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»Ihr geht besser wieder dahin, wo ihr hingehört, Scheiß-Krauts«, geiferte Blondie, seine Gitarre wieder unter dem Arm, »wenn ihr nicht auf euren Arsch aufpasst, könntet ihr ziemlich bald als Fischfutter enden!« Aber Rotwein ist ja nun kein Getränk, das einen völlig kleinmütig macht.
»Fischfutter, hä?«, amüsierte ich mich, stand auf und nahm ihm seine Gitarre weg. Er wollte sich auf sie stürzen, aber ich ließ ihn einen halben Schritt an mir vorbei stolpern und trat ihm kurz in die Kniekehlen. Er knickte ein, und ich haute ihm von der Seite die flache Hand vor die Stirn. Schon lag er auf dem Rücken, wo ich ihn haben wollte. Ich stellte ihm einen Fuß unters Kinn und legte ein bisschen Gewicht drauf, damit er aufhörte, sich darunter loszuwinden. »Du häls’ jetz’ besser still, Blendaxmännchen, jetz’ is’ Musikunterricht«, ermahnte ich ihn. Seine drei Figuren wollten sich einmischen, aber plötzlich stand links von ihnen ein kahlköpfiger, braungebrannter kleiner Kerl, vielleicht an die sechzig, in einem hellblauen italienischen Leinenanzug, darunter ein T-Shirt mit einem Siebdruck des Buckingham Palace, an einer kurzen Leine eine Dänische und eine Deutsche Dogge – ein echter Europäer –, und schüttelte den Kopf.
»Ça suffit!«*, knurrte er, aber das Knurren der Doggen war doch noch ein Stückchen beeindruckender. Auf dem rechten Flügel hielt ein ähnlich aussehender Typ in einem rosa Tropenanzug mühsam einen gemütlich grinsenden Mastiff an der kurzen Leine. Eins von diesen Viechern, die die ganze Felge mitfressen, wenn sie mit einem Autoreifen spielen.
»Guck zu, Sonnyboy, damit du was lernst«, sagte ich zu Blondie und begann die Saiten seiner Gitarre abzuschrauben. Er bäumte sich auf und krallte beide Hände in meine nackte Wade. Zum Glück hatte er ordentlich gestutzte Gitarristenfingernägel. Trotzdem lehnte ich mich noch ein bisschen nachdrücklicher auf seinen Kehlkopf, bis es ihm die Zunge aus dem Mäulchen drückte. »Guck!«, sagte ich und ließ die sich wieder zusammenkringelnden Saiten hübsch nacheinander auf sein Gesicht fallen, »Eine – Alte – Dame – Ging – Hering – … ’noh, wie heißt noch mal die verdammte sechste? Ich kann mir dat einfach nich’ merken – Angeln? Fischen? Fangen? Kaufen?«
»Essen!«, rief ’noh vergnügt. Er hatte seine Klampfe schon wieder im Arm und ließ seinen Slide-Ring über die hohe E-Saite singen.
»Essen«, wiederholte ich zufrieden, bückte mich und drückte sie Blondie zwischen die Werbefernsehbeißerchen. »Listen, Goldilocks«*, sprach ich ihn auf Englisch an, damit er mich auch ganz sicher verstand, »wenn du mir noch mal anders als freundlich über die Füße läufst, nehm’ ich die dickste Bass-Saite, die ich kriegen kann, und schieb’ sie dir hinten rein, bis sie dir zur Nase wieder rauskommt. Und dann stimm’ ich dich ordentlich durch und zeig’ dir mal den wahren Rock ’n’ Roll. Got me? «* Er röchelte zweimal. Ich nahm’s für Zustimmung.
Ich bin nicht Pete Townshend, also legte ich ihm sein nacktes Instrument unbeschädigt und sanft auf den Bauch, drehte mich um, setzte mich auf die Kaimauer, nahm meine eigene Klampfe und gab eine etwas eigenwillige Kurzversion von If You’re Lookin’ For Trouble zum Besten – das hatten wir noch nie geprobt. Ein paar der Umstehenden applaudierten trotzdem.
Blondie rappelte sich auf, klemmte seine saitenlose Gitarre unter den Arm, zischte mir noch ein »See you! You bet!«* entgegen und schlich sich ins Le Charmeur . Wo er ja auch hingehörte. Unsere drei Ratten hatten sich schon in drei verschiedenen Richtungen verpisst. Sie mochten wohl keine Hunde..
»Morgen kaufen wir uns aber ein Peace-Amulett und stecken uns ein paar Blumen ins Haar, Büb. Dat is’ doch kein Urlaub!« Ich nickte nur und suchte unsere Flasche. Sie war noch heil geblieben. Der Tag doch nicht völlig hinüber. Wir nahmen jeder einen großzügigen Schluck.
