Stefanie Samida - Archäologie als Naturwissenschaft?

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Seit rund zwei Jahrzehnten ist eine deutliche Zunahme der Zusammenarbeit einiger archäologischer Fächer mit den Naturwissenschaften festzustellen. Dazu gehört besonders die Ur- und Frühgeschichtliche Archäologie, die in dieser Streitschrift im Zentrum steht. An die Stelle des Spatens, bis vor wenigen Jahren noch traditionelles Symbol der Archäologie, sind längst moderne technische Geräte wie das Notebook getreten. Und bei der Auswertung und Deutung von Funden und Fundkontexten scheinen naturwissenschaftliche Methoden mittlerweile den 'Königsweg' zu weisen. Die Ur- und Frühgeschichtliche Archäologie, so die Kernthese der Autoren, gerate immer stärker in den Bann eines positivistisch-szientistischen Paradigmas. Gleichzeitig sind in sehr seriösen und traditionsreichen deutschen Fachzeitschriften beunruhigende Tendenzen pseudoreligiöser und esoterischer Deutungen urgeschichtlicher Phänomene zu beobachten. Solche auch über Ausstellungen, populärwissenschaftliche Literatur und Medien verbreitete Thesen finden einen starken Widerhall in der Öffentlichkeit. Sie sind damit das Gegenteil verantwortungsbewusster Popularisierung von Wissenschaft. Insgesamt, so das Fazit dieses Pamphlets, befindet sich die Ur- und Frühgeschichtliche Archäologie auf einem Weg, der nicht mit ihrem Selbstverständnis als vergleichend orientierte Historische Kulturwissenschaft zu vereinbaren ist.

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Stefanie Samida / Manfred K. H. Eggert

Archäologie als Naturwissenschaft?Eine Streitschrift

Reihe Pamphletliteratur, Bd. 5

Bibliografische Informationen der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.deabrufbar.

ISBN: 978-3-86408-223-8

Korrektorat: David Hönscher

© Copyright: Vergangenheitsverlag, Berlin / 2017

www.vergangenheitsverlag.de

Alle Rechte, auch die des Nachdrucks von Auszügen, der fotomechanischen und digitalen Wiedergabe und der Übersetzung, vorbehalten.

Inhaltsverzeichnis

Zum Geist der Zeit Zum Geist der Zeit Unsere Streitschrift fällt in eine Zeit, die – so unser Eindruck – von einem gewissen Szientismus geprägt ist, der in alle gesellschaftlichen Bereiche hineinreicht. Dazu zählen etwa die Politik und die sie seit Jahren begleitende ‚Umfrageritis‘ beziehungsweise ‚Demoskopitis‘. Es vergeht kein Tag, an dem wir nicht mit den neuesten Umfragewerten zu sogenannten ‚Spitzenpolitikern‘, zur Stimmungslage der Nation oder zu neuesten ‚Sonntagsfragen‘ konfrontiert werden, mit denen man versucht, uns die aktuelle Lage im Land in Balken- und Kreisdiagrammen zu erklären. Gleiches gilt auch für ökonomische Prozesse: Wir vernehmen regelmäßig einmal im Monat die Nachrichten über die Entwicklung der Inflationsrate und mindestens einmal im Jahr die Daten zum Bruttoinlandsprodukt, die uns vermitteln sollen, wie gut oder wie schlecht es dem Land und seiner Bevölkerung geht. Und auch für die Wissenschaft kann man in den letzten zwei Jahrzehnten eine zunehmende szientistische Grundhaltung beobachten. Das Beispiel der Hirnforschung zeigt dies recht gut. In den letzten Jahren begegnet man vermehrt ‚Bindestrichwissenschaften‘ wie etwa ‚Neuro-Soziologie‘, ‚Neuro-Ökonomie‘ oder ‚Neuro-Didaktik‘. Die Hirnforschung dringt also in wissenschaftliche Felder der Kultur- und Sozialwissenschaften vor, deren genuiner Forschungsgegenstand nicht etwa das Gehirn des Menschen, sondern der Mensch in seiner Totalität als sozial lebendes Kulturwesen ist. Sie ‚erobert‘ aber nicht nur andere Fächer, sondern ist auch schon länger medial auf dem Vormarsch. Erst kürzlich hat Felix Hasler, der mehrere Jahre lang an der Psychiatrischen Universitätsklinik Zürich in der Halluzinogenforschung tätig war, mit seinem Buch „Neuromythologie: Eine Streitschrift gegen die Deutungsmacht der Hirnforschung“ weit über die Wissenschaft hinaus für Aufsehen gesorgt. Er wendet sich darin gegen den aktuellen und allgegenwärtigen „Neuro-Hype“, der den „fundamental falschen Eindruck“ erwecke, die „Hirnforschung wisse genau Bescheid über die biologischen Vorgänge, die unserem Erleben, Denken und Handeln“ zugrunde lägen. 1 Die „modernen Neuro-Mythen“ seien zwar in der gesellschaftlichen Wahrnehmung angekommen – nicht zuletzt, weil die auf den ersten Blick eingängigen, durch bildgebende Verfahren sichtbar gemachten „Neuro-Thesen“ recht anschaulich wirkten. Doch die hochtechnischen Messverfahren, die „fotoähnliche Abbildungen des Geistes bei der Arbeit“ generierten, seien äußerst „stör- und irrtumsanfällig“ und bedürften mehr denn je einer Deutung. 2 Die im Folgenden behandelte Thematik ‚Archäologie und ‚Naturwissenschaft‘ birgt unserer Meinung nach ein weiteres Indiz für den wachsenden Szientismus – auch oder gerade in den Wissenschaften.

Archäologie – Was ist das?

