Holger Finze-Michaelsen
Ohne Liebe – nichts
Roter Faden für das Leben (1. Korinther 13)
Theologischer Verlag Zürich
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Umschlaggestaltung
Simone Ackermann, Zürich, unter Verwendung von August Macke (1887–1914), «Landschaft mit drei Mädchen», um 1911. Öl auf Pappe, 55 × 63,5 cm. Foto: akg-images
Bibelzitate nach: Zürcher Bibel 2007
ISBN 978-3-290-17596-2 (Buch)
ISBN 978-3-290-17671-6 (E-Book)
|XX| Seitenzahlen des E-Books verweisen auf die gedruckte Ausgabe.
© 2011 Theologischer Verlag Zürich
www.tvz-verlag.ch
Alle Rechte – auch die des auszugsweisen Nachdrucks, der fotografischen und audiovisuellen Wiedergabe, der elektronischen Erfassung sowie der Übersetzung – bleiben vorbehalten.
Inhalt
Vorwort
Teil 1 Voraussetzungen zum Verstehen
I. «Liebe» ist nur ein Wort
Wörter sind auf Reisen
Zwischen «Liebesnest» und «Ordnungsliebe»: «Liebe» auf Deutsch
Ein Wort neu lernen
II. Der lange Weg vom Rand in die Mitte: das Wort agapē
Die Hebräische Bibel wird griechisch
Gottes «Liebe» kommt erst spät
Aus dem Aschenputtel agapē wird eine Königin
agapē: Bei Paulus vom Anfang an ein Hauptwort
III. Paulus schreibt nach Korinth
«Meine geliebten Kinder»
Das «Wort vom Kreuz» wird in Korinth «angenommen»
Das kosmopolitische Korinth: Prototyp der multireligiösen Weltstadt
Sklavenhalter und Sklaven: Eine Gemeinde im Spannungsfeld der Gesellschaft
Das Wort von Christus glauben – das Wort von Christus tun
IV. Das Blut im Leib Christi: Agape
Schlaglichter auf das Gemeindeleben
Gaben des Geistes, aber keine pneumatische Karriere
Was der Geist Gottes gibt
Zungenreden, Glossolalie: Das Erstaunliche muss nicht das Höchste sein
Der Leib Christi hat nicht nur Füsse
Miteinander und nebeneinander
Was im Leib Christi zirkulieren muss
Teil 2 1. Korinther 13
V. Alles kann «nichts» sein (1. Korinther 13,1–3)
Vom «ich» zum «du»
Was lieb gemeint ist, muss nicht Liebe sein
Menschen- und Engelszungen
Prophetie, Mysterium, Erkenntnis
Glaube, der Berge versetzt
Verzicht auf Besitz
Hingabe bis in den Tod
Woran alles zu messen ist
VI. Was die Liebe kann und was sie nicht kann (1. Korinther 13,4–7)
Beschämende Worte
Langer Atem und entwaffnende Güte
Übereifer, Prahlerei, protzendes Auftreten
Taktlosigkeit
Von sich her denken und handeln
Verbitterung
Akten der Verfehlungen anlegen
Hässlichkeit und Schönheit der Freude
Viermal «alles» gegen «nichts»
VII. Was vergehen wird und was bleibt (1. Korinther 13,8–10)
Die Liebe: Roter Faden ohne Ende
Alles ist relativ
Das Vollkommene ersetzt das Stückwerk
Leben im Vorletzten
VIII. Im Präsens leben, das Futur erwarten (1. Korinther 13,11–12)
Kindlichkeit im Provisorium
Das neue, andere Sehen
Was jetzt schon gilt
Ich werde gedacht, also bin ich
IX. Glaube und Hoffnung – beides in Liebe (1. Korinther 13,13)
Fragezeichen hinter eine berühmte Formel
Die Kontinuität der Liebe
Kreuz, Anker, Herz
Glaube als gelebte Liebe
Hoffnung als gelebte Liebe
Ausblick
X. 1. Korinther 13: Der Pfahl im Fleisch
Literatur
Seitenverzeichnis
Es gibt Bibeltexte, von denen sich ein beruflich mit der Auslegung und Verkündigung Beauftragter besonders angezogen fühlt. Und es gibt umgekehrt Bibeltexte, um die er nach Möglichkeit einen Bogen macht. Für beides kann es ganz verschiedene Gründe geben. Zu der letztgenannten Sorte gehörte für mich das 13. Kapitel im 1. Korintherbrief des Apostels Paulus, das die Liebe zum Thema hat. Ich empfand diese Abneigung, weil mir die Worte, deren Schönheit und Tiefe für mich immer ausser Frage standen, allzu oft im Tonfall von Sentimentalität, Liebesschwärmerei und Gefühlsseligkeit ans Ohr gekommen waren. Verliebtheit, Hochzeit und manchmal auch ein Todesfall bildeten den Rahmen für die Rede von «der Liebe» – aber meist nicht im Sinne des Paulus: Dass der Apostel sie hier nämlich beunruhigend, mit scharfer Polemik und beschämenden Worten zum Thema macht, fiel dabei meist unter den Tisch. Ich gebe zu: Das ärgerte mich. Und Ärger ist ein schlechter Ratgeber zur Vorbereitung einer Predigt. Darum machte ich den besagten Bogen um das 13. Kapitel.
