähnte, wie frustrierend der Versuch sei, Frauen bei Änderungen ihres Lebensstils zu unterstützen, die für eine Gewichtsabnahme notwendig seien und die ihr Brustkrebsrisiko und das Risiko eines frühen Todes reduzieren würden.
Weitere Vorbehalte gegen Gentests
DNA-Tests sind (in den USA, siehe Anm. d. Verlages auf S. 369) fast so leicht verfügbar wie Blutuntersuchungen. Doch nur weil Sie sie bekommen können, heißt das nicht, dass Sie das auch sollten – zumindest noch nicht.
Als dieses Buch entstand, durften US-Firmen, die Gentests für Endverbraucher anboten, aufgrund einer behördlichen Anordnung der amerikanischen Gesundheitsbörde FDA, keine Interpretation der Testergebnisse mehr an ihre Kunden weitergeben. Grund waren Zweifel an validen, also zuverlässigen, Testergebnissen, da diese auch falsch-positiv oder falsch-negativ ausfallen konnten, und Informationen über den Trägerstatus zu 36 Krankheiten von den Verbrauchern unter Umständen missinterpretiert oder anderweitig missbraucht würden. Menschen sollten nicht ihre BRCA-Gene untersuchen lassen und sich voreilig für eine prophylaktische Operation entscheiden (was als „Angelina-Effekt“ bekannt ist).
Ein weiteres Problem ist, dass die meisten Ärzte die Ergebnisse von Gentests nicht deuten und damit auch keinen sinnvollen Rat geben können. Darum ist es wichtig, im Kontext zu sehen, was DNA-Tests sind und was nicht. Ein DNA-Test gibt Ihnen keine Auskunft darüber, woran Sie sterben werden, oder auch nur darüber, was Sie krank machen wird. Er gibt Ihnen Hinweise, wie Sie Ihren Lebensstil gestalten und das Ergebnis optimieren können, um die Wahrscheinlichkeit einer Erkrankung zu reduzieren und Ihre Gesundheitsspanne zu verlängern. An irgendeinem Punkt in der Zukunft wird sich das Blatt wenden und genetische Tests werden wesentlicher werden.
Manche Menschen betrachten die regulatorische Maßnahme der FDA als Beschränkung ihrer persönlichen Freiheit. Falls das auch Ihre Sichtweise ist und Sie sich testen lassen wollen, dann rate ich Ihnen, eine humangenetische Beratungsstelle aufzusuchen (siehe Ressourcen, in Deutschland verpflichtend), deren Experten die Ergebnisse qualitativ richtig interpretieren können.
Haben wir dieses Problem nicht alle? Wir stellen die Verbindung nicht her zwischen dem allabendlichen Glas Wein, den entzündungsfördernden Fetten, die wir in Restaurants essen, dem wenig beachteten Schlaf und wie all das eine Umgebung schafft, die Brustkrebs begünstigen kann.
Nachdem ich die Östrogenwerte im Maries Urin überprüft hatte, schlug ich ihr vor, ein neues Nahrungsergänzungsmittel hinzuzunehmen, Diindolmethan (DIM), ein Extrakt aus Kreuzblütler-Gemüse. Die Einnahme einer Tablette entspricht dem Verzehr von etwa elf Kilo Brokkoli. Dadurch konnte Marie mehr protektive Östrogene produzieren, die sie vor Brustkrebs schützen, und weniger von den schlechten, die dieses Risiko erhöhen.
Jetzt denkt Marie bewusster daran, in allen Lebensbereichen gesündere Entscheidungen zu treffen. Nichts Verrücktes – sie isst einfach mehr Gemüse, macht dreimal pro Woche einen flotten Spaziergang, hat einen Schrittzähler bei sich, der die zurückgelegten Schritte ermittelt, sie geht einmal in der Woche zum Yoga und lässt sich einmal im Monat massieren. Da überraschte es nicht, dass ihre Brüste bei der nächsten Untersuchung gesünder aussahen als je zuvor – weniger dicht, keine Anzeichen einer atypischen Hyperplasie bei der Brust-MRT, die alle sechs Monate durchgeführt wird. Das niedrigere Gewicht hält sie jetzt schon seit sieben Jahren. Sowohl Angelina als auch Marie waren mit einem erhöhten Brustkrebsrisiko konfrontiert, doch beide entschieden sich für Vorsorgemaßnahmen, die sehr persönlich und höchst unterschiedlich waren. Diese beiden Fälle veranschaulichen, wie die bahnbrechende Wissenschaft der Genetik und Epigenetik uns mehr Wahlmöglichkeiten bietet, Krankheiten zu verhindern und die Gesundheitsspanne zu erweitern.
Die genetischen Fachbegriffe, die Sie kennen sollten
Wie Ihre genetischen Variationen exprimiert werden – genau darauf wollen wir mit diesem Programm einwirken: Wir wollen die schlechten Genvarianten ab- und die guten anschalten. Ich habe nachstehend eine kurze Liste mit Begriffen aufgenommen, die Sie kennen sollten, um dieses Buch zu verstehen (und ich habe eine Liste in das Glossar im Anhang aufgenommen). Die wichtigsten Begriffe sind Gen, DNA, Allel und Variante. Und wenn Sie bei einem Begriff unsicher sind, können Sie jederzeit im Glossar nachschlagen.
– Sie haben 46 Chromosomen – 23 von jedem Elternteil –, und jedes Chromosom enthält eine eng aufgewickelte DNA.
– Sie haben ungefähr 24 000 Gene, denken Sie bitte daran, wenn ich mich auf die Super-Sieben beziehe. Viele Gene überlappen sich oder haben entgegengesetzte Funktionen; was zählt, ist nur das Gesamtergebnis.
– Der größte Teil Ihrer DNA (99,9 Prozent) befindet sich im Zellkern, aber Sie haben auch ein wenig DNA (0,1 Prozent) in Ihren Mitochondrien, den eigenständigen Organellen in jeder Zelle. (Ihr Körper besteht aus 50 Billionen Zellen.) Das ist wichtig zu wissen, denn Mitochondrien neigen dazu, erschöpft aufzugeben, und das macht Sie im Laufe der Jahre müde.
– Ihre DNA, eine Abkürzung für Desoxyribonukleinsäure (engl. Desoxyribonuclei acid, daher das „A“ in der Abkürzung; Anm. d. Ü.), besteht aus sich wiederholenden Mustern von vier chemischen Basen: Adenin (A), Cytosin (C), Guanin (G) und Thymin (T). Diese Basen sind das Alphabet Ihres genetischen Codes oder Genotyps. Ihre DNA gleicht einer Leiter, wobei die Basenpaare deren Sprossen bilden. (Die Holme der Leiter setzen sich aus Zucker und Phosphat zusammen.)
– Die Leiter windet sich in einer sogenannten Doppelhelix, sodass sie bei der Zellteilung effizient kopiert werden kann. Würden Sie Ihre DNA abwickeln, dann wäre die ganze Leiter ungefähr 1,80 m lang.
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