»Ich glaube, wir sollten heut’ Abend mal unsere Karre umparken«, sagte ich zu Veedelnoh.
»So viel Sprit ha’m wir garnich’, um die weit genug wegzufahren,« knurrte er trocken.
»Willste sie anzünden?«
»Damit wir hier nie mehr wegkommen, du Hirn?«
Dann ging er rüber zu dem Doggenmann, um sich charmant und weltmännisch zu bedanken. »Vielen Dank, Monsieur, eh, merci beaucoup«, stotterte er. Der lachte freundlich und reichte uns eine ledrige Hand.
»Gérard Bérat, meine ’erren. Es ist mir eine Vergnügong.« Er ließ ’nohs Hand erst los, als der hustete und nach seinem Tabak fummelte. »Versseihen Sie das unmöglische Benehmen meinör Landsleute – sie sind jung und wild – petits sauvages . Aber wir sind nischt alle comme ça . Écoutez , isch ’abe Sie schon ein paar Tage beobachtet – mir gefällt Ihre musique . Um Ihnen beides zu beweisön, möschte ich Sie gerne bitten, mir die Ehrö zu erweisen, ’eute Abend mein Gast zu sein auf der Bératta«, er deutete hinter sich auf einen babyblau schimmernden Kahn mit zwei Masten, der aussah, als könne er auch gut und bequem sechs Kegelvereine von Köln nach Rüdesheim den Rhein hoch schippern, »und vielleischt auch für ein kleinös Stündschen meine Gäste ssu unter’alten, oui? Natürlisch isch werde Ihnen bessahlen ein angemessön ’onorar.«
’noh und ich guckten uns an. Wenn man so lange zusammen ist wie wir beide, in Probekellern und Tourbussen, Autobahnraststätten und Hotelbars, in engen, aber zugigen Garderoben, auf Stadthallenbühnen und Schützenzeltpodesten, in Doppelbetten und WG-Küchen und an, über den Daumen, zwölf– bis fünfzehnhundert Theken, dann muss man nicht mehr so viel reden ( richtig, Manni: Wat sommer spreche? ).*
Ich hatte wahrhaftig nicht die geringste Lust, die halbe Nacht damit zu verbringen, irgendwelchen mehr oder weniger alten Jungs auf die Finger zu klopfen, weil sie an meinen knackigen Arsch wollten. Aber allein Bérats geflochtene Slipper waren ganz klar mehr wert als alles, was wir in den letzten sieben Wochen an Kohle verbraten hatten, inklusive Spritgeld, und der Gedanke an was Anständiges zu Fressen und zu Saufen ließ all meine Bedenken in einem bösartigen Magenknurren verklingen. Und dass es Veedelnoh nicht anders ging, war ihm leicht anzusehen.
Ein Prosit der Gemütlichkeit
Ich habe keine Ahnung von Schiffen – nach meiner Kenntnis hätte das matt schimmernde babyblaue Metall Platin oder Titan sein können oder von mir aus auch das Zeug, mit dem sie Badewannen beschichten. Hier hatte also jemand die seine von außen beschichten lassen.
Nach dem Weg über die breite Lochgitter-Gangway traten wir jedenfalls auf honigfarbene Mahagoniplanken, die so auf Hochglanz poliert waren, dass man sich unwillkürlich nach den Filzpantoffeln umsah, gegen die man seine Straßentreter tauschen könnte. Die Kabinenaufbauten hätten auch eine schöne Villa über dem Genfer See abgegeben. An den beiden Masten hingen, zusammengerefft bis auf ein dekoratives in der Mitte, nicht mal halb so groß wie die Leinwand des Porzer Autokinos, lachsfarbene Segel aus einem Stoff, der aussah, als könnten wir uns nicht mal ein Hemd daraus leisten.
Obwohl wir ein neues Hemd gut hätten vertragen können. Im Schnellwaschgang hatten wir beide mit Meerwasser und Françoises Shampoo unsere weißen – na ja, fast weißen – Penner’s Radio-T-Shirts mit dem tanzenden Berberpärchen und unsere bleichen Jeans präsentabel gemacht, die Haare gewaschen, die Fingernägel gesäubert, mit Olivenöl unsere Gitarren poliert und unsere Stiefel geputzt, und wenn Manitas de Plata vom Band aus den großzügig verteilten Lautsprechern weiter unser Magenknurren übertönte, konnte man uns glatt für halbwegs zivilisiert und Bérats Gästen zugehörig halten.
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