Im Jahr 2007 begann ich, alter reformierter Tradition entsprechend, mit der fortlaufenden Auslegung des 1. Korintherbriefes in den Sonn- und Feiertagspredigten der Reformierten Gemeinde Zweisimmen (Kanton Bern). Dass ich dabei auch einmal bei jenem 13. Kapitel ankommen würde, lag in der Natur der Sache und war also unumgänglich. Ich entschloss mich, dieses Kapitel über die Liebe gewissermassen im Trippelschritt zu durchlaufen, an acht Sonntagen. Dabei erkannte ich noch mehr als früher, wie sehr es eingebettet ist in den Zusammenhang des gesamten Briefes. Das bewog |10|mich, in den folgenden Jahren der «Agape» bei Paulus weiter nachzugehen. Meine Beobachtungen und Überlegungen sind nun hier zusammengefasst. Es ist der Versuch, von Paulus aus weiterzudenken und sein grosses Thema – das christliche Leben, das ohne Liebe nichts ist – für unsere Zeit zu verstehen.
Der 1. Korintherbrief hat viele Auslegungen erfahren. Die Leserinnen und Leser werden feststellen, dass ich jene von Karl Barth und Wolfgang Schrage mit besonderem Gewinn gelesen habe.
Herrn Samuel Arnet vom TVZ bin ich sehr dankbar für seine minutiöse Aufmerksamkeit, mit der er den Weg zur endgültigen Fassung des Manuskriptes begleitet und mich als «primus lector» beraten hat.
Bei der Wiedergabe der Bibeltexte folge ich in der Regel der neuen Zürcher Bibel (2007). Zum Vergleich werden einige andere Varianten erwähnt, um die Bandbreite der Verständnismöglichkeiten aufzuzeigen.
Jenaz (Kanton Graubünden), im Winter 2011
Holger Finze-Michaelsen
|11| Teil 1 Voraussetzungen zum Verstehen
I. «Liebe» ist nur ein Wort
Paulus schreibt im berühmten 13. Kapitel seines Briefes an die Gemeinde in Korinth über «Liebe». Liebe ist für keinen, der deutsch spricht, ein Fremdwort. Jeder weiss damit etwas anzufangen: Für jeden verbinden sich mit dem Wort Erfahrungen, Gefühle, Lebensgeschichten und Lebensweisheiten. Jeder kennt dieses eigentümliche Wechselspiel von Geben und Nehmen, das sich auf tausend Weisen jeden Tag ereignet. Und dennoch wäre es fatal, beim Aufschlagen von 1. Korinther 13 so zu tun, «als ob es sich dabei um eine jedermann geläufige und bekannte Sache handelte» (Georg Eichholz, 174). Warum?
Wörter gehen vom sprechenden Mund des einen Menschen in das hörende Ohr des anderen, von der schreibenden Hand des einen Menschen in die lesenden Augen des anderen. Wörter machen diesen langen, hindernisreichen und manchmal auch gefährlichen Weg vom einen Menschen zum anderen, einen Weg mit tausend Schwellen, Kurven, Abgründen, Verzweigungen. Finden Wörter Gehör und werden sie so verstanden, wie sie gemeint waren, sagen wir von ihnen, als wären sie Reisende auf dem Weg von A nach B: «Sie sind angekommen.»
Aber so leicht, so schnell reisen Wörter in der Regel nicht. «Wörter allein – Glück, Gerechtigkeit, Wahrheit |12| etc. – haben ein faules Flair. Sie stehen da wie Ölgötzen. In Bewegung kommen sie erst, wenn sie verwendet werden, in immer wieder verschiedenen Zusammenhängen auftreten» (Dieter Thomä, 298). Dem grossen Wort «Liebe» geht es nicht anders: Es kann nichts, gar nichts heissen. Es kann nur eine Worthülse sein, die sich als floskelhaft, leer, abgedroschen und letztlich tot erweist. Es kann ein Wort sein, das man nur aus purer Gewohnheit, aus antrainiertem Anstand oder aus Phantasielosigkeit braucht, ohne sich dabei etwas (oder etwas Wesentliches) zu denken. Es kann ein Wort sein, das durch allzu häufigen Gebrauch abgegriffen erscheint wie eine Münze, die durch unzählige Hände gegangen ist.
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