Archäologie und Naturwissenschaften

Von Elementen und Genen

Von der Erbinformation zum Kosmos

Sonne, Mond und Sterne

Archäologie heute – Ein neuer Positivismus?

Literaturverzeichnis

Anmerkungen

Zum Geist der Zeit

Unsere Streitschrift fällt in eine Zeit, die – so unser Eindruck – von einem gewissen Szientismus geprägt ist, der in alle gesellschaftlichen Bereiche hineinreicht. Dazu zählen etwa die Politik und die sie seit Jahren begleitende ‚Umfrageritis‘ beziehungsweise ‚Demoskopitis‘. Es vergeht kein Tag, an dem wir nicht mit den neuesten Umfragewerten zu sogenannten ‚Spitzenpolitikern‘, zur Stimmungslage der Nation oder zu neuesten ‚Sonntagsfragen‘ konfrontiert werden, mit denen man versucht, uns die aktuelle Lage im Land in Balken- und Kreisdiagrammen zu erklären. Gleiches gilt auch für ökonomische Prozesse: Wir vernehmen regelmäßig einmal im Monat die Nachrichten über die Entwicklung der Inflationsrate und mindestens einmal im Jahr die Daten zum Bruttoinlandsprodukt, die uns vermitteln sollen, wie gut oder wie schlecht es dem Land und seiner Bevölkerung geht. Und auch für die Wissenschaft kann man in den letzten zwei Jahrzehnten eine zunehmende szientistische Grundhaltung beobachten. Das Beispiel der Hirnforschung zeigt dies recht gut. In den letzten Jahren begegnet man vermehrt ‚Bindestrichwissenschaften‘ wie etwa ‚Neuro-Soziologie‘, ‚Neuro-Ökonomie‘ oder ‚Neuro-Didaktik‘. Die Hirnforschung dringt also in wissenschaftliche Felder der Kultur- und Sozialwissenschaften vor, deren genuiner Forschungsgegenstand nicht etwa das Gehirn des Menschen, sondern der Mensch in seiner Totalität als sozial lebendes Kulturwesen ist. Sie ‚erobert‘ aber nicht nur andere Fächer, sondern ist auch schon länger medial auf dem Vormarsch.

Erst kürzlich hat Felix Hasler, der mehrere Jahre lang an der Psychiatrischen Universitätsklinik Zürich in der Halluzinogenforschung tätig war, mit seinem Buch „Neuromythologie: Eine Streitschrift gegen die Deutungsmacht der Hirnforschung“ weit über die Wissenschaft hinaus für Aufsehen gesorgt. Er wendet sich darin gegen den aktuellen und allgegenwärtigen „Neuro-Hype“, der den „fundamental falschen Eindruck“ erwecke, die „Hirnforschung wisse genau Bescheid über die biologischen Vorgänge, die unserem Erleben, Denken und Handeln“ zugrunde lägen. 1Die „modernen Neuro-Mythen“ seien zwar in der gesellschaftlichen Wahrnehmung angekommen – nicht zuletzt, weil die auf den ersten Blick eingängigen, durch bildgebende Verfahren sichtbar gemachten „Neuro-Thesen“ recht anschaulich wirkten. Doch die hochtechnischen Messverfahren, die „fotoähnliche Abbildungen des Geistes bei der Arbeit“ generierten, seien äußerst „stör- und irrtumsanfällig“ und bedürften mehr denn je einer Deutung. 2

Die im Folgenden behandelte Thematik ‚Archäologie und ‚Naturwissenschaft‘ birgt unserer Meinung nach ein weiteres Indiz für den wachsenden Szientismus – auch oder gerade in den Wissenschaften.

Archäologie – Was ist das?

In weiten Kreisen unserer Gesellschaft, der gern zitierten ‚Öffentlichkeit‘, erfreut sich die Archäologie einer großen Beliebtheit. Ausgrabungen faszinieren – denn mit dem Ausgraben wird meist die Auffindung von kostbaren oder zumindest sensationellen Objekten verbunden. Archäologinnen und Archäologen gelingt es offenkundig immer wieder, an unscheinbaren Orten, dort, wo niemand unter der Erde auch nur das Geringste von Interesse vermutet hätte, ungewöhnliche Dinge einer meist fernen Vergangenheit aufzuspüren und freizulegen – Dinge, die auch jenseits der Fachwelt große Aufmerksamkeit erregen. 3Nur wenige Wissenschaften können sich einer derart breiten Aufmerksamkeit erfreuen.

Der international renommierte amerikanische Archäologe Lewis R. Binford (1931–2011) hat einmal einen älteren Herrn bemüht, der ihm in einem Bus gegenübersaß, um das populäre Bild von Archäologie zu charakterisieren. Kaum hatte Binford ihm auf eine entsprechende Frage seinen Beruf genannt, geriet sein Gegenüber ins Schwärmen: „Das muss wunderbar sein. Da brauchen Sie nur Glück, und schon sind Sie ein gemachter Mann!“ 4Atemberaubende Schätze sowie höchst befremdliche Sitten und Gebräuche unbekannter Kulturen, nicht nur in fernen Ländern, sondern auch in vertrauter Umgebung, heutzutage mit allen technischen Mitteln des Computerzeitalters aufgespürt, ausgegraben und analysiert – das ist ein verbreitetes Klischee. Aber was ist Binfords älterer Herr gegen Lara Croft aus der Computerspielserie und dem Kinofilm Tomb Raider oder gegen den in Filmen gefeierten Indiana Jones? Gar nichts, mag man getrost antworten. Denn auch bei Lara Croft und Indiana Jones geht es nicht zuletzt sehr wesentlich um Archäologie oder – was dafür herhalten muss.

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